Brüssel, Europäischer Rat
Damit jeder weiß, wo er zu sitzen hat. Foto: Thomas Otto
Damit jeder weiß, wo er zu sitzen hat. Foto: Thomas Otto
07.09.2015

Zutritt nur mit rotem Badge und goldener Markierung

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Sie steigen aus ihren Nobelkarossen, sprechen (manchmal auch schimpfen) ein kurzes Statement zum bevorstehenden Gipfel in die Kameras und verschwinden im Labyrinth des Brüsseler Ratsgebäudes. Erst nach Ende ihres Treffens tauchen die Staats- und Regierungschefs dann wieder auf, geben in der Regel noch eine Pressekonferenz und verabschieden sich wieder. Die eigentlichen Verhandlungsräume sind auch für uns Journalisten tabu. Umso spannender war es, in der Sommerpause des Rates die Rote Zone zu besichtigen, die Besuchern sonst verschlossen bleibt.

Trotz seiner großen Glasfronten wirkt das Ratsgebäude im Brüsseler Europaviertel mit dem Namen „Justus Lipsius“, gleich gegenüber der EU-Kommission, wie ein Bunker. Hier haben der Europäische Rat (28 Staats- und Regierungschefs) und der Rat der Europäischen Union (die verschiedenen Runden der Fachminister z.B. Finanz- oder Innenminister), nicht aber der Europarat (47 Mitgliedsstaaten des geografischen Europas) ihren Sitz. Zu dem verwinkelten Komplex mehrerer, miteinander verbundener Gebäudeteile, haben auch akkreditierte Journalisten Zugang – allerdings nur für einen genau definierten Bereich. Freundliche Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes weisen im Zweifel darauf hin, wenn man lediglich einen gelben Ausweis („Badge“) vorzeigt, um durchgelassen zu werden allerdings einen roten braucht.

 

Verhandlungssaal im Ratsgebäude. Foto: Thomas Otto

Verhandlungssaal im Ratsgebäude. Foto: Thomas Otto

Ebene 50: Hier finden die Verhandlungen zwischen den Staats- und Regierungschefs statt. Und tatsächlich sind nicht viel mehr Personen anwesend, wenn die eigentlichen Verhandlungen geführt werden. In einem Nebenraum verfolgen Mitarbeiter der Botschaften die Gespräche: pro Mitgliedsstaat eine Person. Die Staats- und Regierungschefs haben an ihrem Platz einen roten Knopf, mit dem sie ihre Mitarbeiter zu sich rufen können, um sich zum Beispiel bestimmte Papiere bringen zu lassen. Letztendlich kommt es aber tatsächlich auf das individuelle Verhandlungsgeschick der Premierminister, Präsidenten und Bundeskanzler an.

 

Der deutsche Platz im Verhandlungssaal. Foto: Thomas Otto

Der deutsche Platz im Verhandlungssaal. Foto: Thomas Otto

Hier nimmt Bundeskanzlerin Merkel Platz – jedenfalls während der aktuellen Ratspräsidentschaft. Die wechselt alle sechs Monate. Damit rotiert auch die Sitzordnung.

 

Telefonieren verboten! Aber immer schön lächeln, für die Übertragung in den Nachbarraum. Foto: Thomas Otto

Telefonieren verboten! Aber immer schön lächeln, für die Übertragung in den Nachbarraum. Foto: Thomas Otto

 

Verhandlungssaal z.B. für Ministerräte. Foto: Thomas Otto

Verhandlungssaal z.B. für Ministerräte. Foto: Thomas Otto

Ein weiterer Verhandlungssaal, der beispielsweise für die Treffen auf Ministerebene oder Sitzungen der Eurogruppe genutzt wird. Vor jeder Veranstaltung wird übrigens das gesamte Gebäude von oben bis unten unter anderem nach Abhörtechnik durchsucht. Acht Stunden nehme das in Anspruch, erklärt uns unser Guide von der Presseabteilung des Rates. Dass das nötig ist, zeigt der Fall aus dem Jahr 2003, als Abhörtechnik entdeckt wurde. Die konnte später der NSA zugeordnet werden.

 

Büro der deutschen Delegation im Ratsgebäude. Foto: Thomas Otto

Büro der deutschen Delegation im Ratsgebäude. Foto: Thomas Otto

Alle 28 EU-Mitgliedsstaaten haben im Justus-Lipsius-Gebäude ihre eigenen Räume. Während der Treffen von Ministern oder Staats- und Regierungschefs haben die Delegationen hier ihre Arbeitsplätze. Die (angeblich im Gegensatz zum französischen Büro) eher nüchtern eingerichteten Räume der deutschen Delegation befinden sich auf Ebene 70 und damit oberhalb des Glasdaches über dem Foyerbereich. Für die Bundeskanzlerin gibt es einen Raum mit Leder-Couchgarnitur und Blick auf die Dachterrasse. Angela Merkel soll sich hier auch schon mal zu Vier-Augen-Gesprächen treffen.

 

Blick von Ebene 80 auf die Dachterrasse auf Ebene 70 und den überdachten Foyerbereich. Foto: Thomas Otto

Blick von Ebene 80 auf die Dachterrasse auf Ebene 70 und den überdachten Foyerbereich. Foto: Thomas Otto

 

Überdachtes Foyer des Justus-Lipsius-Gebäudes. Foto: Thomas Otto

Überdachtes Foyer des Justus-Lipsius-Gebäudes. Foto: Thomas Otto

Das Foyer, wo während der Gipfel hunderte Journalisten ihre Arbeitsplätze aufbauen und von dort aus berichten. Jede der wechselnden Ratspräsidentschaft baut hier einen neue Installation. Während die Letten die Besucher des Hauses zum Tanzen anregen wollten, mit auf dem Boden aufgeklebten Fußabdrücken, denen es zu folgen galt, gehen es die Luxemburger nun während ihrer Präsidentschaft etwas gelassener an.
Es war bereits von Ebene 50 und Ebene 70 die Rede – das Justus-Lipsius-Gebäude ist aber keinesfalls ein Wolkenkratzer mit 70 Etagen! Vielmehr werden die Etagen über der als 00 definierten Ebene in Zehnerschritten nach oben gezählt. Die Etagen darunter werden von 00 an mit 01, 02 etc. nach unten gezählt. Das hänge damit zusammen, dass das Gebäude am Hang gebaut ist und damit nicht jeder Eingang auf Höhe des Erdgeschosses (00) liegt. Außerdem gibt es eine Zwischenetage 35. Innerhalb des Gebäudekomplexes gibt es unterschiedliche Raumhöhen, weshalb sich hier die Nummerierung verschiebt. Das hängt damit zusammen, dass die großen Verhandlungssäle deutlich höher sind, als die Büroräume. Alles in allem also in sicherlich gut durchdachtes, logisch strukturiertes System – das trotzdem kaum ein Außenstehender durchblickt.

 

Hier dinieren die Staats- und Regierungschefs. Foto: Thomas Otto

Hier dinieren die Staats- und Regierungschefs. Foto: Thomas Otto

Der wohl exklusivste Ort, den wir besichtigen dürfen, ist Ebene 80, die „Dinner-Ebene“. Hier kommt – anders als in den Verhandlungssaal zu Beginn der Treffen – auch kein Fotograf hin. Nicht einmal die Mitarbeiter der Ständigen Vertretung haben hier so einfach Zugang. Es braucht schon einen roten Badge mit zusätzlicher goldener Markierung, um während eines Gipfels hier hinauf zu dürfen. Andererseits: Was hätte man auch davon, anderen beim Essen zuzusehen?