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14.10.2015

Ausspähen unter Freunden beim BND?

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Hat der BND nur aus Versehen US-Suchkriterien im Einsatz gehabt, die auch zur Spionage in befreundeten Staaten führten? Oder war es der BND selbst, der Ziele unter anderem in Frankreich auf seinen Selektoren-Listen eintrug?

Eigentlich sollte der frühere Bundesverwaltungsrichter Kurt Graulich, von der Bundesregierung bestellter Sachverständiger, Ende Oktober den Abgeordneten seinen Bericht vorlegen, was er bei der Sichtung vom BND aussortierter Selektoren – so heißen im Geheimdienstjargon die Suchkriterien – gefunden hat.

Sie werden benutzt, um Datenverkehre nach Zielen zu durchforsten, beispielsweise nach bekannten Telefonnummern, Benutzernamen für Skype oder E-Mailadressen. Die NSA hatte dem BND über die gemeinsame Dienststelle in Bad Aibling Suchkriterien für gemeinsame Erfassungen – zum Beispiel im Projekt Eikonal, der Überwachung eines Telekommunikationsknoten der Deutschen Telekom bei Frankfurt bis 2008, und für die Satellitenüberwachung in Bad Aibling übergeben.

Nicht alle der US-Suchbegriffe entsprachen den deutschen Kriterien. Bekannt wurden zum Beispiel Suchkriterien zum Militärhubschrauberhersteller Eurocopter, zum Rüstungskonzern EADS und zu französischen Regierungsbehörden. Dass der Elysee-Palast nicht Teil des Auftragsprofil der Bundesregierungs für die Pullacher Schlapphüte sei, hatte BND-Chef Schindler vor dem NSA-Untersuchungsausschuss schon einmal im Frühsommer bekräftigt – doch dass dieses Problem eventuell gar nicht auf die NSA, sondern auf den BND zurückzuführen sein könnte, das war bislang nicht erwartet worden. Stattdessen hatte sich herausgestellt, dass der BND zum Teil die für ihn interessanten Suchbegriffe der NSA in seine eigenen Suchdatenbanken übernommen hatte – die getrennt von den in Bad Aibling gepflegten gemeinsamen Datenbanken mit der NSA betrieben werden.

Doch nun heißt es in Medienberichten der Mitteldeutschen Zeitung und von Spiegel Online, dass dem BND eben nicht einige unzulässige NSA-Selektoren durchgerutscht sind. Französische und US-Ziele sollen nicht in der gemeinsamen, sondern den BND-eigenen Datenbanken gestanden haben. Darüber soll das Bundeskanzleramt im Beisein von BND-Präsident Gerhard Schindler am Mittwoch die Abgeordneten im Parlamentarischen Kontrollgremium unterrichtet haben. Darin steckt auch außenpolitisch einiger Sprengstoff – denn insbesondere mit den französischen Diensten arbeitet der BND eigentlich eng und gut zusammen.

Das Parlamentarische Kontrollgremium für die Nachrichtendienste will nun eine „Task Force“ nach Pullach entsenden. Dass es im Nachgang der Snowden-Enthüllungen beim BND eine Änderung der Überwachungskriterien gab, hatte sich im Laufe des Untersuchungsausschusses bereits gezeigt: vom Satz der Bundeskanzlerin Angela Merkel „Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht“ im Herbst 2013 zeigten sich auch die eigenen Spione überrascht – im Nachgang soll sich die Praxis beim BND geändert haben, doch eine schriftliche Dienstanweisung durch den Präsidenten soll es nicht gegeben haben.

Bei den BND-internen Prüfungen, bei deren Darstellungen es im Untersuchungsausschuss immer wieder zu Ungereimtheiten, Gedächtnislücken und im Fall des zuständigen Unterabteilungsleiters in der Abteilung Technische Aufklärung Dietmar B. auch zu einer teilweisen Aussageverweigerung gekommen war, sind wohl auch Tausende vom BND stammende Selektoren, die nicht im Einklang mit dem Auftragsprofil der Bundesregierung für den BND standen, aufgefallen. Systematisch sollen die Selektorendatenbanken erstmals im August 2013 von einem Mathematiker („Dr. T.“) in der Pullacher Zentrale geprüft worden sein – dabei wurden zehntausende Begriffe gefunden, die sodann gegen eine weitere Verwendung gesperrt wurden, bestimmte Muster sollen die Vielzahl an Treffern ergeben haben.

Das Kanzleramt steht nun vor einem Erklärungsproblem: der für die Geheimdienstaufsicht zuständige Kanzleramtsminister Peter Altmaier hatte unter Verweis auf ein Abkommen mit den US-Nachrichtendiensten stets betont, dass die von US-Diensten stammenden Selektoren dem Parlamentarischen Kontrollgremium und dem NSA-Untersuchungsausschuss nicht zugänglich gemacht werden könnten, solange die USA dem nicht zustimmten. Die BND-eigenen Suchkriterien hingegen kann der Kanzleramtsminister den Parlamentariern kaum vorenthalten. Doch ob die BND-eigenen Suchkriterien dem „Selektorenprüfer“, dem vom Kanzleramt ernannten Beauftragten Kurt Graulich überhaupt eingesehen werden konnten oder ob dieser ausschließlich die „Giftliste“ der aussortierten NSA-Selektoren zu sehen bekam wird die Parlamentarier nun intensiv beschäftigen. Gegen die Verweigerung der Bundesregierung, die Selektoren den Parlamentariern zugänglich zu machen haben Linke und Grüne Mitte September beim Bundesverfassungsgericht ein Organstreitverfahren angestrengt.