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Jean-Claude Juncker bei der Vorstellung seines Investitionsplans im EU-Parlament © European Union, 2014
Jean-Claude Juncker bei der Vorstellung seines Investitionsplans im EU-Parlament © European Union, 2014
26.11.2014

Aus 21 mache 315: Junckers Investitionsprogramm

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Ein gewaltiges Investitionsprogramm soll Europas lahmender Wirtschaft wieder auf die Beine helfen. Kommissionspräsident Juncker hat heute im Parlament seinen 315 Milliarden Euro schweren Investitionsplan vorgestellt. Und das, ohne dass ihm die Staats- und Regierungschefs bisher auch nur einen einzigen Euro dafür spendiert haben. Das Geld dafür wird aus dem bisherigen Haushalt der EU umgeschichtet – und dann von 21 Milliarden auf 315 Milliarden Euro gehebelt. Alles Hokuspokus oder ein seriöses Konzept? Die Unterstützung der Bundeskanzlerin hat Juncker jedenfalls schon.

Im Stile eines Werbespots des IT-Riesen Apple präsentiert Junckers Vizepräsident für Investitionen und Wachstum, Jyrki Katainen, den lang erwarteten Investitionsplan, den Juncker heute offiziell vorgestellt hat:

 

„We are investing in your future“ heißt es am Ende des Spots. Genau genommen müsste es aber etwas sperriger heißen: „We will try to convince investors to invest in your future“.

 

Die Investitionslücke

Einigkeit herrscht darüber, dass in Europa mehr investiert werden muss. Die Jahre der Austeritätspolitik haben ihre Spuren hinterlassen – viele Projekte, die dringend Geld brauchen, liegen auf Eis. Im Vergleich zum Spitzenjahr 2007 ist die investierte Summe in der EU um 15 Prozent oder 430 Milliarden Euro zurückgegangen. Das hat sogar Bundesfinanzminister Schäuble erkannt und ein Zehn-Milliarden-Programm angekündigt, das er ohne Neuverschuldung stemmen will.

Juncker will einen anderen Weg gehen und private Investoren überzeugen. Und Geld ist reichlich vorhanden. In der Eurozone wird das schon an den Leitzinsen der EZB deutlich, die bei fast Null liegen. Banken müssen sogar Strafzinsen zahlen, wollen sie Geld bei der Zentralbank einlagern. Die Kreditvergabe an Unternehmen stockt trotzdem.

Befürworter: Mit dem Programm geht Juncker gegen die Investitionslücke vor. Im Zusammenspiel mit Haushaltsdisziplin und Strukturreformen kann so die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen gestärkt und das Wachstum angekurbelt werden. Außerdem verabschiedet sich Juncker so von der Austeritätspolitik, mit der die Konjunktur kaputtgespart wurde.

Kritiker: Wenn Privatinvestoren ihr Geld in Projekte stecken, wollen sie dafür auch eine Rendite sehen. In der Wirtschaft ist das ein selbstverständliches Vorgehen. Wird im öffentlichen Bereich investiert, zum Beispiel in Verkehrsnetze oder im Bildungsbereich, dann zahlen am Ende die Bürger die Gewinne der Investoren über die Steuern. Das kann beispielsweise über Nutzungsgebühren für Straßen oder direkt aus den Haushalten bei Public-Private-Partnership-Modellen der Fall sein.

Die Linke geht allerdings davon aus, dass sowieso kaum Investoren angelockt werden können. Durch die geringe Kaufkraft fehle die Nachfrage – Investitionen lohnten sich nicht. Denkbar ist auch, dass vor allem in hochrentable, sichere Projekte investiert wird. Diese Projekte könnten sich aber am Markt selbst finanzieren. Für Breitbandverbindungen im ländlichen Raum, die immer wieder als entscheidend für den digitalen Binnenmarkt genannt werden, finden sich so keine Geldgeber. Die Sozialdemokraten im Europaparlament fordern deshalb, ein System von Garantien, Darlehen und Zuschüssen zu schaffen.

 

Das EU-Geld

Welches Geld fließt nun eigentlich? Aus dem Haushalt der EU sollen acht Milliarden Euro in den zu gründenden „Europäischen Fonds für strategische Investitionen“ gesteckt werden. Das Geld fließt tatsächlich und stammt aus dem EU-Haushalt selbst und aus den Programmen „Connecting Europe“ und „Horizon 2020„. Mit diesen acht Milliarden will die EU dann Garantien im Gesamtumfang von 16 Milliarden Euro übernehmen. Hinzu kommen fünf Milliarden Euro aus dem Topf der Europäischen Investitionsbank. So stehen am Ende 21 Milliarden Euro zur Verfügung.

Kritiker: Bereits verplantes Geld aus dem EU-Haushalt und aus EU-Programmen wird für Junckers Plan anderswo abgezogen und fehlt dort.

Befürworter: Die milliardenschweren Strukturfonds setzen ihr Geld heute nicht sinnvoll genug ein. Mit dem neuen Fonds kann das Wachstum besser gefördert werden.

 

Der Hebel

Die umdeklarierten 21 Milliarden Euro sollen nicht direkt ausgegeben, sondern zur Absicherung eingesetzt werden. Damit übernimmt der Fonds einen Teil des Risikos und schafft Investitionsanreize. Die Projekte werden nicht zu 100 Prozent abgesichert. Das Vorgehen ist ähnlich dem einer Bank. Die vergibt Kredite und behält nur für einen kleinen Anteil der ausgegebenen Kredite eine Mindestreserve. Sollte ein Schuldner seinen Kredit nicht zurückzahlen können, kann der Verlust damit ausgeglichen werden. So sollen mit 21 Milliarden Investitionen in Höhe von 315 Milliarden Euro abgesichert werden.

Werner Hoyer, Chef der Europäischen Investitionsbank, soll Junckers Plan umsetzen

Werner Hoyer, Chef der Europäischen Investitionsbank, soll Junckers Plan umsetzen

Kritiker: Der geplante Hebel ist deutlich „länger“, als Banken ihn ansetzen dürfen. Mit dem Basel-III-Abkommen wurden Lehren aus der Finanzkrise gezogen und Banken strengere Pflichten bei ihrem Eigenkapital auferlegt. Mit rund 6,7 Prozent Eigenkapital läge der EU-Fonds unter diesen Anforderungen.

Befürworter: Solche Hebel sind nichts Ungewöhnliches. Beispielsweise liegt der Hebelfaktor des Programmes ELENA der Europäischen Investitionsbank bei 20.

 

Die Staatsverschuldung

Dadurch, dass Juncker das Geld von privaten Investoren, wie Versicherungen oder (Renten-)Fonds holen will, werden die Haushalte der (teilweise wirtschaftlich angeschlagenen) EU-Staaten nicht zusätzlich belastet.

Kritiker: 315 Milliarden Euro für Projekte, die innerhalb der nächsten drei Jahre anlaufen sollen und bis zu 20 Jahre Laufzeit haben, sind nicht genug, um die europäische Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen. Die Linke im Europaparlament fordert deshalb öffentliche Investitionen in Höhe von mindestens 250 Milliarden Euro – pro Jahr. Diese könnten auch in Form von Krediten für kleine und mittlere Unternehmen durch die Europäische Investitionsbank ausgegeben werden.

Befürworter: Öffentliches Geld heißt (für fast alle Staaten) neue Schulden. Mit Junckers Plan müssen die schon an sich wirtschaftlich angeschlagenen Staaten nicht noch durch zusätzliche Schulden und damit Zinsen mehrbelastet werden. Sind Staaten trotzdem bereit, sich am neuen „Europäischen Fonds für strategische Investitionen“ zu beteiligen, dann wird ihnen diese Summe beim Staatsdefizit positiv angerechnet. Sollte ein Staat also gegen die Defizitkriterien der EU verstoßen, dann wird der Beitrag zum Fonds gegengerechnet.

 

Das Risiko

Die EU übernimmt für die Investitionen einen Teil der Risiken. Im schlimmsten Fall könnten also die gesamten 21 Milliarden Euro verloren gehen.

Kritiker: Damit wird das Risiko der Investoren auf die Gesellschaft abgewälzt, während der Gewinn in Privathand bleibt.

Befürworter: Das Risiko von 21 Milliarden Euro steht in einem vertretbaren Verhältnis zu den auszulösenden Investitionen von 315 Milliarden Euro.

 

Überzeugungsarbeit

Bevor Juncker Investoren überzeugen kann, ihr Geld in EU-Projekte zu stecken, muss er erst einmal die Staats- und Regierungschefs und das Parlament von seinem Vorhaben überzeugen. Unter den Abgeordneten dürfte ihm eine Mehrheit sicher sein. Konservative EVP, Sozialdemokraten, Liberale und Grüne signalisierten – wenn auch mit Kritik in einigen Punkten – ihre Zustimmung.

Auch Bundeskanzlerin Merkel hat er hinter sich. In der heutigen Generaldebatte zum Bundeshaushalt sagte sie ihm ihre Unterstützung zu und forderte vor allem Investitionen in die Digitalisierung und mahnte Strukturreformen an – auch in den Mitgliedsstaaten:

 

 

Es kommt zentral auf einen investitionsfreundlichen Rahmen an – etwa durch Bürokratieabbau – um kleine und mittlere Unternehmen als wichtige Träger von Wachstum und Beschäftigung zu entlasten, sowie durch die notwendigen Strukturreformen in den Mitgliedsstaaten um Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung zu stärken.

Im Januar will Juncker seinen Vorschlag als Entwurf einer Verordnung vorlegen. Bis Juni soll die dann von Rat und Parlament verabschiedet werden.