Brüssel
Eines der letzten Antiquariate in Brüssel. Foto: Johannes Kulms
Eines der letzten Antiquariate in Brüssel. Foto: Johannes Kulms
30.12.2015

Wo der Kommissar seine Krimis kauft

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Mitten im EU-Viertel zwischen Parlament und Kommission hat Yves Collet sein Antiquariat. Hinter einem unscheinbaren Schaufenster verbirgt sich eine imposante Sammlung gebrauchter Bücher. Nicht nur die „normalen“ Bewohner des Brüsseler EU-Viertels stöbern hier nach Raritäten. Auch die Mitarbeiter der EU-Institutionen gehören zu Collets festem Kundenstamm.

Das bunt gestrichene Fischerboot schaukelt idyllisch in der Bucht. Aber leider nicht in echt, sondern nur auf einem Buchdeckel. 2,50 Euro kostet der Bildband über die Mittelmeerinseln im Schaufenster. Immer wieder stoppen Passanten vor der Bouquinerie Thomas und betrachten neugierig die Auslage.

 

Schaufenster der Bouquinerie Thomas. Foto: Johannes Kulms

Schaufenster der Bouquinerie Thomas. Foto: Johannes Kulms

Auch der Second-Hand-Laden hat etwas von einem idyllischen Hafen. Während draußen die Hektik des Brüsseler EU-Viertels regiert, taucht der Besucher gleich nach dem Betreten des Ladens ein in ein Meer aus Stille – und Büchern.

Rund ein Drittel seiner Kunden kommen von der EU, schätzt Yves Collet – der Eigentümer der Bouquinerie Thomas:

„Die Leute von der EU sind leicht zu erkennen: Die tragen meist Anzug und Krawatte. Das sieht man ja kaum noch in Belgien, wo eher ein sportlicher Dress getragen wird. Meistens sind die EU-Kunden auch sehr höflich. Das finde ich natürlich gut, wenn die mich beim Reinkommen grüßen. Aber ich weiß ja nie, habe ich jetzt nur einen Angestellten vor mir, oder jemanden in leitender Funktion oder gar einen Minister. Es sei denn, ich erkenne das Gesicht wieder. Für mich ist das schon wunderbar, Leute zu sehen, die noch Wert legen auf guten Kleidungsstil. Manchmal ist das sehr verblüffend, wenn es Mode ist, die man hier so nicht trägt. Da sehe ich dann sofort: Die Person kommt aus dem und dem Land, weil sie den und den Stil hat. Ob die Frisur, das Make-Up oder Schmuck. Das ist doch schön. Ich bin praktisch mit meinen Kunden die ganze Zeit am Rumreisen. Die sind ganz anders, als meine Kunden früher, die fast schon im Jogginganzug oder im Pyjama ihre Bücher eingekauft haben. Nun sind die Kunden schön und kultiviert. Und das ist ein Vergnügen.“

Buchhändler Yves Collet. Foto: Johannes Kulms

Buchhändler Yves Collet. Foto: Johannes Kulms

Yves Collets Laden befindet sich in der Rue Froissart – direkt gegenüber vom klotzigen Bau der EU-Generaldirektion für Übersetzung. Der Schuman-Kreisel – das institutionelle Herz der EU – ist nur ein paar hundert Meter die Straße hoch. Dort haben Kommission und Rat ihren Sitz.
Der 56-Jährige Collet freut sich, wenn die Sommerpause vorbei ist und das EU-Viertel wieder zum Leben erwacht. Denn das bringt ihm viele Kunden zurück – allerdings bleibt das nicht ohne Nebenwirkungen:


An die 30 Meter geht der Verkaufsraum von Collets Laden in die Tiefe. Gleich am Eingang hängt ein Raumplan. Darauf verzeichnet: Sämtliche Regalreihen und Themengebiete: Romane, Comics, Wörterbücher, Esoterik, Geschichte, Reiseführer oder Sachbücher über europäische Bodentruppen. Für fast jeden Geschmack ist etwas dabei – und all dies in den verschiedensten Sprachen.
Am meisten verkauft Collet auf Englisch. Aber auch auf Deutsch hat er gleich mehrere Regal voll mit Literatur stehen.

 

 

Wie tickt es denn so, das EU-Personal? Wovon träumen jene, die bei den Institutionen arbeiten?

„Das kann ich nicht sagen, denn ich habe ja zu den meisten meiner Kunden nicht so ein persönliches Verhältnis. Ich erfahre also nicht so viel über ihr Privatleben. Aber natürlich lassen sich einige Rückschlüsse ziehen, durch die Bücher, die sie kaufen. Einige interessieren sich eher für Abenteuerromane, dann wieder Geschichte oder Reiseliteratur und danach kann ich besser sagen, wofür sich jemand so interessiert. Aber wir reden weniger über die Herkunft der Leute, zum Beispiel aus welcher Stadt sie stammen. Dabei würde mich das sehr interessieren, weil ich früher viel gereist bin. Und das ist schade, weil wenn mir jemand erzählen würde, er ist aus Berlin, dann würden da sofort Erinnerungen wach werden. Ich bin ja hier jetzt mit meinem Buchladen den ganzen Tag beschäftigt und kann nicht mehr viel reisen.“

Und doch gibt es etwas, was Buchhändler Collet gerade beim EU-Personal immer wieder auffällt:

 

 

Seit bald 40 Jahren ist Yves Collet Buchhändler, seit vier Jahren betreibt er den Laden im EU-Viertel. Eigentlich laufe es ganz gut, auch wenn die fetten Jahren mittlerweile vorbei sind. Als Bouquinist ist er mittlerweile eine Ausnahme. Hätte es in den 70er Jahren in Brüssel noch mehr als 300 solcher Buch-Antiquariare gegeben, seien heute noch knapp ein Dutzend übrig, schätzt Collet. Und doch ist er glücklich.

„Jeden Tag von zehn bis 19 Uhr bin ich hier – sechs Tage die Woche. Ich bin ganz alleine und mache keine Pause. Wenn ein Stammkunde da ist, nutze ich das kurz, um mir etwas zu Essen zu holen oder auf die Toilette zu gehen. Aber ich liebe meine Arbeit. Die Tage sind immer spannend, weil man ständig Leute trifft. Da geht die Zeit schnell rum. Ich sitze hier also nicht und warte darauf, dass Schluss ist, sondern bin mit ganzem Herzen dabei. Die Freiheit, die ich hier habe, ist etwas Wertvolles. Und ich will nicht, so wie die Leute drüben bei der EU, den ganzen Tag im Büro sitzen. Ich habe einen Beruf, den es immer seltener gibt. Zum Glück kann ich noch von meiner Arbeit leben. Aber es ist eine Freude, dass man dabei dem eigenen Rhythmus folgen kann.“

Dem Kommissionspräsidenten – der Luxemburger Jean-Claude Juncker – bringt Collet viel Sympathie entgegen. Denn auch Collets Großvater war Luxemburger. Auch sonst steht der Buchhändler der europäischen Integration sehr positiv gegenüber.


Manchmal kämen auch bekannte Leute von der EU in seinen Laden, zwei oder drei Kommissare seien wohl darunter gewesen. Leider kenne er keinen mit Namen, nur vom Gesicht her hätte er sie erkannt. Darunter sei auch so ein Portugiese gewesen… Barroso? Vielleicht, so genau wüsste er es leider nicht, entschuldigt sich Collet mit einem Lächeln im Gesicht.