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Pressetribüne G7 in Elmau / Foto: Deutschlandradio Stephan Detjen
06.06.2015

Quadrillen und Reihentänze in Merkels G7-Sitzungssaal

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Straßensperren, Kontrollposten: durch Oberbayern wie im Westjordanland

Checkpoints, Roadblocks, Militärhubschrauber im Himmel. Man fährt in diesen Tagen durch Oberbayern wie durch das Westjordanland. Die Polizei hat die ersten Sperren und Kontrollstellen auf der Autobahn gut 30 Kilometer vor Garmisch eingerichtet. Fahrzeuge werden auf Rastplätze umgeleitet und rollen im Schritttempo durch Spaliere von Polizisten. Autobahnauffahrten sind blockiert. Felder und Wiesen am Straßenrand wurden zu Landeplätzen umfunktioniert, auf denen dutzende von Polizeihubschraubern aufgereiht sind.

Bei Farchant brummt eine amerikanische Osprey durch das Alpental – eine futuristisch wirkende Mischung aus Flugzeug und Hubschrauber mit umklappbaren Rotoren. Die US Army hatte die Maschinen nach der gescheiterten Geiselbefreiung in Teheran in den 80er Jahren für Kommandomissionen in feindlichen Territorien entwickelt. Wahrscheinlich haben die Amerikaner Wind davon bekommen, dass die bayerischen Alpen einst ein gefährlicher Rückzugsraum für Wilderer, separatistische Freischärler und bajuwarische Desperados waren.

 

Die Bilder trügen nicht: das Elmauer Hochtal ist von fast überirdischer Schönheit

Die Bilder trügen nicht: das Elmauer Hochtal ist von fast überirdischer Schönheit

Erinnerungen und zwiespältige Traditionslinien der deutschen Geistesgeschichte: Elmau war nicht immer ein Luxushotel für den globalen Jetset

Garmisch-Partenkirchen war mir aus meiner Kindheit vor allem als Rückzugsort für den Wirtschaftswunder-Wohlstand in Erinnerung. Der Großvater eines Freundes, Direktor eines  Maschinenbauunternehmens, hatte hier sein Sommerhaus. Unser Zahnarzt in einem Kölner Vorort verbrachte hier seine Ferien, bevor er sich in der Schweiz niederließ. Die Hotels, die heute von Scharen von Journalisten aus aller Welt bevölkert sind, haben sich ihre Sterne in dieser Zeit verdient und seitdem nicht viel verändert. Viel Hirschgeweih und Sitzgarnituren aus dunkelbraunem Eichenholz im Eingangsbereich. Draußen auf der Straße gibt es heute mehr Döner- und Gyrosläden, Pizzerien und Tex-Mex-Restaurant als bayerische Biergärten – das alltägliche Gesicht unserer globalisierten Gesellschaft.

 

Anti G7 Demonstranten in Garmisch. Einst waren die bayerischen Alpen Rückzugsraum für Wilderer, separatistische Freischärler und bajuwarische Desperados.

Anti G7 Demonstranten in Garmisch. Einst waren die bayerischen Alpen Rückzugsraum für Wilderer, separatistische Freischärler und bajuwarische Desperados.

Der Rückzugsort für den globalen Jetset liegt heute rund 10 Kilometer oberhalb von Garmisch. Am Rande einer kleinen, für den G7 Gipfel neu asphaltierten Stichstraße liegen hier gleich zwei Luxushotels: zunächst das „Kranzbach“, dann – gut einen Kilometer  weiter – Elmau, das sich selbst in seiner Hotelbroschüre als„Retreat“ und „Cultural Hideaway“ preist.  Die Bilder, die von hier um die Welt gehen, trügen nicht: der Ort ist von fast überirdischer Schönheit. Ein grünes Hochplateau vor der mächtigen Kulisse des Wettersteinmassivs. Davor leuchtet gelb das Gebäude, das keineswegs immer das war, was es heute ist. Ich habe von Elmau erstmals während meines Studiums in München Ende der 80er Jahre gehört. Eine Freundin ging jeden Sommer für ein paar Wochen als „Elmauer Mädchen“ dorthin. Die Töchter und Söhne von Familien, die oft seit Generationen „auf die Elmau“ gingen, halfen während ihrer Ferien als Zimmermädchen, Küchengehilfen und Servierer den Betrieb eines Hauses aufrecht zu halten, das mehr spirituelle Kommune als Hotel war.  Die Elmau war 1916 von dem Theologen Johannes Müller mit dem Geld einer Erbin des Haniel-Konzerns gebaut worden. Müller war der geistige Kopf einer musisch-weltanschaulichen Gemeinschaft, die auf der Elmau ihren Mittelpunkt fand. Seine Philosophie hatte einen klassenübergreifend-völkischen Aspekt, der Müller in die Nähe des Nationalsozialismus führte. Zugleich gab es Verbindungen in den Kreis um die „Weiße Rose“ in München. Viele Ambivalenzen und zwiespältige Entwicklungslinien der  deutschen Kultur- und Geistesgeschichte überschneiden sich auf der Elmau.

Als ich zum ersten Mal – verschwitzt und erschöpft nach einer Bergtour – selbst auf die Elmau kam, schwankte ich zwischen Faszination und Verwunderung: auf den weitläufigen Wiesen vor dem Haus tollten Scharen von Kindern. Drinnen saßen Familien auf leicht abgewetzten Sofas und spielten Brettspiele. Die Einrichtung hatte den spröden Charme einer evangelischen Begegnungsstätte. Zugleich war die ganze Kulisse von atemberaubender Schönheit. Unter dem Dachstuhl konnte man spartanisch eingerichtete Kammern für den Preis einfacher Pensionszimmer mieten. Für Familien gab es Appartements, Kinder zahlten nichts. Das Essen wurde traditionell zu festen Zeiten in einem großen Speisesaal serviert, an dem die Gäste an langen Tischen zusammen platziert wurden. Abends traf man sich in dem großen Konzertsaal unter dem Dach des Schlosses, in dem jetzt die Staatsführer der G7 tagen – und tanzte. Die „Elmauer Tänze“ waren Gesellschaftstänze im französischen Stil: Quadrillen, Reihen- und Kreistänze. Die Männer trugen schwarze Hosen und weiße Hemden, die Frauen lange Röcke. Alle waren barfuß. Jetzt wird auf dem ehemaligen Tanzboden über die Krisen der Welt, Klimaschutz und die Bekämpfung multiresistenter Erreger beraten.

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