Brüssel, Europäischer Rat, Medien
Pressekonferenz der Eurogruppe mit Jeroen Dijsselbloem. Foto: Thomas Otto
Pressekonferenz der Eurogruppe mit Jeroen Dijsselbloem. Foto: Thomas Otto
27.06.2015

Ein historischer Tag für Europa (?)

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Eurogruppen-Krisentreffen, letzte Chance, Final Countdown! Die Euro-Finanzminister haben heute (zum letzten Mal?) über eine Lösung der Schuldenkrise in Griechenland beraten. „Ich bin dabei gewesen, als die Politik es damals endgültig vermasselt hat, die Pleite Griechenlands zu verhindern“ – wird unser Korrespondent Thomas Otto wohl eines Tages als alter Mann seinen Nachkommen erzählen können.

Wieder ein Treffen der Eurogruppe, wieder kommen die 19 Euro-Finanzminister in Brüssel zusammen und beraten/debattieren/streiten darüber, wie die Pleite Griechenlands noch verhindert werden kann. Wieder kommen Journalisten aus allen möglichen Ländern im Pressebereich des Ratsgebäudes in Brüssel zusammen und berichten über den Stand und die Ergebnisse der Verhandlungen. Wieder eines dieser Treffen, die als die letzte Chance gelten. Aber etwas ist anders.

Schon bei den sogenannten Doorsteps wird die schlechte Stimmung deutlich. Doorsteps, darunter versteht man das gut geplante Eintreffen der Verhandlungsteilnehmer am VIP-Eingang. Einer nach dem anderen kommen die Finanzminister in ihren Nobelkarossen hier vorgefahren. Rechts und links vom Eingang wartet die Presse: Kameras in Stellung, Mikrofone auf die Münder der Eintreffenden gerichtet in der Hoffnung, ein aussagekräftiges Statement einzufangen. Für die Ankommenden ist das die Gelegenheit, den Stand der Dinge vor dem anstehenden Treffen aus ihrer Sicht zu erläutern. Und der sah nicht gut aus. Eine Verlängerung des Rettungspakets werde es nicht geben, die Griechen hätten einseitig die Verhandlungen für beendet erklärt. Keine guten Vorzeichen für eine Einigung.

 

IWF-Chefin Christine Lagarde beim "Doorstep". Foto: Thomas Otto

IWF-Chefin Christine Lagarde beim „Doorstep“. Foto: Thomas Otto

Dann beginnt das Warten. Warten auf Neuigkeiten, auf offizielle Statements oder einfach nur Gerüchte. Und von denen gibt es heute genug. Manche widersprechen sich, andere scheinen völlig absurd. Eines haben die meisten „Informationen“ (dieses hervorragend auf Twitter dokumentierten Flurfunks) aber gemeinsam: Die Stimmung ist schlecht bis gereizt. Einigen werde man sich bestimmt nicht. Beliebtestes Thema beim Gespräch mit den Kollegen: Wie könnte wer noch an welcher Schraube drehen, um eine Staatspleite zu verhindern? Die Phantasie scheint grenzenlos.

Es ist kurz vor fünf, plötzlich herrscht Aufregung. Yanis Varoufakis trete gleich vor die Presse! Ein Strom an Journalisten bewegt sich in den ersten Stock des Ratsgebäudes, Pressesaal „Justus Lipsius“ (nach dem auch das Ratsgebäude benannt ist). Schnell werden Kameras und Stative hinaufgeschleppt, Fotografen gleichen ihre Kameras an das Licht im Saal an, Mikrofone werden auf das Podium gestellt. Und dann: Kommando zurück! Varoufakis komme erst nach einer Unterbrechung der Sitzung. Wann die sein wird, weiß niemand.

Kurze Zeit später das nächste Gerücht: Die Sitzung sei unterbrochen worden, gleich gebe es eine Pressekonferenz des Eurogruppenchefs Jeroen Dijsselbloem. Zunächst halten das viele auch für ein Gerücht, dann folgt aber die offizielle Bestätigung. Der große Pressesaal füllt sich rasch, alle diskutieren heftig über Zeitpunkt und Inhalt der Erklärung. Ein Kollege macht noch schnell ein Foto von der Bühne aus in Richtung Presse – wohl in dem Wissen, dieses Bild an einem besonderen Tag geschossen zu haben. Ein anderer, der seit vielen Jahren aus Brüssel berichtet, meint, dass die EU noch nie so einen Crash wie einen Bankrott Griechenlands zugelassen habe. Immer habe man irgendeine Möglichkeit gefunden, so etwas zu verhindern. Stimmt, denke ich mir. Wozu gibt es schließlich Juristen?

Wenige Minuten später dann der Auftritt Dijsselbloems. Was er da in wenigen Minuten erklärt bedeutet nichts anderes, als dass der Bankrott Griechenlands immer wahrscheinlicher wird. Die Schuld daran liege (auch wenn Dijsselbloem vermeidet, das Wort „Schuld“ zu verwenden) allein bei der griechischen Regierung. Die habe schließlich entschieden, die Verhandlungen abzubrechen. Einige Fragen lässt er noch zu, dann verschwindet er wieder mit den Worten, er müsse zurück an die Arbeit.

 

Pressekonferenz von Yanis Varoufakis im völlig überfüllten Pressesaal. Foto: Thomas Otto

Pressekonferenz von Yanis Varoufakis im völlig überfüllten Pressesaal. Foto: Thomas Otto

Die findet dann ohne den Griechen Varoufakis statt. Nur noch 18 Euro-Finanzminister sollen nun weiter beraten. Varoufakis gibt derweil seine Pressekonferenz – in eben jedem kleine Pressesaal „Justus Lipsius“, der nun völlig überfüllt ist. Glück für die Journalisten, die hier ausgeharrt und sich einen Platz gesichert haben. Hört man Varoufakis zu, so bekommt man nicht zum ersten Mal den Eindruck, er und Dijsselbloem haben an völlig unterschiedlichen Sitzungen teilgenommen. Welcher von beiden nun näher an der Wahrheit liegt – für den Moment spielt das keine Rolle.

Wie es nun mit Griechenland weitergeht? Heute ist das noch nicht mit Sicherheit zu sagen. Erst am Montag werden wir mehr erfahren, wenn die Banken und Börsen öffnen. Die Priorität ihres Handelns haben die Finanzminister heute in ihrer Presseerklärung noch einmal klar gemacht: „The euro area authorities stand ready to do whatever is necessary to ensure financial stability of the euro area.“

Das der heutige Tag ein Wendepunkt, eine Zäsur ist, wird mir spätestens da deutlich, wo ich die weinende Kollegin am Boden sitzen sehe, die von einem Kollegen getröstet wird. Ein verpasstes Interview, eine vermasselte Live-Schalte vielleicht, denke ich mir. Nein, ganz anders, erfahre ich kurz darauf. Die Kollegin ist selbst Griechin und hat gerade den entscheidenden Moment miterlebt, der das Leben ihrer Freunde und Familie in Griechenland für die nächsten Jahre komplett auf den Kopf stellen könnte.

Kommentare zu diesem Beitrag (1)

  1. Thomas Rudek | 6. Juli 2015, 7:30 Uhr

    PK Varoufakis

    Lieber Herr Otto,
    Sie schreiben: „Hört man Varoufakis zu, so bekommt man nicht zum ersten Mal den Eindruck, er und Dijsselbloem haben an völlig unterschiedlichen Sitzungen teilgenommen. Welcher von beiden nun näher an der Wahrheit liegt – für den Moment spielt das keine Rolle.“ Varoufakis hat auch auf seinem Blog mahnend geschrieben: “Und vielleicht sollten wir europäische Institutionen infrage stellen, in denen stellvertretend für die europäischen Bürger Entscheidungen von monumentaler Bedeutung gefällt werden, in denen Sitzungsprotokolle aber weder geschrieben noch veröffentlicht werden.” Wäre es nicht sowohl für aus journalistischer Perspektive als auch für die demokratische Qualität relevanter Entscheidungsprozesse wichtig, wenn Ratssitzungen protokolliert und veröffentlicht werden? Vielleicht würde das auch zu einer Versachlichung beitragen.
    Thomas Rudek