Berlin, Bundespräsident, Bundesregierung, Innenpolitik, Medien, Parteien
Gebet in Moschee / Foto Michal Krumphanzl - dpa
13.01.2015

„Der Islam gehört zu Deutschland“ – curriculum vitae eines Satzes.

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Die Aussage, der Islam gehöre zu Deutschland, wird Christian Wulff zugeschrieben. Doch es war der damalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble, der ihn schon vier Jahre vor dem späteren Bundespräsidenten geprägt hatte. 2006 war auf Initiative Schäubles erstmals die Islamkonferenz zusammengekommen, die auch heute wieder tagte. Damals sagte Schäuble in seiner Eröffnungsrede: „Der Islam ist Teil Deutschlands und Europas“. Bis gestern, als Angela Merkel den Satz erneut aufgriff, wurde er immer mit einordnen und ergänzenden Bezügen – wie auf Europa oder die jüdisch christlichen Prägungen – der deutschen Kultur versehen. So auch als Christian Wulff am 3. Oktober seine Rede zum 20. Jahrestag der deutschen Einheit hielt:

Es heißt, der Satz gehe auf eine Anregung des afghanisch-stämmigen Fernsehproduzenden Walid Nakschabandi zurück, der während der Vorbereitungen zu der Einheitsrede von Wulffs Sprecher Olaf Glaeseker angerufen worden sei. Nakschabandi schrieb Wulff daraufhin einen Brief, in dem er über Sorgen und Ängste muslimischer Immigranten vor dem Hintergrund der damaligen Debatte über das Buch des ehemaligen Bundesbankvorstands Thilo Sarrazin berichtete. Seiner Ansicht nach gehöre der Islam zu Deutschland, schrieb Nakschabandi.

Als Wullf sich den Satz zu eigen machte, löste der Bundespräsident damit vor allem in der eigenen Partei heftige Abwehrreaktionen aus.

„Dass der Islam zu Deutschland gehört ist eine Tatsache, die sich auch aus der Historie nirgendwo belegen lässt“

sagte Hans Peter Friedrich (CSU), damals Schäubles Nachfolger im Amt des Bundesinnenministers. Er könne den Satz des Bundespräsidenten nicht unterschreiben. Ähnlich setzte sich der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach vom Staatsoberhaupt ab. Beide waren seit gestern auch die ersten Unionspolitiker, die der Kanzlerin widersprachen, als die sich erneut auf Wulff bezog.

Unmittelbar nach der Präsidentenrede von 2010 wich allerdings auch Angela Merkel noch einer klaren Positionierung aus. Zwei Tage nach der Rede Wulffs nahm Merkel an einer aufgewühlten Sitzung der CDU / CSU Bundestagsabgeordneten teil. Fraktionschef Kauder hatte zuvor gesagt, die Rede des Bundespräsidenten bedürfe „erklärender Interpretation“. Merkel wich einer deutlichen Festlegung aus:

 

Auch Joachim Gauck, setzte sich gleich zu Beginn seiner Amtszeit von seinem Vorgänger ab. „Nein“, er übernehme den Satz nicht, antwortete Gauck Ende Mai 2012 auf eine entsprechende Frage in einem Zeit-Interview und erklärte: „Ich hätte einfach gesagt, die Muslime, die hier leben, gehören zu Deutschland“. „Ein-Satz-Formulierungen“ über Zugehörigkeit seien immer problematisch, besonders wenn es um „so heikle Dinge“ gehe, wie die Religion, sagte Gauck.

Mit genau einem Satz aber griff Angela Merkel gestern das Thema wieder auf. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem türkischen Ministerpräsidenten Davutoğlu antwortete Merkel auf die Frage einer türkischen Journalistin, ob es für Türken und Moslems in Deutschland Anlass zur Beunruhigung gebe:

Anders als Christian Wulff 2010 sagte Merkel nicht, der Islam gehöre „auch“ zu Deutschland. Auf die relativierende Bezugnahme auf auf die christlich-jüdische Tradition verzichtete die Kanzlerin. Merkel fügte dafür hinzu, sie sei die Kanzlerin aller Deutschen. Das schließe alle ein, die hier lebten, egal welcher Herkunft sie seien. Auch Regierungssprecher Steffen Seibert verbreitete das Zitat sogleich über Twitter in der knappen Ein-Satz-Formulierung: „Der Islam gehört zu Deutschland“

Tweet Seibert

 

 

Kommentare zu diesem Beitrag (3)

  1. theo | 13. Januar 2015, 19:02 Uhr

    sehr aufschlussreich, aber...

    …. dass Schäuble den Satz „geprägt“ habe, wie es im Einstieg heisst, ist dann eigentlich nicht richtig. Denn prägend wurde er doch erst mit Wulf, oder?

  2. Kolja | 13. Januar 2015, 20:09 Uhr

    "Teil" ungleich "gehört zu"

    Meines Erachtens besteht ein entscheidender Unterschied zwischen „Der Islam ist Teil Deutschlands“ (Schäuble) zu „“Der Islam gehört zu Deutschland“. Alleine schon „Teil“ an sich, klingt „teilen“ mit heran, könte man jetzt einwenden, es wäre brüderlich „teilend“ zu verstehen, aber da es nicht um zwei Partner im Austausch geht, sondern daß eine (Teil) im Ganzen (Deutschland) aufgeht, liegt die verbindung zu „geteilt-sein“ näher. „Gehört zu“ läßt da keinen Spielraum. Auch ist mit der Verwendung eines Verbes die zeitliche Dimension umfassender: etwas gehört zu einem, es ist ein Attribut, die Beziehung wird ständig erfüllt, es geht nicht mehr weg, ist zugehörig. Ein „Teil“ ist halt auch da, wenn mans böse verstehen will, läßt diese Formulierung den Platz, für allerlei Bewertungen (es könnte oder soll wieder gehen, wir mögen es nicht, muß es sein) außer nicht -Existenz (es kann nicht gesagt werden, es sei nicht da). „Institution X ist Teil unseres Landes“ – „Institution X gehört zu unserem Land“, Meiner Meinung nach klingt ersteres deutlich austauschbarer als letzteres

  3. Andre | 13. Januar 2015, 22:46 Uhr

    Zugehörigkeit

    Die entscheidende Frage ist doch, wo der revolutionäre Gehalt seiner Aussage liegt. Mich interessiert mehr, was „deutscher Islam“ ist und was ihn anders macht als orientalen Islam.