Berlin, Brüssel, Bundesregierung, EU-Kommission
Die Staats- und Regierungschefs beim Gipfel in Brüssel © The European Union
Die Staats- und Regierungschefs beim Gipfel in Brüssel © The European Union
18.03.2016

Legal? Illegal? Ganz egal!

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Kampf gegen das menschenverachtende Geschäft der Schlepper, Schluss mit illegaler Migration in die EU, Umwandlung von illegaler in legale Einreise! Das sei das oberste Ziel der EU und der Türkei  – will die Politik uns glauben machen. Das wirkliche Ziel ist aber ein ganz anderes.

Wenn sich Akteure in der Öffentlichkeit äußern, dann wollen sie in der Regel eine Botschaft vermitteln. Kommunikation findet nicht zum Selbstzweck statt, sondern hat ein Ziel. Sei es in der Werbung, der PR oder in der politischen Kommunikation. Politiker überlegen sich (in der Regel) genau, welche Worte sie verwenden und welche Botschaft sie damit aussenden. Im Idealfall – aus Sicht der Kommunizierenden – übernehmen Journalisten in ihrer Berichterstattung dann diese Formulierungen und die Geschichte, die damit erzählt werden soll.

Geht es um die Zusammenarbeit zwischen EU und Türkei, wird uns wieder so eine Geschichte (eloquente Sozialwissenschaftler sprechen gern vom Narrativ) präsentiert. Hintergrund: Sämtliche Flüchtlinge, die auf dem sogenannten illegalen Weg – also über das Mittelmeer – aus der Türkei Griechenland erreichen, sollen zurück in die Türkei abgeschoben werden. Für jeden abgeschobenen Syrer will die EU einen anderen Syrer aufnehmen (Stichwort „Resettlement“). Die Geschichte, die uns die Befürworter einer Zusammenarbeit zwischen EU und Türkei erzählen wollen, geht nun folgendermaßen:

 

Nach dem EU-Türkei-Gipfel vom 07. März erklärte Bundeskanzlerin Merkel in ihrer anschließenden Pressekonferenz:

„Denn diejenigen, die illegal die griechischen Inseln erreichen, werden mit Sicherheit nicht zu denen gehören, die als erste umgesiedelt werden, sondern bestenfalls am Ende der Schlange wahrscheinlich überhaupt nicht die Chance auf Umsiedlung bekommen. Das heißt ein deutlicher Anreiz, legale Wege zu wählen und damit die illegale Migration zu stoppen.“

Flüchtlinge sollen also legale Wege in die EU wählen, wollen sie hier Asyl beantragen, und nicht illegale Wege. Legal statt illegal – wer kann da etwas dagegen haben?

Legale Wege in die EU?

Mit dem neuen Programm soll eine begrenzte Zahl syrischer Flüchtlinge direkt in die EU umgesiedelt werden, ohne den gefährlichen Weg über das Mittelmeer nehmen zu müssen. Alle anderen Flüchtlinge haben entweder keine Chance auf Asyl in der EU, oder sie wählen einen der anderen legalen Wege. Welche waren das noch mal? Die Bundesregierung* müsste das doch eigentlich wissen. Immerhin will Bundeskanzlerin Merkel ja Anreize schaffen, damit Flüchtlinge genau diese legalen Wege nutzen.

Frage: Welche legalen Wege, in der EU Asyl zu erhalten, gibt es zurzeit? Welche legalen Wege wird es in Zukunft für Nichtsyrer geben? Welche Anreize will man schaffen, um die illegale Einreise von Nichtsyrern zu verhindern?

Antwort: Ich glaube, das kann ich nicht umfassend beantworten. Aber es gilt nach wie vor, dass das Asylsystem national ist. In Deutschland ist es so geregelt: Wer bei uns erscheint, kann ein Asylgesuch vorbringen. Wer in Griechenland erscheint, kann auch ein Asylverfahren beantragen. Dann wird geprüft, ob dieses Asylverfahren zulässig ist. Natürlich kann jemand, der etwa aus dem Irak kommt, in Griechenland Asyl beantragen. Wenn die entsprechenden Vorbedingungen nach dem dortigen Recht vorliegen, dann bekommt er dort Asyl.

Wer also in Deutschland erscheint, kann ganz legal Asyl beantragen. Der einzige Weg, um in Deutschland Asyl zu beantragen, ohne gegen EU-Regeln zu verstoßen, wäre eine Einreise über Nord- oder Ostsee. Denn laut Dublin-Regeln ist der Mitgliedsstaat für das Asylverfahren zuständig, über den ein Flüchtling erstmals EU-Boden betreten hat. Bei Einhaltung aller Regeln – und darum geht es Angela Merkel ja nach eigenem Wortlaut – muss Deutschland also nicht mit Flüchtlingen rechnen.

Aber betrachten wir die EU als Ganzes. Flüchtlinge können an einem regulären Grenzübergang der EU-Außengrenze die EU betreten und Asyl beantragen. Nun ist Europa zum größten Teil von Wasser umgeben. Einfach mit einem Boot überzusetzen und anzulanden ist legal nicht möglich, da ein Strand eben kein Grenzübergang ist. Bleiben also zwei Optionen: Der Weg über Russland und die Außengrenzen zwischen Bulgarien bzw. Griechenland und der Türkei.

Manche Flüchtlinge haben tatsächlich den langen Weg über Russland bis nach Norwegen und von dort aus nach Schweden auf sich genommen. Abgesehen davon, dass z.B. Syrer für Russland ein Visum benötigen, lauern auf diesem Weg viele Gefahren: die Krisenregionen im Kaukasus, der Konflikt in der Ostukraine, der insgesamt lange und beschwerliche Weg, der schon rein physisch betrachtet nur schwer zu bewältigen ist. Bleibt die legale Einreise nach Bulgarien oder Griechenland, wobei diese Länder dann für das Asylverfahren zuständig wären: In Bulgarien gerieten die Menschen von einem Elend ins nächste. Pro Asyl zitiert aus einem Papier des Auswärtigen Amtes: „In der Regel bedeutet der Erhalt eines Schutzstatus Obdachlosigkeit“. Ähnlich sieht es in Griechenland aus, weshalb der Europäische Gerichtshof schon 2011 Abschiebungen dorthin untersagt hat.

Keine Chance auf ein Visum

Warum dann nicht legal einreisen wie jeder Tourist? Entweder mit dem Flugzeug oder per Fähre über das Mittelmeer. Viele Flüchtlinge könnten sich das Ticket dafür wohl leisten, immerhin zahlen sie Schleppern vierstellige Beträge. Die EU hat das aber bereits im Jahr 2001 mit der Richtlinie 2001/51/EG unmöglich gemacht. Danach können Beförderungsunternehmen in Haftung genommen werden, wenn sie Flüchtlinge in die EU bringen, die kein Asyl erhalten. Die Airlines und Fährbetreiber müssen dann Unterkunft, Verwaltungskosten und Rückreise bezahlen. So können pro Person schnell einige tausend Euro zusammenkommen. Das hat zur Folge, dass Flüchtlinge ohne Visum spätestens im Hafen oder am Flughafen vor der Abreise abgewiesen werden.

Also braucht es ein Visum. Das zu bekommen, ist aber so gut wie aussichtslos. Denn die EU will sicherstellen, dass Einreisende für sich selbst aufkommen können und die EU vor Ablauf ihres Visums auch wieder verlassen. Das Auswärtige Amt nennt folgende Bedingungen:

 

  1. Plausibilität und Nachvollziehbarkeit des Reisezwecks in Deutschland
  2. Finanzierung der Lebenshaltungs- und Reisekosten aus eigenem Vermögen bzw. Einkommen
  3. Bereitschaft des Visuminhabers, vor Gültigkeitsablauf des Visums wieder aus dem Schengen-Raum auszureisen,
  4. Vorlage einer für den gesamten Schengen-Raum und für die gesamte Aufenthaltsdauer gültigen Reisekrankenversicherung mit einer Mindestdeckungssumme von 30.000 Euro.

Zwar können Flüchtlinge Glück haben, wenn sie in der EU einen Bürgen finden, der im Zweifel für sie haftet. Dieser setzt sich dann aber einem großen finanziellen Risiko aus.

Die EU bzw. die Mitgliedsstaaten tun seit Jahren alles dafür, um Flüchtlingen den legalen Weg nach Europa so schwer wie möglich zu machen. Dass diese dann auf als illegal deklarierte Wege ausweichen, um menschenwürdig Asyl zu erhalten, ist nur eine logische Konsequenz. Auf meine Frage, ob die Kommission schon einmal die Frage in Erwägung gezogen hat, warum denn so viele Menschen den illegalen Weg in die EU wählen, antwortete mir der Sprecher der Kommission, Margaritis Schinas:

„Ich vermute, um ihr Leben und das ihrer Familien zu retten.“

Es geht um Kontrolle

Was bleibt also von der Geschichte von den legalen Wegen Asyl in der EU zu erhalten, die uns erzählt wird? Sie geht noch ein kleines Stück weiter: Neue legale Wege sollen geschaffen werden. Einerseits der bereits angesprochene Tausch nach dem Prinzip ein „illegaler“ syrischer Flüchtling gegen einen „Legalen“. Dafür sollen zunächst 72.000 Plätze zur Verfügung stehen. Ist das Programm einmal angelaufen, soll es ein humanitäres Umsiedlungsprogramm geben, über das Flüchtlinge aus der Türkei direkt nach Europa gebracht werden sollen. Dann gäbe es keinen Anreiz mehr für die gefährliche Fahrt über die Ägäis und eine Perspektive in Europa aufgenommen zu werden.

Und hier wird dann auch klar, was die eigentliche Geschichte ist, hinter dem Narrativ, das uns verkauft werden soll. Es geht nur indirekt um die frage legaler oder illegaler Einreise und das Geschäftsmodell der Schlepper. In Wirklichkeit geht es darum, die volle Kontrolle darüber zu erlangen, wer nach Europa kommt. Denn dann kann die EU selbst entscheiden, wie viele Flüchtlinge ihren Boden betreten und mit welchen Flüchtlingen man es überhaupt zu tun haben möchte. Alle anderen bleiben in der Türkei.

Für uns Journalisten bringt der neue Plan einige Fragen mit sich, die hoffentlich in den kommenden Wochen und Monaten beantwortet werden: Nach welchen Kriterien werden die Flüchtlinge ausgewählt, die in der EU aufgenommen werden? Wie sind die Lebensbedingungen der Menschen, die in die Türkei abgeschoben werden? Was ist mit syrischen Kurden? Werden diese ebenfalls in die Türkei abgeschoben? Und wie wird das EU-Geld eingesetzt, das den Flüchtlingen in der Türkei zugute kommen soll? Man kann nur hoffen, dass die in- und ausländischen Journalisten in der Türkei frei genug arbeiten können, um diesen Fragen nachzugehen. Das Beispiel des Spiegel-Korrespondenten Hasnain Kazim lässt daran jedenfalls Zweifel aufkommen.

* Meine Frage habe ich im Rahmen eines Pressebriefings zum EU-Gipfel (17.-18.03.) gestellt. Da die dort anwesenden und Fragen beantwortenden Vertreter der Bundesregierung nicht namentlich genannt werden wollen („unter zwei“), wird üblicherweise die Formulierung „heißt es aus Regierungskreisen“ verwendet.

Kommentare zu diesem Beitrag (1)

  1. Schadt | 19. März 2016, 11:01 Uhr

    Transparenz hergestellt

    Danke. Endlich wird das Gestrüpp der gängigen „Politiksprechs“ durchdrungen.
    Die Frage ist einfach: Welche Chance hat ein Flüchtling X aus der Krisenregion Syrien,
    Asyl in Deutschland (oder in der EU allgemein zu erhalten?
    Antwort: Probier’s mit der Russland-Lösung. Motto: so weit die Füße tragen. Oder durchs Mittelmeer an der französischen Küste entlang durch den Kanal, den Kleinen oder Großen Belt. Da winken dann Kiel, Lübeck, Rostock oder Rügen und Stralsund.
    Vielleicht etwas mühsam, aber immerhin eine Möglichkeit. Zynisch, aber wahr.
    Die kühle Analyse von Thomas Otto hat das Narrativ entlarvt. Und das ohne billige Polemik.
    Danach können wir uns leider nicht wieder bequem zurücklehnen