Berlin, Brüssel, Medien
Helmut Kohl / © Uwe Anspach/dpa
14.11.2014

Johannes Paul II und Helmut Kohl: Schmerzensmänner und Glaubensbekenntnisse

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Neulich hatte ich die Gelegenheit, Helmut Kohl zu beobachten, als er in Frankfurt sein jüngstes Buch „Aus Sorge um Europa“ vorstellte. Ein paar Tage später flatterte die Sonderausgabe der BILD-Zeitung zum 9. November in unseren Briefkasten, darin – als politischer Centerfold – wieder Kohl: ein einsamer Koloss im Rollstuhl vor dem nächtlich erleuchteten Brandenburger Tor. Es wird an einem Denkmal gearbeitet. Noch zu Lebzeiten wird Helmut Kohl zum Monument seiner selbst modelliert.  Seine Auftritte haben Regisseure, ein historisches Vorbild und einen im wahrsten Sinne des Wortes höheren Sinn.

Welchen Anteil Kohl selbst daran hat, ist schwer zu beurteilen.  Seine Frau Maike Kohl-Richter sitzt bei seinen Auftritten neben ihrem Mann, schiebt ihm Sprechzettel zu und souffliert wenn nötig. Kai Dieckmann, BILD Chefredakteur, Freund und Trauzeuge der Kohls steht im Hintergrund und sorgt dafür, dass der Altkanzler am nächsten Tag massenwirksam ins rechte Licht gerückt wird. Das jüngere Publikum wird in Echtzeit über Twitter beliefert.

Die Neuinszenierung Kohls wendet eine aus dem Sakralen stammenden Ikonographie ins Politische: der gebrochene Körper wird zum Sinnbild lebendiger Glaubenskraft stilisiert.  Die Katholiken Kohl und Diekmann wissen, wie man das macht. Beide kannten und verehrten Papst Johannes Paul II., der den Verfall seiner Gesundheit wie kein anderer vor ihm zum massenmedialen Ereignis machte. Die Auftritte des greisen Papstes und des Altkanzlers ähneln sich in Bild und Ton:

Papst Johannes Paul II. wird heiliggesprochen / © EPA/FILIPPO MONTEFORTE/dpa

Papst Johannes Paul II.: Glaubt an Gott / © EPA/FILIPPO MONTEFORTE/dpa

Johannes Paul bezeugte mit letzter Kraft seinen katholischen Glauben. Kohl zeigt sich als in seinen Überzeugungen ungebrochener Schmerzensmann jener politischen Idee, der er sein Leben gewidmet hat: Europa.

 Helmut Kohl / © Uwe Anspach/dpa

Helmut Kohl: Glaubt an Europa / © Uwe Anspach/dpa

Der Sinn- und Orientierungskrise Europas setzt Kohl die Unerschütterlichkeit eines politischen Glaubensbekenntnisses entgegen. So macht sein jüngstes Buch vor allem als zivilreligiöse Bekenntnisschrift Sinn.  Es geht nicht darum, Konzepte zur Bankenaufsicht, Methoden der Haushaltskontrolle oder Vorschläge zur parlamentarischen Legitimation einer politisch vertieften Union zu konkretisieren. Der Kern des Buches ist eine politische Confessio: „Ich glaube an Europa“.

Kohl hat verstanden, dass es in den Auseinandersetzungen über die künftige Ordnung Europas um Glaubenskämpfe geht. Man kann sich leicht ausmalen, mit welcher Wut vor allem in Großbritannien registriert wurde, wie sich der neue, ohnehin als Repräsentant des alten Europas verachtete Kommissionspräsident Jean Claude Juncker ausgerechnet am ersten Tag seiner Amtszeit bei der Frankfurter Buchpräsentation an der Seite Kohls präsentierte. Bewusst hatte Juncker den Beginn seiner Präsidentschaft als politische Pilgerfahrt angelegt: zunächst fuhr er zu Kohl, dann wollte er Jacques Delors in Paris einen symbolträchtigen Antrittsbesuch abstatten. Allein die Veröffentlichungen über die luxemburgischen Steuerprofite machten Juncker einen Strich durch die Rechnung und zwangen ihn kurzfristig dazu, das Büßergewand anzulegen.

Die alten Recken der Europapolitik wissen, welche Herausforderungen auf die Union erst noch zukommen: die Wirtschafts- und Währungskrise ist längst nicht überwunden. In Großbritannien stehen Wahlen und dann ein Referendum über einen Austritt aus der EU an. Der Konflikt in der Ukraine führt dem schockstarren Publikum vor Augen, dass die Friedensordnung, die für die europäische Gründergeneration bis hin zu Kohl und Mitterand im Zentrum ihres Denkens stand, noch nicht vollendet ist. Doch wohin und mit welchem Selbstverständnis sich Europa in den kommenden Jahren weiter entwickelt, ist ungewiss. Merkel managt den Kurs der kleinen Schritte, Hollande ist immer noch auf der Suche nach sich selbst und Cameron bleibt, was Europa angeht, so zerrissen wie sein Land.

Wo es so wenig Wegweisung für die Zukunft gibt, bleibt die Hoffnung, Kraft aus den Gewissheiten der Vergangenheit schöpfen zu können. Wer nicht weiß, wohin er strebt, tut gut daran, sich wenigstens über seine Herkunft zu vergewissern. Vor diesem Hintergrund sucht Helmut Kohl die Vollendung seines Wirkens: als lebende Monstranz der europäischen Integrationisten und historischer Orientierungspunkt in den politischen Glaubenskämpfen der Zukunft.

Kommentare zu diesem Beitrag (3)

  1. Sammy P. | 20. November 2014, 21:32 Uhr

    Spannend, aber ...

    Dieser Text über die Selbstinszenierung des Altkanzlers ist hochinteressant. Der ikonographische Vergleich mit Papst Johannes Paul II. ist erhellend und nachvollziehbar.

    Warum nur ist dieses Blog allerdings so schlunzig inszeniert? „Es tut uns leid, aber der Autor dieses Artikels hat keine Informationen über sich hinterlassen“, lese ich da. Oder: „Noch keine Daten vorhanden.“ Auch mit WordPress geht das – ganz sicher – besser.

    Ich frage mich nun: Das ist doch nicht wirklich vom Deutschlandfunk, oder?

    Mit freundlichen Grüßen,
    Sammy P.

    • Stephan Detjen | 24. November 2014, 11:52 Uhr

      Danke, Sammy P.

      Lieber Sammy P.

      danke für Ihre Kritik. Den Autorenhinweis habe ich gleich nachgetragen. Es gibt eine ganze Reihe von Dingen, die wir gerne noch schöner und besser machen würden. Wir lernen, auch durch Ihre Hinweise.

      Viele Grüße
      Stephan Detjen

  2. Stephan Ozsváth | 21. November 2014, 7:57 Uhr

    Tolle Idee

    Lieber Stephan Detjen, tolle Idee, die beiden „Schmerzensmänner“ ästhetisch miteinander zu vergleichen. Das ist ein sehr origineller Ansatz. Jetzt wäre natürlich interessant zu erfahren, wer sind die Maikes und Diekmanns im Fall Benedikt? Gänswein? Von dem war vor einiger Zeit ein hochinteressantes Interview in der „Bunte“ zu lesen. Da positioniert er sich annähernd klar – sagen wir mal – nicht gerade als Franziskus-Freund.

    Mit kollegialen Grüßen aus Europas Südosten Stephan Ozsváth