Berlin, Brüssel, EU-Kommission, Medien, Verbraucherpolitik
EU-Kommission: Topfhandschuhe müssen auch vor Hitze schützen. Foto: Thomas Otto
EU-Kommission: Topfhandschuhe müssen auch vor Hitze schützen. Foto: Thomas Otto
11.12.2014

Irre Brüssel-Bürokraten wollen Topfhandschuhe regulieren!

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„Irre Brüsseler Bürokraten! Der Regulierungs-Wahnsinn geht jetzt so weit, dass die EU sogar über Topfhandschuhe bestimmen will. Gibt es nichts Besseres zu tun?“ So wütend und verkürzt wurde über einen Kommissionsvorschlag berichtet, der eigentlich das genaue Gegenteil von Bürokratisierung ist. Mit solcher Aufregung über Nichtigkeiten spielen Medien aber nur populistischen EU-Kritikern in die Hände, findet Thomas Otto.

Es geht um sogenannte persönliche Schutzausrüstung, also Handschuhe, Helme, schuss- und stichsichere Westen und so weiter, die eine bestimmte Schutzfunktion haben. Bisher gab es lediglich EU-Vorschriften für Schutzausrüstung im professionellen Bereich. Nun soll das auch auf den privaten Bereich ausgedehnt werden, also z.B. auch auf Topf- und Spülhandschuhe. Für bild.de und die gedruckte Bild ein weiterer Beweis für EU-Irrsinn.

 

Aufreger-Überschrift auf bild.de. Quelle: bild.de

Aufreger-Überschrift auf bild.de. Screenshot: bild.de

 

Um den vermeintlichen bürokratischen Wahnsinn zu untermauern, fügt bild.de auch noch ein Zitat des CDU-Europaabgeordneten Andreas Schwab an, der sich recht allgemein darüber aufregt.

 

Screenshot: bild.de

Screenshot: bild.de

 

Und auch die Wirtschaftswoche stimmt in das Klagelied ein und kürt den Vorschlag gleich zu einer der „kuriosesten EU-Verordnungen“, neben Regeln zu Inhaltswarnungen für Allergiker oder Maßnahmen gegen Geldwäsche. Eigene Recherche: Fehlanzeige.

Nur die halbe Wahrheit

Was die Bild- und WiWo-Redakteure vor lauter Schaum vorm Mund übersehen haben: Es geht keinesfalls um unnötige Bürokratie. Warum soll für Schutzausrüstung im privaten Bereich nicht das Gleiche gelten, wie für professionelle Ausrüstung? Warum soll jemand tagsüber mit geprüfter Schutzausrüstung gefährliche Arbeiten sicher bewältigen, und sich abends mit minderwertigen Topfhandschuhen die Finger verbrennen?

Wo BILD und andere Kritiker mehr Bürokratie sehen, will die Kommission Bürokratie abbauen. So sollen Probleme mit der bisherigen (fast 20 Jahre alten) Gesetzgebung beseitigt und Definitionen und Pflichten für die Hersteller vereinheitlicht werden. Die bisherige Richtlinie soll in eine Verordnung umgewandelt werden, wodurch sie direkt in allen Mitgliedsstaaten gilt und nicht erst in nationales Recht umgesetzt werden muss. Das spart neue Gesetzgebung in 28 Staaten und schafft einheitliche Regeln für die Hersteller in der gesamten EU.

Weder bei der öffentlichen Konsultation, noch von Seiten der Hersteller habe es laut Kommission substanzielle Kritik an dem Vorschlag gegeben. Natürlich werden einige Hersteller die Preise anheben müssen, wenn sie ihre Produkte sicherer machen müssen. Aber ist das nicht Sinn von Schutzausrüstung, dass sie schützt? In ihrer Folgenabschätzung geht die Kommission davon aus, dass die zusätzlichen Kosten für die neue Zertifizierung privater Sicherheitsausrüstung aufgrund der hohen Stückzahl verschwindend gering sein werden.

Aufregung-Recherche=Aufmerksamkeit

Wieso also diese Aufregung? Weil sie Klicks und Auflage bringt. Oder zumindest Aufmerksamkeit. Undifferenzierte Vorurteile nach Art „Die da in Brüssel machen doch eh, was sie wollen“ oder „Diese Bürokraten haben doch den Bezug zur Realität verloren“ werden befeuert. Rechtspopulisten und EU-Abschaffer reiben sich da die Hände. Oder wie bild.de-Leser es formulieren:

roter flitzer: „Bitte,Bitte vernichtet diese EU!!!!!!!!!!!!!!“

N T: „Stoppt diesen Wahnsinn“€U“. So was kommt dabei raus,wenn Beamte den ganzen Tag nicht wissen was sie machen sollen.“

Marleen Scholz: „Schmeißt diese unfähigen Leute aus Ihren Ämtern……..es gibt wichtigeres in Deutschland!!!!!!!!!
Der Tag wird kommen,wo diese Weichspüler nackt durch die Strassen getrieben werden.“

Wirkliche Recherche findet hingegen nicht statt. Denn neben dem Populismus der CDU gibt es auch Befürworter, wie die SPD-Abgeordnete Kerstin Westphal. Die kommt aber nur in dem Artikel der Kölnischen Rundschau zu Wort. Eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Thema würde die Sache nur verkomplizieren und möglicherweise sogar noch zu Erkenntnisgewinn führen. Für einen typischen EU-Aufreger-Artikel also genau das Falsche.

Kommentare zu diesem Beitrag (9)

  1. Tim | 12. Dezember 2014, 9:11 Uhr

    Es ist vollkommen klar, daß sowas natürlich nur auf europäischer Ebene geregelt werden kann. Topfhandschuhe sind ein grenzüberschreitendes Phänomen, das länderübergreifende Regelungen unbedingt erfordert. Die Nationalstaaten sind überhaupt nicht in der Lage, das selbst anzugehen.

    Hallo? Subsidiarität ist offiziell noch immer ein europäischer Kernwert. Nimmt ihn überhaupt noch irgendwer ernst? Am besten alles zentral regeln.

    Aber der Autor ahnt ja offenbar schon selbst, welche Motivation hinter solchen Dingen steckt: Es wird einfacher und also lukrativer für die Hersteller, und es wird bequemer für die nationalen Gesetzgeber.

    Effizienz statt Wertetreue, das ist heute die europäische Realität. Und sie wird auch noch beklatscht.

  2. Th. Koch | 12. Dezember 2014, 9:52 Uhr

    Ewiger Dank den heldenhaften Beamten der EU

    Ja genau: Die EU rettet uns vor skrupellosen Herstellern von Spülhandschuhen, die sehenden Auges in Kauf nehmen, dass wir uns täglich an heißem Wasser verbrühen – ein seit Jahrzehnten ungelöstes und sträflich vernachlässigtes Problem, dem sich die EU endlich annimmt. Wie konnten die täglichen Gefährdungen und permanenten Verletzungen der Hausmänner und -frauen so lange übersehen werden? Liest man nicht täglich in der Zeitung, dass sich wieder jemand beim Spülen verbrüht hat, nachdem beim Kindergeburtstag wegen der fehlenden Zutatenliste allergiefördernde Nüsse gegessen wurden? Gut dass uns die EU davor schützt und gut dass dies im Verordnungswege geschieht, damit nicht auch noch nationale Parlamente mit demokratisch legitimierten Abgeordneten befragt werden müssen, dass ist ja sschließlich „umständlich“.

    Zusatzfragen: Wieso ist eigentlich Spülen ohne angemessene Schutzkleidung EU-rechtlch immer noch erlaubt? Ist eigentlich völlige Ahnungslosigkeit eine zwingende Voraussetzung für en Journalistenberuf, oder reicht einfache Obrigkeitshörigkeit aus?

  3. Tom | 12. Dezember 2014, 10:08 Uhr

    @Tim
    Einfacher und lukrativer für die Hersteller, bequemer für die nationalen Gesetzgeber – und sicherer für den Verbraucher nicht vergessen.

    Und was ist die bitteschön nationale Wertetreue bei der persönlichen Schutzausrüstung? Für unser Volk bitte nichts funktionierendes sondern das für die Hersteller billigste?

  4. Heini | 12. Dezember 2014, 10:39 Uhr

    Unnötiger Sarkasmus

    Beispiel Handschuhe:

    Ich muss in unserem Berieb teilweise Handschuhe evaluieren und einkaufen. Wenn ich für irgendeinen Zweck zu Hause einen entsprechenden Handschutz suche, gibt es manchmal schon Probleme. Im Baumarkt ist es inzwischen besser geworden, auch wenn sich dort keiner richtig auskennt. Im Haushaltsbereich ist es Standard, dass keine Information verfügbar ist.

    Das hat zur Folge, dass ich für bestimmte Tätigkeiten im Haushalt recht gutes Material verwenden kann, wenn ich aus dem Betrieb Schutzausrüstung mitnehmen darf. Gerade bei Topflappen ist es mir schon passiert, dass die zuerst gekauften Handschuhe nicht geeignet waren.

    Meine Güte, muss man alles regeln? An bestimmten Stellen bin ich dafür. Dank der „heldenhaften Beamten“ wird man sich vielleicht irgendwann darauf verlassen können, dass keine reinen Palcebo-Handschuhe mehr beim Reinigungsmaterial zu kaufen sind.

    Brauchen wir das wirklich? Solange wir nicht täglich und dauerhaft mit Reinigungsmitteln umgehen, ist der Handschutz im Haushalt ein untergeordnetes Problem. Arbeitet man selbst mit Beton, sehe ich das schon erheblich kritischer.

    Mal abgesehen davon – die EU schreibt einer Privatperson natürlich nicht vor, für jede Arbeit eine Gefährdungsanalyse durchzuführen. Das ist einfach nicht Aufgabe des Staates oder der Gemeinschaft. Den Verbrauchen gegen den Kauf von minderwertigem Material abzusichern, ist dagegen schon Teil der originären Aufgaben der EU.

  5. Noelia | 12. Dezember 2014, 11:19 Uhr

    Hoffentlich verschwinden...

    … dann möglichst schnell all‘ diese hübsch-hässlichen Teile vom Markt, die alle nichts taugen, Grill-Handschuhe, Topflappen und was es sonst noch so gibt.

    Ich habe mehrere Paare Laborhandschuhe im Haus, mit denen ich gefahrlos sowohl Gefriergut als auch extrem heiße Backbleche anfassen kann. Es sind Fingerhandschuhe, mit denen man im Gegensatz zu diesen schrecklichen Grillfäustlingen auch tatsächlich Dinge sicher greifen kann.

    Da die üblichen Gummi-Handschuhe aus dem Drogeriemarkt auch nicht wirklich sicher sind, benutzt ich zum Reinigen zu Haus Handschuhe, die ich auch im Labor-Fachhandel gekauft habe. Sie sind lange haltbar und säuredicht.

    Aber anscheinend haben diejenigen Redakteure, die jetzt so laut schreien, noch nie auch nur einen Tag Dinge im Haushalt erledigt, die über oberflächliches Staubwischen oder beim Pizza-Drive bestellen hinausgehen. Und sie haben mit Sicherheit nicht zu Recherche-Zwecken in Notfallambulanzen vorbeigeschaut, sonst hätten sie gemerkt, wie hoch dort der Anteil an vermeidbaren Verbrennungen/Verbrühungen der Hände ist, die bei Hausarbeiten passiert sind.

    Abgesehen davon neigt die EU in vielen Dingen, die private Haushalte betreffen, zu Überregulationen und Fehlentscheidungen.

  6. schmidt | 12. Dezember 2014, 16:02 Uhr

    Wo die EU wirklich dringend tätig werden muß, ist der Bildungssektor.
    Da ist vieles versäumt worden, wie zahllose Beiträge der BILDblöd-Leserschaft zeigen.
    Kaum einer ohne Rechtschreib- und Grammatikfehler. Dafür aber mit multiplen Satzzeichen, die letztlich auf ein gewisses Maß geistiger Umnachtung schließen lassen.

  7. Edding | 15. Dezember 2014, 9:20 Uhr

    @Noelia

    Ich würde mir mehr Gedanken darum machen, warum Sie in Ihrem Haushalt säuredichte Handschuhe brauchen …

  8. Sven | 16. Dezember 2014, 8:52 Uhr

    Subsidiarität und Binnenmarkt

    @ Tim:

    Natürlich könnten die Nationalstaaten Produktstandards festlegen – aber dann können wir den Binnenmarkt auch gleich wegwerfen. Dann dürfen nämlich in Autos, die in Deutschland verkauft werden, nur „sichere“ Schrauben aus deutschem Stahl verbaut werden; oder Topfhandschuhe, die in Frankreich verkauft werden sollen, müssen sicherheitshalber alle einmal in einem Testzentrum in Poitiers getestet werden.
    Die EU ist kein Staat, aber ein Binnenmarkt, und daher hat das nichts mit Subsidiarität zu tun, sondern mit freiwillig an Brüssel abgetretenen Kompetenzen.

  9. Stefan H. | 16. Dezember 2014, 15:23 Uhr

    Nun, die wenigsten scheinen sich mit dem Begriff „PSA“, sprich persönliche Schutzausrüstung nach dem Arbeitsschutzgesetz auszukennen. Hier geht es darum, den Menschen vor schädigenden Einflüssen zu beschützen. Dafür gibt es unter anderem Schutzhandschuhe, die je nach Art der Tätigkeit und des schädigenden Einflusses besondere Spezifikationen haben müssen.
    Sieht man aber in den privaten Sektor, kann selbst ein selbstgehäkelter Handschuh als Topfhandschuh verkauft werden. Wie viele von uns haben sich nicht schon die Pfoten verbrannt an diesen Billigteilen??

    Durch eine solche Verordnung werden MINDESTSTANDARTS festgelegt. Gleichzeitig dürfen dann auch nur solche Topfhandschuhe in die EU eingeführt und verkauft werden, wenn die im NICHT-EU-AUSLAND produzierten Topflappen den Mindestanforderungen der EU entsprechen.

    Es gibt dann eine EU-Einheitliche Vorgabe, die Hersteller lassen sich die Dinger dann zertifizieren (Konformitätserklärung) und können die Teile dann innerhalb Europas vertreiben.

    Eigentlich alles ganz einfach und in meinem Verständnis eine vernünftige Sache!

    In diesem Sinne….