Berlin, Brüssel, Europäischer Rat, Innenpolitik, Verbraucherpolitik
Die Bürgerrechtsbewegung EDRi kritisiert die Verwässerung der Datenschutz-Grundverordnung. Screenshot: https://edri.org/files/DP_BrokenBadly.pdf
Die Bürgerrechtsbewegung EDRi kritisiert die Verwässerung der Datenschutz-Grundverordnung. Screenshot: https://edri.org/files/DP_BrokenBadly.pdf
12.03.2015

Politik gegen die Bürger

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Zu erklären, warum die EU gut für die Bürger in Europa ist und was sie – neben Frieden und der Abschaffung der Grenzkontrollen – noch so alles für ihre Bürger tut, könnte eigentlich so einfach sein. Man könnte erklären, wie die Politik in Brüssel daran arbeitet, teure Roaming-Gebühren abzuschaffen oder den Schutz unserer privatesten Daten auszubauen. Aber gerade in den Bereichen, in denen EU-Entscheidungen die Bürger unmittelbar betreffen, sorgen die zuständigen nationalen Minister im Rat für eine bürgerfeindliche Politik. Und Deutschland ist ganz vorn mit dabei.

Roaming

Telefonieren im Ausland mit dem eigenen Handy? Im Urlaub mal schnell per Smartphone das nächste Restaurant suchen? Noch kann das teuer werden, denn die Anbieter dürfen für die Nutzung fremder Netze Roaming-Gebühren erheben. Die wurden von der EU in den vergangenen Jahren zwar begrenzt. Noch gibt es sie aber.

Ende des Jahres soll sich das ändern. Darauf hatte sich das EU-Parlament mit der Kommission kurz vor der Europawahl im vergangenen Jahr geeinigt. Eine Entscheidung für die Bürger der EU. Nicht umsonst warben viele Abgeordnete im Wahlkampf damit, um ihren Wählern klar zu machen, dass die Entscheidungen der EU (oder in dem Fall des Parlaments und der Kommission) sie direkt betreffen – und das (auch) zum Vorteil der Bürger.

Die EU-Staaten torpedieren nun dieses Vorhaben und haben angekündigt, in ihrem Entwurf die Roaming-Gebühren vorerst beizubehalten. Zwar sollen Nutzer weniger für Roaming zahlen: Bis zu einem noch zu definierenden „Grundrahmen“ sollen keine Roaming-Gebühren anfallen. Darüber hinaus werden diese dann auf einem niedrigeren Niveau als jetzt fällig. Über eine generelle Abschaffung von Roaming-Gebühren soll aber erst Mitte 2018 wieder diskutiert werden.

Am Ende müssen sich Rat und Parlament zwar einigen. Mit seiner Blockade für die Abschaffung von Roaming-Gebühren Ende des Jahres ist es aber fraglich, ob der Rat in einem Kompromiss am Ende doch den Plänen des Parlaments zustimmt.

Datenschutz

Noch deutlicher arbeiten die Mitgliedsstaaten in Sachen Datenschutz gegen die Interessen der Bürger: Seit Jahren wird in Brüssel über die Datenschutz-Grundverordnung verhandelt. Damit sollen einheitliche Regeln geschaffen werden, wie Unternehmen und Behörden mit den Daten der Bürger umgehen dürfen und wie sie diese zu schützen haben. Auch hier ist nun der Rat am Zug, Stellung zu den Entwürfen von Kommission und Parlament zu beziehen bzw. seine Änderungsvorschläge vorzubringen. An diesem Freitag werden sich die Innen- und Justizminister in Brüssel treffen und weiter darüber beraten. Mit am Tisch: Bundesinnenminister Thomas de Maizière und Justizminister Heiko Maas.

Offiziell hat der Rat bisher nicht veröffentlicht, auf welche Änderungen am Text der Verordnung er sich geeinigt hat. Das Lobbyismus-kritische Portal LobbyPlag hat die Pläne des Rates nun aber öffentlich gemacht. Dazu haben die Aktivisten über 11.000 Seiten an bisher teilweise unveröffentlichten Papieren analysiert und en detail aufgeführt, welche Änderungsvorschläge der Rat hat, wie sich diese auf den Datenschutz auswirken und welche Länder jeweils dahinter stehen. Das Ergebnis lässt Datenschützern graue Haare wachsen. Zahlreiche Vorschläge ändern den bisherigen Entwurf ab, hin zu einer unternehmensfreundlicheren und datenschutzfeindlicheren Variante. Besonders kritisch ist dabei die Änderung von Artikel 6 Absatz 4. Dort heißt es im Ratsvorschlag:

„Further processing for incompatible purposes on grounds of legitimate interests of the controller or a third party shall be lawful if these interests override the interests of the data subject.“

Auf Deutsch: Haben Unternehmen und Behörden ein „legitimes Interesse“, das über den Interessen des Bürgers steht, dann dürfen sie dessen Daten auch für andere Zwecke nutzen. Gesundheitsdaten könnten ohne unsere Zustimmung an die Pharmaindustrie verkauft werden. Banken könnten mit unseren Finanzdaten bei Werbe- oder Scoringdienstleistern ein Geschäft machen.

Deutschland stehe diesem Punkt kritisch gegenüber, heißt es aus deutschen Diplomatenkreisen. Man müsse die Begriffe genauer definieren, besonders was mit einem „incompatible purpose“ gemeint sei. Dass Deutschland hier aber auf Seiten der Datenschützer steht, widerlegt die Analyse von LobbyPlag:

 

Laut LobbyPlag gehört Deutschland zu den Unterstützern der umstrittenen Änderung von Artikel 6.4. Screenshot: http://lobbyplag.eu/governments/gdpr

Laut LobbyPlag gehört Deutschland zu den Unterstützern der umstrittenen Änderung von Artikel 6.4. Screenshot: http://lobbyplag.eu/governments/gdpr

 

Für LobbyPlag ist Thomas de Maizière Datenschutz-Gegner Nummer 1. Screenshot: http://lobbyplag.eu/governments

Für LobbyPlag ist Thomas de Maizière Datenschutz-Gegner Nummer 1. Screenshot: http://lobbyplag.eu/governments

Aus den Papieren geht hervor, dass auch die Bundesrepublik die umstrittene Änderung unterstützt. Und das ist bei Weitem nicht alles. Addiert man alle Änderungen pro Datenschutz und subtrahiert alle Vorschläge, die aus Sicht von LobbyPlag den Datenschutz schwächen, steht Deutschland an der Spitze der Datenschutz-Gegner. Die Interessen der Wirtschaft werden hier eindeutig höher bewertet, als die Interessen der Bürger. Und das nach all den Skandalen um die massenhafte Überwachung durch NSA und GCHQ.

Die Datenschützer von EDRi haben die wichtigsten Änderungen des Rates zusammengefasst und kommen zu dem Schluss: Data Protection – Broken Badly.

 

Politik gegen die Bürger

In der Politikberichterstattung wird nur wenig der Fokus darauf gelegt, was die Mitgliedsstaaten hier in Brüssel im Rat entscheiden. Wichtiger ist die nationale Politik und das, was sich auf der Weltbühne abspielt. Die EU wird dann schnell unter dem Sammelbegriff „Brüssel“ oder eben „EU“ zusammengefasst. Dabei lohnt es durchaus, auch den Lesern/Hörern/Zuschauern klar zu machen, dass hier die von ihnen gewählten Regierungen mit am Tisch sitzen. Gerade im Fall von Deutschland spielt das eine große Rolle, denn Deutschland hat im Rat enormes Gewicht. Und deshalb wird man auch der Bundesregierung Fragen stellen müssen (denn nicht nur wir Journalisten können unserer Regierung Fragen stellen), wenn es im kommenden Jahr immer noch Roaming-Gebühren gibt und der „Datenschutz“ in Europa das Papier nicht wert ist, auf dem er festgeschrieben steht. An der mangelnden Begeisterung für Europa ist genau solch eine bürgerfeindliche Politik schuld.