Berlin, Brüssel, EU-Kommission, Medien, Medien, Verbraucherpolitik, Wirtschaftspolitik
Wird TTIP den Handel zwischen EU und USA ankurbeln? Hafen Rotterdam ©European Union 2011 EP/PE
Wird TTIP den Handel zwischen EU und USA ankurbeln? Hafen Rotterdam ©European Union 2011 EP/PE
06.03.2015

Warum wir Journalisten an TTIP verzweifeln

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Das Ende von Umwelt- und Verbraucherschutz, die Beschneidung der Demokratie, der Ausverkauf unserer Gesellschaft: Das Freihandelsabkommen TTIP mit den USA schürt eine Menge Ängste. Manche davon sind unbegründet. In den meisten Fällen müssen aber auch wir Journalisten ratlos eingestehen: Was an der Kritik an TTIP und an den Beschwichtigungen der EU-Kommission dran ist, können wir auch mit noch so viel Recherche nicht herausfinden. Und das liegt vor allem an der Struktur von TTIP selbst.

 

TTIP hat ein Imageproblem

Noch nie standen die Verhandlungen um ein Freihandelsabkommen so in der Öffentlichkeit, wie im Fall der Transatlantic Trade and Investment Partnership, kurz TTIP. NGOs haben es in Deutschland (im Gegensatz zu vielen anderen EU-Ländern) geschafft, im öffentlichen Bewusstsein zu verankern: Mit dem EU-US-Freihandelsabkommen sind viele Gefahren für uns Bürger verbunden. Auch wenn Bundesregierung und EU-Kommission noch so sehr betonen, dass all diese Befürchtungen unbegründet seien und TTIP uns allen mehr Arbeitsplätze und Wohlstand bringen wird: Kaum ein Produktions- und Dienstleistungsbereich, in dem es keine mit TTIP verbundenen Befürchtungen gibt. Kommt das Freihandelsabkommen, würden in allen Lebensbereichen Umwelt- und Verbraucherschutzstandards sinken, Unternehmen über ISDS-Schiedsverfahren Deutschland auf viele Milliarden Euro Schadensersatz verklagen und am Ende die Demokratie ausgehebelt, so die oft wiederholten Ängste. Kritiker und Befürworter von TTIP stehen sich unversöhnlich gegenüber. Fast bekommt man das Gefühl, es gibt nur ein Für oder ein Gegen – aber keinen Graubereich.

Wir Journalisten haben die Aufgabe, nicht nur die Stimmen der Kritiker und Befürworter gegenüberzustellen. Wir haben auch die Aufgabe, Ihnen zu erklären, wie TTIP funktioniert, welche Gefahren damit wirklich verbunden sind und welche nicht. Das sollte uns vermeintlich leicht fallen, veröffentlicht die Kommission doch mehr und mehr Verhandlungsdokumente – Schließlich hat man auch in Brüssel erkannt, dass man den TTIP-Kritikern nur mit mehr Transparenz begegnen kann. Also alles nur eine Frage von ausführlicher Recherche? So einfach ist es dann leider doch nicht. Deshalb zunächst ein kleiner Exkurs in die Welt der internationalen Handelsabkommen:

Liberalisierung so weit es geht

Freihandelsabkommen haben das Ziel, den Handel zu liberalisieren. Wenn von Liberalisierung gesprochen wird, dann klingt das prinzipiell erstmal gut. Denn wir selbst sehen uns ja als eine liberale, also freiheitliche Gesellschaft. Warum also nicht diese Freiheit mit anderen teilen? Geht es um den Welthandel, dann nimmt Liberalisierung eine ganz konkrete Form an in drei Prinzipien, auf die sich die Mitgliedsstaaten der Welthandelsorganisation WHO geeinigt haben.

– Marktzugang: Ausländische Unternehmen müssen Zugang zum eigenen Markt erhalten.

– Inländerbehandlung: Ausländer und Inländer müssen grundsätzlich gleichbehandelt werden.

– Meistbegünstigungsprinzip: Handelsvorteile, die einem Partner gewährt werden, dürfen einem anderen nicht vorenthalten werden. Erhält also ein Handelspartner eine Subvention, haben alle anderen Partner ebenso Anspruch auf diese Subvention.

Diese drei Prinzipien wurden im Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (GATT), im Dienstleistungsabkommen (GATS) und dem Abkommen zum Schutz des geistigen Eigentums (TRIPS) festgelegt. Ziel ist es, diese Prinzipien in so vielen Wirtschaftsbereichen wie möglich durchzusetzen. Alles in allem heißt das also: Jeder soll frei mit Waren und Dienstleistungen handeln können und niemand soll dabei bevorzugt oder benachteiligt werden.

Wer die Zukunft nicht kennt, hat Pech gehabt

Was gut klingt, ist der Albtraum eines jeden Umwelt- und Verbraucherschützers. Denn es gibt genug Beispiele dafür, dass es sinnvoll sein kann, die drei genannten Liberalisierungs-Prinzipien einzuschränken. So ist es zum Beispiel sinnvoll, dass ein ausländischer Rechtsanwalt, der in Deutschland tätig werden will, auch Mitglied einer Rechtsanwaltskammer sein muss. Auch die verhandelnden Staaten haben das erkannt und in Freihandelsabkommen Ausnahmen von den Liberalisierungsprinzipien festgelegt. So können nach dem GATS-Abkommen beispielsweise ausländische Unternehmen nur dann eine Apotheke in Deutschland eröffnen, wenn sie dafür eine bereits bestehende Apotheke übernehmen.

 

Beim Betrieb von Apotheken hat die Liberalisierung Grenzen. Apotheke © European Union 2012 - EP

Beim Betrieb von Apotheken hat die Liberalisierung Grenzen. Apotheke © European Union 2012 – EP

 

Der Handel soll also liberalisiert werden, dabei kann es aber Ausnahmen geben, die die einzelnen Länder bei den Verhandlungen festlegen müssen. Für mich als Journalist heißt das also: Weiß ich, welche Liberalisierungs-Ausnahmen die Länder der EU-Kommission für die Verhandlungen mit auf den Weg geben, dann weiß ich auch, welche Bereiche besonders geschützt werden sollen. Die Verhandlungspartner auf US-Seite wissen so allerdings auch, in welchen Bereichen sie Druck machen können, um Zugeständnisse für Liberalisierungen ihrerseits zu bekommen.

Der Blick in die Freihandels-Glaskugel trübt sich allerdings dadurch, wie diese Ausnahmen festgehalten werden. Früher wurde in solchen Abkommen mit dem sogenannten Positivlisten-Ansatz gearbeitet. Das bedeutet, dass nur diese Bereiche des Marktes liberalisiert werden, die im Vertrag selbst aufgelistet wurden. In TTIP soll jedoch der umstrittene Negativlisten-Ansatz umgesetzt werden. Dabei gehen beide Seiten davon aus, dass alle von TTIP abgedeckten Marktbereiche liberalisiert werden, wenn sie nicht ausdrücklich auf der Negativliste genannt werden. Das bringt das Problem mit sich, dass die Verhandler in die Zukunft blicken und heute noch nicht erfundene Produkte und Dienstleistungen antizipieren müssen. Wer hätte zu Zeiten der GATS-Verhandlungen Anfang der 90er Jahre je an die rasante Entwicklung des Internets gedacht. In Sachen Glücksspiel ist das den USA auf die Füße gefallen. Sie hatten damals nicht bedacht, dass es eines Tages Online-Glücksspiel geben könnte.

Hier kommt dann auch die sogenannte Sperrklinkenklausel zum Tragen, die Teil von TTIP werden soll. Die Klausel soll verhindern, dass einmal liberalisierte Bereiche später wieder stärker reguliert werden. Stellt man nach Jahren fest, dass man ein sich neu entwickelndes Geschäftsmodell (wie den Onlinedienst Uber, mit dem private Personenbeförderung vermittelt wird) regulieren möchte, wodurch allerdings die Liberalisierungsprinzipien verletzt würden, hat man Pech gehabt. Solche Einschränkungen hätte man vorhersehen und vertraglich festhalten müssen.

Blick in die Glaskugel

Freihandelsabkommen sind nicht nur für Journalisten eine extrem komplexe Materie. Selbst von Abgeordneten und deren Mitarbeitern, die sich auf diese Themen spezialisiert haben, hört man, dass die verhandelten Texte aufgrund ihrer Komplexität und teilweise fehlender Definitionen nur sehr schwer verständlich und in ihren Auswirkungen kaum zu erfassen sind. Und hier wird es für uns Journalisten noch einmal komplizierter – wenn das Ganze nicht gleich komplett in Spekulation abgleitet: Wie sollen die möglichen negativen Folgen von TTIP beurteilt werden können, wenn selbst die verhandelnden Parteien nicht mit Sicherheit sagen können, wie sich das Abkommen später auswirken könnte? Mit etwas Phantasie lassen sich so in allen Wirtschaftsbereichen Negativbeispiele erdenken. Ob es die jemals geben könnte, hängt davon ab, welche Liberalisierungsausnahmen die EU-Staaten vom Verhandlungsteam der Kommission verlangt haben (und ob sie bereit sind, diese auch Journalisten zu nennen), wie sich der Handel mit Waren und Dienstleistungen in den kommenden Jahren und Jahrzehnten verändern wird und vor allem, welche Kompromisse in den Verhandlungen eingegangen werden müssen. Für jedes Zugeständnis der US-Seite braucht es auch ein Zugeständnis durch die EU. Welche Bereiche liberalisiert werden, obwohl die EU das eigentlich verhindern möchte, bleibt also reine Spekulation und wird erst am Ende der Verhandlungen klar sein.

Und damit bleibt auch uns Journalisten oft genug nichts anderes übrig, also zu spekulieren. Könnte es zu einer Senkung von Umwelt- und Verbraucherstandards kommen? Könnten Unternehmen mithilfe von ISDS-Schiedsgerichten gegen schärfere Umweltauflagen Schadensersatzansprüche geltend machen? Könnte durch die Liberalisierung Bildung von einem gesellschaftlichen Gut zu einer reinen Ware werden? Ja, vielleicht. Aber vielleicht auch nicht. So gut wir auch recherchieren – Endgültig werden wir das auch erst wissen, wenn TTIP schon lange in Kraft ist.

Kommentare zu diesem Beitrag (1)

  1. Ivo kain Krieg | 6. März 2015, 18:16 Uhr

    Vertrauen oder Vertrag

    Wenn Sie die Auswirkung der 14en Erweiterung der USA Constitution zur Sicherung der Gleichberechtigung, auf die Macht der Konzerne betrachten, werden sie vorsichtig #TTIP zu vertrauen.
    Prinzip: LIST IT OR LOSE IT.
    Freihandelsabkommen. Grund Nr. 15 – DIENSTLEISTUNGEN: