Brüssel, EU-Kommission, Europaparlament
Hat selbst Mühe, wach zu bleiben: Alenka Bratušek © European Union, 2014
06.10.2014

EU-Vorsingen Runde 5: Auf die Gefahr, Sie zu langweilen…

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Die Abgeordneten des EU-Parlaments hatten ein langes Wochenende Zeit, sich von den Strapazen der vergangenen Anhörungen zu erholen. Von Totalausfall bis Liebling der Abgeordneten war alles dabei. Nun beginnt eine neue Woche uns es warten weitere vier Kandidaten auf ihren Auftritt. Vier zukünftige Schwergewichte, denn nun kommen die Kandidaten für die Posten des Vize-Präsidenten an die Reihe. Bühne Frei!

Kandidat Nr. 22: Valdis Dombrovskis (Lettland)

 

Valdis Dombrovskis © European Union, 2014

Valdis Dombrovskis © European Union, 2014

Der Lette tritt an für den Kommissionsposten: Euro, sozialer Dialog und Vizepräsident.

Unsere Bewertung

Pflichtnoten:

Politische Erfahrung 7

Konzept 8

Überzeugungskraft 7

 

Kürnoten:

Entschlossenheit 8

Bisherige Fachkompetenz 9

Audiovisuelle Kompetenz 7

 

Eigentlich wollte Dombrovskis noch ein Stück höher hinaus, letztlich kann er aber zufrieden sein. Der ehemalige lettische Ministerpräsident hatte sich Anfang des Jahres ins Rennen um den Spitzenkandidaten der EVP für den Posten des Kommissionschefs gebracht. Kurz vor dem Entscheid der Partei zog er seine Kandidatur aber zurück. Bekanntlich wurde Jean-Claude Juncker von der Partei nominiert und soll nun, nach der für die EVP erfolgreichen Europawahl, auch neuer Kommissionspräsident werden. Dombrovskis hätte Juncker kaum gefährlich werden können. Aber er brachte sich so für einen viel aussichtsreicheren Posten in Stellung und wurde so auch von Lettland für die Kommission nominiert.

Als ehemaliger Finanzminister und erfolgreicher Sanierer der Staatsfinanzen seines Landes bringt Dombrovskis für den neuen Job viel Erfahrung mit. Unter anderem will er die Troika umbauen und schrittweise durch eine demokratischer legitimierte Struktur ersetzen. Sollte es zukünftig weitere Rettungspakete für angeschlagene Eurostaaten geben, müsste auch die soziale Lage im Land mehr berücksichtigt werden.

 

Kandidat Nr. 23: Alenka Bratušek (Slowenien)

 

Alenka Bratušek © European Union, 2014

Alenka Bratušek © European Union, 2014

Die Slowenin tritt an für den Kommissionsposten: Energie-Union und Vizepräsidentin.

Unsere Bewertung

Pflichtnoten:

Politische Erfahrung 6

Konzept 5

Überzeugungskraft 6

 

Kürnoten:

Entschlossenheit 7

Bisherige Fachkompetenz 1

Audiovisuelle Kompetenz 4

 

Alenka Bratušek war schon im Vorfeld kritisch beäugt worden, hatte sie doch das Meisterstück zustande gebracht, sich selbst zur Kommissars-Kandidatin zu nominieren – Hut ab! Auf die Kritik daran meinte Bratušek, dass solch ein Vorgehen in Slowenien ganz normal sei.

Als der Vorsitzende der slowenischen Mitte-links-Partei PS Anfang 2013 wegen Korruptionsverdachts sein Amt ruhen ließ, übernahm sie dessen Posten. Es traf sich, dass auch Ministerpräsident Janša Korruption vorgeworfen wurde. Nach einem erfolgreichen Misstrauensvotum wurde Bratušek zur neuen Ministerpräsidentin gewählt. Dass sie nach parteiinternen Machtkämpfen gestürzt wurde und ihre eigene – nach ihre benannte – Partei gründete, ist da nur eine Randnotiz wert, denn schließlich geht es jetzt nach Europa! Denn Jean-Claude Juncker hatte Bratušeks Selbstnominierung dankend angenommen, um seine Frauenquote in der Kommission erfüllen zu können. Da spielt auch das fehlende Fachwissen keine Rolle…

Überzeugen konnte Bratušek heute nicht. Konkrete Antworten blieb sie schuldig, auch auf die Fragen, wie sie als Vizepräsidentin die verschiedene ihr zugeordneten Themen koordinieren will. Fast ironisch bedankte sie sich für jede (!) Frage. Auf die Gefahr hin, sich zu wiederholen meinte Bratušek: „Auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: ‚Auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen, gehe ich das Risiko ein, mich zu Wiederholen.‘ „. Ansonsten war von ihr nicht viel zu hören. Langeweile quälte die Zuschauer…

Alenka Bratušek erhält den Goldenen Napoléon-Bonaparte-Orden am Bande für die Chuzpe, sich selbst in die Kommission zu nominieren.

 


es folgen:

 

Kandidat Nr. 24: Andrus Ansip (Estland)

 

Andrus Ansip © European Union, 2014

Andrus Ansip © European Union, 2014

Der Este tritt an für den Kommissionsposten: Digitale Agenda und Vizepräsident.

Unsere Bewertung

Pflichtnoten:

Politische Erfahrung 7

Konzept 9

Überzeugungskraft 9

 

Kürnoten:

Entschlossenheit 8

Bisherige Fachkompetenz 7

Audiovisuelle Kompetenz 8

 

Estland wird gern als der durchdigitalisierte Staat bezeichnet – ein Vorreiter in Sachen Digitalisierung. Andrus Ansip hat sich in dieser Hinsicht als bester Vertreter Estlands gezeigt. Programmieren zu lernen, das sollte für ihn Teil des Schullehrplans werden. Jeglicher Datenverkehr im Netz solle gleichbehandelt werden, der Schutz der Privatsphäre sei ein Grundpfeiler des digitalen Binnenmarktes. Ansip hat überzeugt als Politiker, mit großem Bewusstsein für Bürgerrechte im Netz.

Ansip wolle sich in Online-Anhörungen den Anliegen der Bürger stellen. Dafür verleihen wir ihm die Steve-Jobs-Gedenkplakette für digitale Innovation.

 

Kandidat Nr. 25: Federica Mogherini (Italien)

 

Federica Mogherini © European Union, 2014

Federica Mogherini © European Union, 2014

Die Italienerin tritt an für den Posten: Hohe Repräsentantin für Außen- und Sicherheitspolitik.

Unsere Bewertung

Pflichtnoten:

Politische Erfahrung 7

Konzept 7

Überzeugungskraft 8

 

Kürnoten:

Entschlossenheit 8

Bisherige Fachkompetenz 6

Audiovisuelle Kompetenz  9

 

Im Gegensatz zu anderen Anhörungen war der Saal bei Federica Mogherini derart überfüllt, dass keine weiteren Journalisten mehr hineingelassen werden konnten. Die Kandidatin für das Amt der Hohen Beauftragten für die Außen- und Sicherheitspolitik der EU und Vizepräsidentin der Kommission wurde von Abgeordneten und Journalisten umringt. Die Stimmung im Auswärtigen Ausschuss war freundlich, die meisten Abgeordneten stellten unkritische Fragen.

In ihrer Eröffnungsrede, die sie – anders als viele ihrer Kollegen – frei hielt, unterstrich Mogherini noch einmal die Bedeutung einer gemeinsamen EU-Außenpolitik. Unter anderem sprach sie ein gemeinsames Vorgehen der Europäer gegen die islamistische Terrormiliz IS an. Mogherini betonte die Partnerschaft mit den USA. Diese sei mehr denn je von Bedeutung. Deshalb wolle sie auch eng mit dem neuen Nato-Generalsekretär Stoltenberg zusammenarbeiten.

Die Italienerin kündigte an, zu Beginn ihrer Amtszeit alle 28 EU-Staaten bereisen und sich mit Regierungen, Abgeordneten und NGOs treffen zu wollen. Außerdem plane sie, den Sitz ihres Büros ins Hauptgebäude der Kommission zu verlegen. Alle Politikfelder, die eine Wirkung nach außen haben, will sie so besser miteinander verknüpfen. Als Beispiele nannte Mogherini Energie, Handel, Migration, Klima und Umwelt.
Viele Hoffnungen werden mit der charismatischen Italienerin verbunden. Sie soll der Außenpolitik der EU neuen Schwung geben. Ihre Vorgängerin, die Britin Catherine Ashton, hatte nur wenige mit ihrer manchmal unbeholfenen Art überzeugen können. Mehrfach wurde Ashton dafür kritisiert, bei wichtigen Gelegenheiten nicht persönlich vor Ort gewesen zu sein. Das wolle Mogherini besser machen.

Auf Anregung des Kollegen Daniel Brössler erhält Federica Mogherini den Hans-Dietrich-Genscher-Preis für diplomatische Leerformeln.

 

Das Voting

Unser Voting orientiert sich an einem seit vielen Jahren international anerkannten System: dem Bewertungssystem für Eistanz und Eiskunstlauf. Dabei können für jede Wertung zwischen 1 und 10 Punkte vergeben werden.

Im Pflichtteil werden Noten vergeben für die politische Erfahrung, das Konzept (also welche Vorhaben der Kandidat in seinem Ressort hat) und seine Überzeugungskraft.

Die Kür besteht aus der Entschlossenheit (sich auch an schwierige Themen zu wagen), der bisherigen Fachkompetenz und der audiovisuellen Kompetenz (die vor allem für uns Journalisten von großer Bedeutung ist).

 

Folge des Vorsingens verpasst?

Was bislang geschah:

Tag 4: Defizite und Erinnerungsfotos

Tag 3: “Ich bin nicht hier als Vertreter der City of London”

Tag 2: Grenzzäune für Migranten und große Gesten

Tag 1: Süße Kinder und unbekannte Mails