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Schiedsgericht © European Union
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13.01.2015

ISDS-Schiedsgerichte: Ablehnung vs. konstruktive Kritik

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Die geplanten Investorenschutzverfahren (ISDS) im Freihandelsabkommen TTIP mit den USA sind extrem umstritten. Die starke öffentliche Kritik an diesen ISDS hatte die Kommission dazu bewogen, die Verhandlungen darüber auszusetzen und eine öffentliche Konsultation zu starten. Deren Ergebnisse liegen nun vor. Eine überwältigende Mehrheit der Beteiligten spricht sich gegen ISDS aus. Trotzdem ist die Kommission gezwungen, mit den USA über ISDS verhandeln.

Fast 150.000 Menschen haben sich an der öffentlichen Konsultation zu den umstrittenen Investorenschutzverfahren ISDS beteiligt – das ist Rekord. Nachdem der damalige Handelskommissar Karel De Gucht Anfang vergangenen Jahres die Verhandlungen um ISDS mit den USA auf Eis gelegt hatte, konnten sich sämtliche Bürger und Institutionen zu Wort melden und ihre Meinung zu den Verfahren der Kommission mitteilen. Diese öffentliche Konsultation fand von März bis Juli vergangenen Jahres statt. In diesem Zeitraum konnte jeder einen Online-Fragebogen ausfüllen und zu dreizehn verschiedenen Aspekten Stellung beziehen.

 

ISDS-Kritiker jubeln – zu Unrecht

 

Der allergrößte Teil der Einreichungen, etwa 97 Prozent, ist auf die Initiative von NGOs zurückzuführen. Sie hatten dazu aufgerufen, über ihre Webseiten an der Konsultation teilzunehmen. Dafür hatten sie vorgefertigte Antworten bereitgestellt, in denen sie ihre prinzipielle Kritik an Investorenschutzverfahren formulieren. Mit wenigen Klicks konnte sich so jeder der Kritik anschließen und diese Antworten übermitteln. Laut Kommission kamen so allein 70.000 Einreichungen zustande. In anderen Fällen nutzten Bürger die Möglichkeit, über diese Formulare auch eigene Gedanken zu formulieren und einzureichen. All diese organisierten Einreichungen abgezogen bleiben so rund 3.000 von Bürgern und 450 von Organisationen (Unternehmen, Think Tanks, Regierungen, zivilgesellschaftliche Organisationen etc.) beantwortete Fragebögen übrig.

Die Kritiker von ISDS machen nun eine Milchmädchenrechnung auf und sagen:

„Rund 97 Prozent der teilnehmenden Personen, Verbände und Firmen lehnen Schiedsgerichte zur Schlichtung von Streitigkeiten zwischen Staaten und Konzernen ab, so lautet das heute veröffentlichte Ergebnis einer offiziellen EU-Konsultation zum transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP“ (Pressemitteilung Bündnis Stop TTIP / Bündnis TTIP unfairHandelbar)

Das ist in zweierlei Hinsicht eine mutige Äußerung: Erstens wird geschlossen, dass in allen über NGO-Portale abgegebenen Antworten Schiedsgerichte abgelehnt werden – auch wenn es hier die Möglichkeit zur freien Antwort gab. Die Zahl von 97 Prozent, die sich gegen ISDS aussprechen, ist im Bericht der Kommission nicht zu finden – anders, als es die Pressemitteilung suggeriert. Zweitens handelt es sich um eine Konsultation und nicht um eine Volksabstimmung. Die Grundgesamtheit der teilnehmenden Akteure ist nicht nur nicht repräsentativ, sondern eben zu 97 Prozent über die Webseiten von NGOs zustande gekommen. Es müsste also heißen:

„Kritiker von ISDS haben es geschafft, etwa 145.000 Menschen zu bewegen, sich in einer öffentlichen Konsultation der Kommission über ihre Portale gegen Investorenschutzverfahren auszusprechen.“

Diese Zahl mag beeindrucken, sagt aber lediglich etwas über die Mobilisierungsmacht der NGOs aus.

 

Vier Erkenntnisse

 

Aus den eingegangenen Antworten hat die Kommission in ihrer qualitativen Analyse die Bereiche herausgearbeitet, in denen ihrer Ansicht nach Verbesserungen notwendig sind, bevor wieder mit den USA in Verhandlungen getreten werden kann:

– das Recht auf Regulierung besser schützen – nationale und europäische Gesetzgebung soll nicht durch ISDS-Klauseln umgangen werden können
– die Zusammensetzung und die Arbeitsweise der Schiedsgerichte
– das Verhältnis zwischen privater Paralleljustiz und öffentlichen Gerichten
– die Möglichkeit Revision einzureichen

Bis Ende März will die Kommission nun weitere Gespräche führen mit Interessenvertretern aus Unternehmen, Zivilgesellschaft, Mitgliedsstaaten und dem EU-Parlament. Dann soll daraus einen neue Verhandlungsposition der Kommission entwickelt werden.

 

Kommission kann nicht über ISDS entscheiden

 

Viele Kritiker fordern nicht nur Änderungen oder Einschränkungen der privaten Schiedsgerichte, sondern lehnen diese generell ab. Diese Kritik ist bei der Kommission allerdings an der falschen Adresse. Das Verhandlungsteam der Kommission ist genau genommen dazu gezwungen, über ISDS mit den USA zu verhandeln. Denn so steht es im Verhandlungsmandat, dass der Rat verabschiedet hat:

„Was den Investitionsschutz anbelangt, so sollte mit den diesbezüglichen Bestimmungen des Abkommens das Ziel verfolgt werden, […] auf der Erfahrung und der bewährten Praxis der Mitgliedstaaten mit bilateralen
Investitionsabkommen mit Drittländern aufzubauen […].“

Sollen ISDS-Schiedsgerichte also nicht Teil von TTIP werden, müssen sich die Staats- und Regierungschefs einigen und das Verhandlungsmandat der Kommission ändern. Danach sieht es im Moment nicht aus. Beispiel Deutschland: Erst hatte sich der kleine Parteitag der SPD im September gegen Investitionsschutzverfahren ausgesprochen – Bundeswirtschaftsminister Gabriel hatte die Entscheidung großspurig im Bundestag unterstützt. Dann zog er das wieder zurück und relativierte seine Aussage. Nun soll auf einem Parteikonvent Mitte des Jahres eine neue Linie gefunden werden.

Sollte es am Ende doch ein ISDS-Kapitel in TTIP geben, hat der SPD-geführte Handelsausschuss des EU-Parlaments – das dem endgültigen Abkommen zustimmen muss – schon seinen Widerstand angekündigt.