Brüssel, EU-Kommission, Europäischer Rat
Alexis Tsipras im Europaparlament © European Union 2015 - Source : EP
Alexis Tsipras im Europaparlament © European Union 2015 - Source : EP
10.07.2015

Die (mindestens) drei großen Fragezeichen in Sachen Griechenland

Von

„Kann man die griechische Regierung noch verstehen?“ fragt sich unsere Korrespondentin Annette Riedel, und findet darauf eine Antwort: „Nein!“ Und trotzdem müssen die Gläubiger Griechenland entgegenkommen. Ein Erklärungsversuch mit Raupen, Schmetterlingen, Kröten und Kühen.

Kann man das noch verstehen?

Da strengt die griechische Regierung ein Referendum an, mit dem die Griechen über den Reform- und Sparkurs, den sie nach dem Willen der Gläubiger als Gegenleistung für Hilfs-Milliarden steuern soll, abstimmen. Sie will von ihrem Volk ein „Nein“, fährt zu diesem Behufe mit vollem Einsatz eine entsprechende Kampagne. Sie bekommt ihr „Nein“ – sogar deutlicher als die meisten gedacht hätte, ja als sie wahrscheinlich selbst gedacht hätte. Der griechische Regierungschef Tsipras geht zwei Tage später nach Straßburg zum Europäischen Parlament und gibt den unbeugsamen Anti-Austeritäts-David gegen den übermächtigen Spar-Goliath, der die Eurozonen-Rettungs-Politik dominiert. Tsipras geriert sich wahlweise, je nachdem durch welche politische Brille man das betrachtet, als unbeugsamer Held oder stur-köpfiger Blindgänger, erntet einigen tosenden Applaus und noch wesentlich mehr vielstimmige Buhrufe. Und das alles nur, um wenig später Reform- und Sparvorschläge auf den Tisch des europäischen Hauses zu legen, die den just öffentlichkeitswirksam abgelehnten, fast bis ins letzte Detail gleichen.

Nein, das kann man eigentlich nicht mehr verstehen.

Kann aus der „Nein-Sager-Raupe“ gewissermaßen über Nacht ein „Reform-Schmetterling“ werden? Schwer vorstellbar. Viele unter den Euro-Ländern werden sich das jedenfalls so leicht nicht vorstellen können. Und ob diese Reformen, die die Tsipras-Regierung auf 13 Seiten zusammengeschrieben hat, je „fliegen“ werden? Die 18 Euro-Länder werden dazu verdonnert sein, es zu glauben, wenn sie Griechenland in der Eurozone halten wollen. Einige werden da aber nicht kleine Raupen sondern riesengroße Kröten zu schlucken haben, um der Aufnahme neuer Verhandlungen für ein drittes Hilfspaket zuzustimmen. Sie werden „Ja“ zu sagen haben zu Verhandlungen mit einer Regierung, die nach einhelliger Meinung zumindest in Form und Stil viel, viel Porzellan zerschlagen hat, seit sie vor kaum fünf Monaten ins Amt kam. Sie, die „Kröten-Schlucker“ würden von einem sich abzeichnenden Kurswechsel der Euro-Rettung nicht selbst profitieren können. Der ist an sich sogar zu begrüßen, ja notwendig. Nur, die baltischen Länder, einige Süd-Ost-Europäer, die Hilfsprogramm-Länder Portugal, Spanien, Irland werden erst einmal nicht mehr davon profitieren können, wenn sich die allgemeine Erkenntnis breit(er) zu machen beginnt, dass Sparen allein kein Rezept gegen sich türmende Schuldenberge ist. Nicht ausgeschlossen, dass diesen Ländern am Wochenende, wenn es zum Schwur kommt, die Kröten, die sie zu schlucken hätten, zu groß sind, um ihr „Ja“ zu neuen Verhandlungen mit Griechenland zu geben.
Aber selbst wenn man sich auf neue Verhandlungen einigt, selbst wenn es die notwendige Zustimmung einiger Parlamente dafür gibt (auch in Deutschland, auch in Griechenland), ist nur eine von einer ganzen Horde von Kühen vom Eis. Entscheidend – frei nach Altkanzler Helmut Kohl – ist, ob und was hinten dabei raus kommt. Worst-Case-Szenario: Nach dem Sondergipfel ist vor dem Sondergipfel und das Gezerre geht weiter, in die „dritte Halbzeit“ sozusagen.

Für die Menschen und nicht für die Banken.

Was könnte am Wochenende handfest beschlossen werden? Umgehende, großzügige, bedingungsfreie Hilfe für die Menschen in Griechenland. Für die Menschen und nicht für die Banken. Die zu halten ist momentan allein der Job der Europäischen Zentralbank.
Sollte es in jeglichem Falle einen Schuldenschnitt für Griechenland geben? Nicht jetzt, nicht schlicht Teile der Schulden erlassen. Das geht anderen Schuldner-Ländern gegenüber aus ‚“hygienischen“ Gründen nicht. Aber umschichten, strecken, Modalitäten für den Schuldendienst erleichtern – das geht schon. Das muss und wird auch kommen. Wenn nicht am Sonntag, dann in Kürze. Und zwar unabhängig davon, ob es dann für ein Euro-Land Griechenland oder für ein „nur“ noch EU-Land Griechenland greift. Das sind wir den Griechen schuldig – trotz manch berechtigtem Ärger auf ihre Regierungen der letzten Jahre!