Berlin, Medien, Parteien
Ein Winter-Sonnenuntergang über dem Kanzleramt. (c) Nadine Lindner
Ein Winter-Sonnenuntergang über dem Kanzleramt. (c) Nadine Lindner
16.03.2016

„Provinz“ oder „Blase“? Vom Land in den Bund

Von

Von 2013 bis 2015 berichtete Nadine Lindner für Deutschlandfunk, Deutschlandradio Kultur und DRadio Wissen als Landeskorrespondentin über Sachsen, seit Anfang 2016 ist sie im Hauptstadtstudio des Deutschlandradios und nimmt sich der Bundespolitik an. Was ist gleich, was ist unterschiedlich, wenn es von der Elbe an die Spree geht?

„Nadine, wenn du bei uns im Hauptstadtstudio anfängst, schreib uns doch mal für das Blog auf, welche Unterschiede dir so über das Politikmachen auffallen.“

Diese Bitte konnte ich natürlich nicht abschlagen. Nach zweieinhalb Jahren im Landesstudio Dresden arbeite ich nun seit Mitte Januar bis zunächst Ende Juli im Hauptstadtstudio für die Programme des Deutschlandradios. Mit Zuständigkeit für die Grünen und die Umweltpolitik. Ein paar Beobachtungen, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben.

1. Die Abgeordneten

Böse könnte man sagen, dass im sächsischen Landtag Nordsachsen auf die Lausitz trifft, das Erzgebirge auf das Vogtland und – dass es sich dann auch hat mit der Vielfalt. Die Biographien vieler Abgeordneter deuten auf große Heimatverbundenheit hin.

Wer sich zum Beispiel den Vorstand der CDU-Fraktion im Sächsischen Landtag anschaut, stellt fest, dass von diesen fünf Abgeordneten nur einer nicht in Sachsen geboren ist. Die anderen vier wohnen nicht weiter als 40 Kilometer von ihrem Geburtsort entfernt.
Ähnlich ist auch das Bild in den Fraktionsvorständen der anderen Parteien. Bei der zweitgrößten Fraktion, den Linken, kommen vier der sechs Abgeordneten im Parteivorstand aus Sachsen. Nur die mitregierende SPD bietet da ein etwas anderes Bild: Nur einer aus dem vierköpfigen Fraktionsvorstand kommt ursprünglich aus Sachsen.

Heimatverbunden, bodenständig im positiven Sinn, im negativen Sinn provinziell lesen sich die Lebensläufe. Begünstigt werden sie durch regional orientierte Parteistrukturen. Wer wirklich etwas werden will, einen Wahlkreis oder einen Listenplatz bekommen will, sollte nicht zu oft den Kreis- oder Landesverband wechseln. Sie sind für die Nominierungen entscheidend. Leider führt das auch nicht unbedingt zu mehr Weltoffenheit oder Flexibilität.

2. Verbändelandschaft

Allein an den Klingelschildern im Haus der Bundespressekonferenz offenbart sich die Endlosigkeit der Verbändelandschaft. Da sitzen neben nationalen und internationalen Medien auch zahllose Verbände. Der „Bundesverband Straßenbeleuchtung, Masten und Infrastruktur e.V.“ oder der „Bundesverband der Ruhestandsplaner e.V.“ seien da nur als zwei Beispiele genannt. Rund 5.000 Lobbyisten arbeiten nach einer Schätzung der NGO „Lobby Control“ in Berlin. Mittlerweile gibt es sogar spezialisierte Stadtführungen zu dem Thema durch das Berliner Regierungsviertel.

Für Journalisten wie Abgeordnete ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite liefern sie wichtiges Fachwissen, können als Ansprechpartner zum Beispiel in der Energiepolitik komplexe Sachverhalte bis ins Detail erklären.

Auf der anderen Seite nehmen sie Einfluss auf Gesetzgebungsverfahren, versuchen sich gute Kontakte zu Bundestagsabgeordneten aufzubauen – und zuweilen auch öffentlich, über Medien, ihren Forderungen Gehör zu verschaffen. Kein spannungsfreies Verhältnis.
Auf Landesebene ist dies viel weniger ausgeprägt. Natürlich gibt es hier auch Landesableger zum Beispiel der großen Interessensverbände wie Gewerkschaften oder Umweltverbände. Aber an die Vielfalt der Bundesebene kommt es keinesfalls heran.

3. „Wir“ und „die“

Kritischer, schneller, mehr internationale Presse. Das ergibt der Kurzvergleich zwischen der Landespresse in Dresden und dem Berliner Betrieb. Eine knappe Stunde dauert eine Regierungs-Pressekonferenz im Schnitt. Die Sprecher aller Ministerien stehen für Fragen zur Verfügung. In Sachsen geht die PK nach der Kabinettssitzung oft schneller. Ein Minister bzw. ein Sprecher steht zu einem Spezial-Thema aus dem Kabinett zur Verfügung. Zu anderen Themen, Tagesaktuellem könnte der Regierungssprecher Auskunft geben. Das klappte nicht immer. Meine Vermutung, dass dies mitunter von der Tageslaune des Regierungssprechers abhing, hat sich innerhalb von zwei Jahren erhärtet.

4. Die lieben Kollegen

Ja, ich meine es genau so, wie ich es sage. Die lieben Kollegen. Das Verhältnis zu den anderen Journalisten war freundlich, verbindlich. Das ist wichtig, gerade, wenn man als Landeskorrespondentin Einzelkämpferin ist. Nach spätestens zwei Monaten kannte man sich wenigstens flüchtig. Zu Terminen kamen 25, vielleicht mal 30 Leute. Also gut eine Klassenstärke.
Nach den zwei Großereignissen Landtagswahl und Pegida war man ziemlich zusammengerückt. Kalte Montagabende auf der Straße verbinden einfach.

In Berlin ist die Kollegengruppe unübersichtlicher. Die zuständigen für die Fachgebiete, in meinem Fall die Umweltpolitik, sieht man regelmäßig auf den entsprechenden Terminen. Bei anderen Pressekonferenzen begegnet einem am Anfang kein einziges bekanntes Gesicht.

Der Blick aus dem Dresdner Korrespondentenbüro. (c) Nadine Lindner

Der Blick aus dem Dresdner Korrespondentenbüro. (c) Nadine Lindner

5. Der Hashtag

Ein schöner kleiner Hashtag, unter dem auf Twitter alles zu finden ist, was landespolitisch relevant ist. In Sachsen tippt man einfach nur den Suchbegriff #saxlt in den Kurznachrichtendienst ein und bekommt alle Tweets ausgespuckt, die mit dem Parlamentsgeschehen in Sachsen zu tun haben.
In Berlin dagegen ist die Landschaft unübersichtlicher. Der Hashtag #Berlin ist ausgefranst, zu viele Partybilder. #Bundestag hilft auch nicht weiter. Zu viele Twitter-Trolle von rechts oder Touristenbilder von der Dachterrasse.
Auch Nachfrage bei kundigen Kollegen helfen da nicht wirklich weiter.
Also, es ist Zeit, in Berlin von Sachsen zu lernen. Könnten wir uns auf den neuen Hashtag #btpolitik einigen und dann da auf Twitter wiedertreffen?

6. Die Themenfelder

Nicht nur bodenständigere Abgeordnete, sondern auch bodenständigere Themen finden sich im Landtag. Natürlich ist Landespolitik mehr als das Zählen von Lehrern oder Polizisten. Aber die politischen Themen sind im Bundestag um einiges vielfältiger. Das liegt an der Außenpolitik, oder auch Verteidigungspolitik, die in einem Landesparlament – wenn überhaupt – nur mittelbar eine Rolle spielt. Höchstens dann, wenn jemand wissen will, wie sich die Russland-Sanktionen auf sächsische Unternehmen auswirken oder Bundeswehrstandorte in Frage stehen.

Aber wenn man sich zum Beispiel die Energie-Politik anschaut, dann wird klar, wo die Grenzen der Landesgesetzgebung liegen. Werden in Berlin, im Bundeswirtschaftsministerium die großen Linien der Energiewende festgelegt, so können die Länder höchstens im Rahmen der Raumplanungsverfahren Einfluss nehmen. Da geht es dann um die Frage, welchen Abstand Windräder zu Wohnbebauung oder Autobahnen einhalten müssen. Für die Umsetzung der Energiewende mit ihrer dezentralen Stromerzeugung ist das kein profanes Problem, aber es ist auch nur ein Schritt.

7. Abendtermine/Hintergrundgespräche

Diese Erkenntnis ist Allgemeingut in Berlin, aber wer es drauf anlegt, kann jeden Abend zu einem Empfang oder Vortrag mit anschließendem Büffet gehen.

Diese Art von sozialer und kulinarischer Grundversorgung ist in der Landeshauptstadt so nicht gegeben. Hier geht es bodenständiger zu. Zum Hintergrundgespräch mit dem Ministerpräsidenten und der Landespresse werden in der Staatskanzlei belegte Brötchenhälften mit Fleischsalat gereicht. Und zwischen dem Neujahrsempfang und dem Sommerfest im Landtag muss man doch mal selber einkaufen gehen.

8. Nähe/ Distanz Sprecher

Macht es einen Unterschied, ob man einen Interview-Termin mit dem Pressesprecher auf „Du“ oder „Sie“ vereinbart? Ja. Denn das „Du“ kriegt man nur leider schwierig wieder eingefangen. Die Vertraulichkeit will dann nicht so richtig zu den bitterbösen Fragen passen, die man für den Chef oder die Chefin des Pressesprechers schon im Block stehen hat.
So wie die Journalistenkollegen in übersichtlicher Anzahl auftreten, so verhält es sich auch bei den Sprechern von Ministerin, Fraktionen oder Parteien. Und gerade bei denjenigen, die „jung“ sind – also irgendwo in diesem Kosmos unter 40, schleicht das das „Du“ gerne mal in den Sprachschatz rein. Man kennt sich, man sieht sich eh ständig, da passiert das schon mal.
In Berlin belässt man es dann doch länger beim „Sie“.

Fazit: Mehr als nur größer

Im landespolitischen Milieu kreist man doch eher um sich selbst. Alle kennen alle und das teilweise schon seit Jahren. Das erzeugt eine gewisse Verbindlichkeit, die aber auch in Enge umschlagen kann.

Im Hauptstadtbetrieb sind Spezialisierung und Arbeitsteilung wesentlich ausgeprägter. Das gilt für Abgeordnete wie Journalisten. Der Kontakt zu „normalen“ Menschen, die nicht irgendwie dafür bezahlt werden, mit mir zu reden, ist sehr viel seltener als in Dresden.
Die Blase in Berlin ist sehr viel größer als in Dresden – und sehr viel trennschärfer. Politik beschäftigt sich vor allem mit Politik, die Einbindung der Abgeordneten in gesellschaftliche Strukturen wie das THW oder Sportvereine spielt hier, zumindest für das Geschehen in Sitzungswochen, eine viel geringere Rolle. In Sachsen sind für die bundesweite Berichterstattung vor allem die Plenarwochen relevant – und die sind getrennt von „Fraktionswochen“ und „Ausschusswochen“.

In Berlin finden Fraktions- und AG-Sitzungen, Ausschüsse und Plenardebatten alle immer in der gleichen Woche statt. Eine extreme Verdichtung: „Die gehen morgens früher rein und kommen abends später raus“, sagte mir ein Abgeordneter, der beide Welten kennt – und den Landtag schätzt.