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Bundestag, Morgens um 7 (c) Falk Steiner
Bundestag, Morgens um 7 (c) Falk Steiner
07.11.2014

Der NSA-Untersuchungsausschuss: Und ewig grüßt das Staatswohl

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Ein halbes Jahr arbeitet er nun, der Untersuchungsausschuss zur NSA-Affäre. 18 Zeugen und Sachverständige traten bislang vor den Ausschuss, der sich langsam vorantastet – und dabei mit einigen Widrigkeiten zu kämpfen hat.

Donnerstag, in einer Sitzungswoche, das heißt für mich: NSA-Untersuchungsausschuss. Tage, für die ich keine Abendtermine mache, weil es unwahrscheinlich ist, dass ich sie einhalten kann. Bislang begannen die Abgeordneten ihre Sitzungen immer um 11 Uhr mit einer gut einstündigen Beratungssitzung. Das soll sich nun ändern, denn gleich mehrfach stieß der Ausschuss bei der Zeugenbefragung an eine unüberwindbare Grenze: Allerspätestens um 1 Uhr morgens macht der stenografische Dienst des Bundestages, also diejenigen, die jede Silbe in Windeseile mitprotokollieren und hinterher das offizielle Protokoll anfertigen, Feierabend. Aber bis dahin gibt es höchstens einmal 15 Minuten kurze Pausen, selten eine Sitzungsunterbrechung aufgrund namentlicher Abstimmungen im Plenum. Wer sich also auf Grund von Fernsehbildern fragt, wo die Abgeordneten sind, wenn sie nicht im Plenarsaal sitzen: zum Beispiel in diesem Untersuchungsausschuss.

Herr T. B. wird lange befragt, von etwa 12 bis nach 18 Uhr. Er war Leiter einer gemeinsamen Einheit von BND- und NSA-Mitarbeitern in Bad Aibling und muss viel erklären, kann aber auf viele Fragen auch keine Antworten geben – weil er sie schlicht nicht beantworten kann, nicht darf oder das zumindest nicht in öffentlicher Sitzung.

Immer wieder kommuniziert er mit seinem Rechtsbeistand, dem Berliner Anwalt Johnny Eisenberg. Der hat immer eine taz dabei, die er auf den Tisch legt. Dazu ein sehr altmodisch wirkendes Telefon, wohl ein frühes Smartphone, auf dem er gerne auch mal unter dem Tisch herumtippt. Manchmal wirkt Eisenberg sehr genervt, wenn er glaubt, dass die von ihm betreuten Zeugen zu etwas gar nichts sagen dürften. Er verweist auch schon einmal die Fragenden darauf, dass etwas nicht Untersuchungsgegenstand sei. Dabei fällt diese Einschätzung eigentlich gar nicht in seine Zuständigkeit, er ist nur da, um den Zeugen zu beraten.

Immer wieder geht der Blick von T. B. schräg links hinter ihn. Dort sitzen die Vertreter der Bundesregierung. Philipp Wolff vom Kanzleramt ist in dem Ausschuss die Stimme der Bundesregierung. Sein Sitznachbar Torsten Akmann, im Innenministerium lange Jahre im Referat ÖS III 3 unter anderem für Geheimschutz und Spionageabwehr zuständig, früher auch schon einmal im Kanzleramt, zupft Wolff gerne am Ärmel, damit der ins Geschehen eingreift. Wenn es zu konkret wird, wird auf den nichtöffentlichen, teils als Geheim eingestuften Teil der Ausschusssitzungen verwiesen. Besonders problematisch findet die Bundesregierung alles, was zu detailliert ist – ob zu den Partnerdiensten oder zu der Arbeit des BND. Rückschlüsse auf die heutigen Fähigkeiten oder Unfähigkeiten des BND will die Bundesregierung vermeiden.

In der zweiten Reihe, hinter der Regierungsbank, sitzen Vertreter, die kein Namensschild tragen, die aber teilweise wohl zu den deutschen Nachrichtendiensten gehören. Wer sie genau sind, verraten sie nicht. Aber irgendwie gehören sie zur Bundesregierung wohl dazu und gehören zu den etwa 60 Leuten, die hier im Europasaal im Paul-Löbe-Haus, dem zweitgrößten Ausschusssaal des Parlamentes, eine Gemeinschaft auf Zeit bilden.

Die meisten Journalisten, die die Ausschussarbeit begleiten, kennen sich. Mitschriften werden untereinander ausgetauscht, wenn einer mal kurz telefonieren gehen muss oder etwas trinken möchte. Das ist auf der Besuchertribüne genau so wenig erlaubt wie essen. Stunde um Stunde beobachten wir dort das Geschehen. Und was wir dort zu sehen bekommen, ist oft zäh – und am Ende doch erkenntnisreich. In der Presse wurde im Sommer davon berichtet, dass der BND am Standort Bad Aibling zwischen 2004 und 2008 Daten aus einem Frankfurter Internetknotenpunkt verarbeitete. Eikonal soll der Name des Projektes sein. T. B. müsste davon wissen.

Patrick Sensburg: Gab es auch leitungsgebundene Kommunikation? Stichwort „Eikonal“…
T. B.: Ja.

Sensburg: „Wo kamen die Daten her? Von welcher Dienststelle? Direkt aus
Datennetzen? Vom De-Cix?“
Zeuge T. B. überlegt länger… : „Bitte nur nichtöffentlich.“
Sensburg: „Geht das über den Umweg Berlin, Pullach oder sonstwo?“
T. B.: „Direkt zu uns ist nichts gegangen.“

Sensburg: War das der größere Teil der Daten oder waren es mehr Satellitendaten? Waren Satelliten also nicht so effizient?
T. B.: Sagt, dass leitungsgebundene Verkehre aus seiner Sicht nicht effizienter seien. „Das war im Grundsatz noch schlimmer, weil einfach das Risiko an der Stelle noch größer war und damit der Druck, 100 Prozent filtern zu müssen.“

Sensburg: „Also wenn wir Daten von deutschen Internetkabeln abzweigen, dann besteht da ein hohes Risiko dass da Daten von Deutschen dabei sind. da mussten sie einen
hohen Aufwand betreiben.“
T. B.: „Ja.“

(Hinweis: Das ist kein genaues Wortprotokoll, sondern vom Autor zur Verständlichkeit vervollständigte Mitschriftteilsätze, die aber hoffentlich den Sinn korrekt wiedergeben)

Puzzleteil für Puzzleteil ergibt sich durch die Befragungen so ein Bild von dem, wie der BND arbeitet, wie die Zusammenarbeit mit der NSA aussah. Vieles ist keineswegs schmeichelhaft für den Auslandsgeheimdienst. Ob Funktionsträgertheorie oder Weltraumtheorie: gerade im Bereich der kreativen Rechtsfortbildung ohne Auftrag hat der BND sich einiges geleistet, woraus der Bundestag eigene Schlüsse wird ziehen müssen. Anderes gereicht ihm wohl eher zur Ehre, auch wenn nicht immer ganz klar wird, ob Dinge aus Unvermögen – ob durch technische, rechtliche und finanzielle Restriktionen oder in Ermangelungen von Kompetenz – geschehen sind. So scheint eine massenhafte Datenweitergabe der Daten deutscher Bürger durch den BND nicht stattgefunden zu haben, wenn man den Zeugenaussagen glauben schenkt. Auch Daten von US-Bürgern hätte man herauszufiltern versucht, um sie dann nicht weiterzuverarbeiten, so die Zeugen. Genaueres dazu erfahren wir in öffentlicher Sitzung heute jedoch nicht. Offen bleibt auch, ob Daten deutscher Bürger von anderen Diensten an den BND gegeben wurden.

Wie versteht man, was da passiert? Manchmal helfen Visualisierungen, auch wenn sie nicht als Kunstwerke gelten können. (c) Falk Steiner/Deutschlandradio Hauptstadtstudio

Wie versteht man, was da passiert? Manchmal helfen Visualisierungen, auch wenn sie nicht als Kunstwerke gelten können. (c) Falk Steiner/Deutschlandradio Hauptstadtstudio

Je länger die Befragung dauert, desto ungehaltener wird der Zeugenbeistand. Auch die Abgeordneten werden grantiger. Streit darum, wie weit der Untersuchungsauftrag reicht, gehört zum Standardrepertoire. Dabei ist der erstaunlich weit gefasst, was den BND betrifft. Weshalb im Zweifel immer das Staatswohl – ein relativ schwammiger Begriff, über den sich schon der vorangegangene BND-Untersuchungsausschus mit der damaligen Bundesregierung bis zum Bundesverfassungsgericht stritt, das aber erst am Ende der Legislatur urteilte – herhalten muss, um eine Befragung an auch nur annähernd heiklen Stellen abzubrechen.

Es wird, wieder einmal, sehr spät im Sitzungssaal über dem Restaurant im Paul-Löbe-Haus, direkt im Spreeknick gelegen. Frau G. L. will auch noch vernommen werden, wartet seit Stunden in einem Raum auf ihren Auftritt. Auch sie ist eine hochrangige BND-Beamtin, Mathematikerin, ich schätze sie auf etwa 60 Jahre an Alter. Seit ihrem Studium ist sie im BND tätig und sie war die Nachfolgerin vom vorangengangenen Zeugen T. B. in Bad Aibling, wenn auch nur für relativ kurze Zeit. Heute verantwortet sie die Softwareentwicklung im Bereich Datenbanken in der BND-Zentrale.

Die Befragung ist extrem schwierig, da die Zeugin große Gedächtnislücken angibt – manchmal auch sagt, dass sie etwas überhaupt nie gewusst habe. Sie habe auch nicht in alte Akten geschaut, um wirklich klar trennen zu können, an was sie sich wirklich noch erinnern könne. Ihre Zeit in Aibling sei ja auch schon einige Jahre her. Rechtsbeistand Johnny Eisenberg freut sich, sagt, für einen Strafverteidiger sei das eine gute Ausgangslage. Der ist er hier zwar nicht, aber immerhin hat auch er heute mal einen Grund, sich zu freuen.

Einige der Fragen scheinen Frau L. eher zu amüsieren, ob sie Quellcode lesen könne zum Beispiel. Komme halt auf die Programmiersprache an, davon gebe es viele. Frau L. scheint in der Hierarchie des Dienstes so weit oben zu sein, dass sie sich mit derart niedrigen Aufgaben schon länger nicht mehr beschäftigt. Mehrfach schaut sie auf die Armbanduhr am linken Handgelenk. Teils antwortet sie wie aus der Pistole und exakt, teils wirkt sie aber auch so, als ob sie gleich losheulen wollte, weil sie die Fragen nicht versteht. Manchmal wirkt sie fast schon pampig, wenn sie nachfragt, wie Fragen zu verstehen seien. Die Sitzung wird etwa um 22 Uhr beendet.

Es ist spät geworden an der Spree, von der Herbstsonne lang nichts mehr zu sehen. Frau L. streift sich ihren braunen Mantel mit dem karierten Innenfutter über das ebenso braune Jackett. Die Kameraleute sind schon lange weg, sie verlässt den Saal zusammen mit ihrem Rechtsbeistand wesentlich öffentlicher, als sie gekommen ist. Niemand macht ein Foto, irgendwie wäre das wohl auch unanständig. Frau L. wird, genau wie ihr Vorgänger T. B., wiederkommen müssen. Zumindest für die nichtöffentliche Befragung. Der Untersuchungsausschuss hat noch viele weitere Zeugen vor sich. Immer Donnerstags, von Vormittags bis Spätabends.

Etwa 15 Beobachter saßen bis zum Schluss auf der Tribüne. Ich bin der letzte, der mit einem Mikrofon bewaffnet ist, schnappe mir die Obleute der Fraktionen, befrage sie kurz und laufe in Richtung Hauptstadtstudio. 10 Stunden Zeugenvernehmung, erzählt in 3 Minuten Sendezeit. Schnipp, schnapp, am Ende wird es doch noch fast knapp für „Das war der Tag“. 23:45 Uhr läuft mein Stück, da sitze ich in der Tram nach Hause und höre zu. Mir fällt ein Fehler auf – zum Glück kein inhaltlicher. Am kommenden Donnerstag sollen die nächsten Zeugen aussagen.