Außenpolitik, Bundesregierung, Bundestag, Innenpolitik, Verteidigungspolitik
Bundestag im Juni 2015 (c) Falk Steiner
Bundestag im Juni 2015 (c) Falk Steiner
04.12.2015

Der Syrieneinsatz: Zwei Perspektiven

Von

Auch im Hauptstadtstudio diskutieren wir teils sehr intensiv, was von politischen Entscheidungen zu halten ist – und warum. Wir wollen Ihnen hier zwei Kommentare gegenüberstellen, die Ausdruck eben solcher Diskussionen sind.


Stephan Detjen

Schlafwandler des 21. Jahrhunderts?

Deutschland auf dem Weg in den syrischen Krieg

Der australisch-britische Historikers Christopher Clarke benötigte den Abstand von 100 Jahren, um die Ursachen für den Ausbruch des Ersten Weltkrieges zu entwirren. Ähnlich wird es möglicherweise erst seinen akademischen Urenkeln in einem späteren Jahrhundert gelingen, die verworrenen Bahnen nachzuzeichnen, auf denen Deutschland heute in den syrischen Krieg eingetreten ist. Nur ein Jahr nach den Gedenkveranstaltungen des vergangenen Jahres erscheint es nicht mehr ausgeschlossen, dass spätere Generation auch Clarkes Bild der Schlafwandler noch einmal bemühen, um die Akteure zu beschreiben, die sich gegenwärtig auf dem syrischen Schlachtfeld begegnen.

Der Deutsche Bundestag jedenfalls stimmte heute einem Einsatz der Streitkräfte zu, dessen Ziel und Ausgang niemand abschließend zu definieren vermochte. Niemand vor allem kann garantieren, dass der Feldzug in Syrien nicht so wie der in Afghanistan in einer vertuschten Niederlage, wie der im Irak in einer Zerstörung eigener Glaubwürdigkeit oder wie jener in Libyen in einem regionalen Chaos enden wird. Als eine von äußeren Zwängen getriebene Weltmacht taumelt Deutschland in diesen Krieg, auf den es sich aus eigenem Antrieb wohl nie eingelassen hätte. Und doch konnte auch die Opposition im Bundestag keine sinnvolle Alternative zum Zustimmungsbeschluss der Großen Koalition aufzeigen.

Denn dieser Einsatz der Bundeswehr ist auch, aber nicht allein durch den Kampf gegen den kriegerischen Terror des IS legitimiert. Es geht in diesem Fall ebenso darum, als Teil einer Europäischen Union zu handeln, in der Deutschland nicht in allen Fragen die Rolle der Leitmacht für sich beanspruchen darf. Als Frankreich und Großbritannien im März 2011 zum Kampf gegen das Gaddafi-Regime in Libyen riefen, konnte sich Deutschland dem noch mit berechtigter Skepsis entziehen. Damals sollte eine Allianz als Ordnungsmacht im nördlichen Afrika geschmiedet werden. Jetzt aber hat Frankreich erstmals in der Geschichte der Union den europäischen Bündnisfall ausgerufen.

Damit steht die labile Einheit Europas auf dem Spiel. Eine Verweigerung des militärischen Beistandes durch Deutschland wäre in diesen Zeiten ein Treibsatz für die zentrifugalen Kräfte, die Europa in seinen inneren Krisen der letzten Jahre auseinandertreiben. Gerade in Frankreich haben sie in Gestalt der Nationalpopulistin Marine LePen eine bedrohliche Stärke erreicht. Aus französischer Sicht ist der Kampf gegen den IS zu einer Nagelprobe für die Europäische Einheit geworden. Deutschland hat kein Interesse daran, sich auf die schlafwandlerischen Pfade zu begeben, auf die Europa abgleitet, wenn es seinen inneren Zerfallsprozessen weiteren Vorschub leistet. Zur Wahrheit des Syrien-Einsatzes der Bundeswehr gehört es gerade deshalb, dass er nicht nur Kampf gegen den Terror ist, sondern auch Unterstützungsmission für den französischen Staatspräsidenten Hollande und damit für Europa.


Falk Steiner

Dieser Einsatz ist falsch

Europas schlechte Verfassung ist kein legitimer Kriegsbeteiligungsgrund

Es ist schön, mit welcher Verve man über diese großen Gesten der Bundesrepublik diskutieren mag. Und natürlich, ein Militäreinsatz ist anständig zu diskutieren. Bloß eine Frage, jenseits aller europa-innenpolitisch gebotenen Solidarität, bleibt: was soll das?

Es war gut, heute im Bundestag die vielen Stimmen zu hören, die kritisch und selbstkritisch nach Zielen, Konzepten, Konfliktlösungsstrategien und Ansätzen jenseits des Containments, der Einhegung, der IS-Gebiete suchten und Hoffnung zum Beispiel in die Wiener Gespräche legten. Da war es gut zu hören, dass die Linken auch die russischen Bomben für falsch halten. Und, dass auch Unionspolitiker Saudi-Arabien für einen Problemverbündeten erachten. Dass die Vereinten Nationen trotz zumindest fraglicher Resolutionslage weiterhin eine Rolle spielen sollen. Und auch die Einsicht, dass man in der Vergangenheit vielleicht Fehler gemacht habe, die kann nie zu spät kommen. Bloß: ja, der IS ist rein militärisch nicht zu bezwingen, schon gar nicht mit Luftschlägen.

Wer ihn bezwingen will, muss ihm die Grundlage entziehen – und eine Lösung bieten. Die Lösung, das ist neben Geld, Kämpfern und Waffen – hierfür ist zweifelsohne die Türkei ein Schlüssel – vor allem eines: eine IS-lose Perspektive für die sunnitischen Gebiete im Osten und Norden Syriens und im Westen des Iraks zu schaffen, die Verlierer der Alt-Irak-Zerschlagung. Eine, die klar in Täter, Mittäter, Opfer und Unbeteiligte unterscheidet und die IS-Strukturen zur Verantwortung zieht, ob Syrer oder Zugereiste.

Europa müsste wohl Schutzmacht werden, für diese Sunniten, womöglich gegen jene von Assad oder den dann regierenden alawitischen und sunnitischen Eliten dominierten Gebiete, die auch künftig noch Syrien heißen werden, gegen den Iran, wohl auch den schiitisch dominierten Rest-Irak und Russland. Aber wohl auch gegen die Kurden, die wiederum eine eigene Schutzmacht gegen die Türkei benötigen – was wohl nur die USA sein könnten.

Gefangen in den gefühlten Zwängen der realpolitischen Notwendigkeit solidarischer post-Paris-Gesten, im Kontext einer sich sonst weiter selbst zu Grunde richtenden Europäischen Union, gefangen in dem richtigen Wunsch, endlich auch etwas zur Beseitigung der Terrorursachen zu unternehmen, wird nun aber nur ein symbolischer – der tatsächliche militärische Mehrwert ist höchstens überschaubar, vielleicht tatsächlich sogar gar nicht vorhanden – Beitrag zur Bekämpfung der Organisation geleistet, die sich Islamischer Staat nennt. Deutsche Tornadopiloten erfassen Ziele, die Bomben werfen die Verbündeten. Doch mit sechs Tornados tief über das Krisengebiet hinwegzufliegen und Live- und Infrarotbilder weiterzufunken, trägt nicht zur nachhaltigen Lösung, sondern bloß zum Containment, zur Einhegung, bei – und damit zur grundsätzlichen weiteren Stabilisierung von IS wie Assad. Und die Zivilbevölkerung, um die es angeblich ja doch auch geht, ist in beiden Gebieten der Verlierer.

Krieg bleibt keine Fortsetzung der Diplomatie mit anderen Mitteln. Er ist auch nicht die Fortsetzung der Innenpolitik mit anderen Mitteln – also dass, was man zu Recht zum Beispiel Wladimir Putin gerne vorwirft. Daher ist, so wie er ist und zu welchem Zeitpunkt er kommt, dieser Bundeswehreinsatz falsch.

Kommentare zu diesem Beitrag (1)

  1. lk1913 | 6. Dezember 2015, 7:07 Uhr

    Klarer Sieger

    In dieser Gegenüberstellung bin ich ganz bei Herrn Steiner, denn so klug Herr Dethjen auch die historischen Parallelen entwickeln mag – wenn dabei herauskommt, D müsse nun mal mitbomben, damit die EU nicht auseinanderfliege und bei aller abwägenden Klugheit der inhumane Aberwitz einer solchen Argumentation nicht bemerkt (oder gar ignoriert) wird, bleibt seine Argumentation nur intellektuelle Hütchenspielerei.
    Ein Europa, dass nur durch einen Kriegseintritt glaubt, sich vor dem Zerfall in rechtsnationalistische Eigenbrötelei retten zu können, ist von Grund auf falsch konstruiert. Seine Rettung auf Kosten der syrischen Bevölkerung wird eh nicht von langer Dauer sein.

    Was aber will mir Herr Steiner mit seinem letzten Satz sagen? Zu einem anderen Zeitpunkt wäre dieser Bundeswehreinsatz in Ordnung? Oder wenn er anders wäre – ja bitte wie denn??