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Frank Capellan @ Hauptstadtstudio / Foto: Bettina Straub
19.03.2016

Merkels Niederlage ist nun aktenkundig – ein Wendepunkt in ihrer Flüchtlingspolitik

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Ein Kommentar

im Deutschlandfunk

 
Ein Wendepunkt in der Flüchtlingskrise sei diese Vereinbarung, meint ein euphorischer Innenminister. Die Balkanroute hat sich erledigt, betont Thomas de Maiziere, der den fragwürdigen Brüsseler Kompromiss auch noch als Erfolg der Kanzlerin verkaufen möchte. War es nicht Angela Merkel, die bis zuletzt Mazedonien für die Schließung der Grenze zu Griechenland verurteilt hatte?

In diesem Sinne betrachtet, wird nun das Scheitern der mächtigsten Frau Europas aktenkundig. Merkel konnte am Ende nicht anders, als die Mitgliedsstaaten auf einen schmutzigen Deal zu verpflichten, der europäischen Werten Hohn spricht. Es ist eine Notlösung, ein kläglicher Versuch, den Rechtspopulisten in der Europäischen Union mit schnell sinkenden Flüchtlingszahlen den Wind aus den Segeln zu nehmen, mehr ist es nicht. Zu diesem Zweck wird nun mit diesem Abkommen ein fragwürdiger Menschenhandel organisiert. Flüchtlinge, die den Weg nach Griechenland gefunden haben, werden nun einfach wieder abgeschoben in die Türkei, unverzüglich, sofort gilt diese Regelung, ab morgen! Heute aber schon zeigt sich wieder, mit welchem Partner sich die Mitgliedsstaaten da eingelassen haben. Ob Drittstaat oder Herkunftsland, alle Spitzfindigkeiten der Juristen können nicht darüber hinweg täuschen, dass dieses Land gerade alles andere als sicher ist. In Istanbul explodiert die nächste Bombe, die Situation eskaliert weiter, im Osten des Landes wird wieder ein Krieg gegen die Kurden geführt – die Angst nicht nur der CSU davor, dass da schon bald eine neue Flüchtlingswelle auf Deutschland zukommen könnte, ist berechtigt. Es wäre der Gipfel der Heuchelei, am Ende die Türkei auch noch zum sicheren Herkunftsland zu erklären, wie es sich Parteichef Horst Seehofer vorstellt, um für türkische Kurden die Schotten dicht zu machen. Denn verantwortlich für den sich zuspitzenden Konflikt ist kein anderer als der immer autoritärer regierende Präsident Erdogan, der sich einen Teufel um Werte kümmert, zugleich aber auf Beitritt zur Europäischen Union und schnelle Visafreiheit drängt. Erdogan sitzt am längeren Hebel, er vermag die Notlage eines heillos zerstrittenen Europas auszunutzen. Presse- und Meinungsfreiheit werden mit Füßen getreten, Kritiker mundtot gemacht – inzwischen ist das Leben am Bosporus und anderswo schon so gefährlich, dass Deutschland seine staatlichen Einrichtungen schließen muss und das Auswärtige Amt deutsche Türkei-Reisende hilflos warnt, Menschenansammlungen in Istanbul zu meiden. Allerdings: Zu Recht hält Angela Merkel dem NATO-Partner Türkei zugute, dass er sich um Flüchtlinge aus Syrien kümmert. An die drei Millionen wurden aufgenommen, ihnen wird in der Türkei mehr Hilfe geboten als in sehr vielen EU-Mitgliedsstaaten. Weil das so ist, weil die berechtigte Hoffnung und der Wunsch besteht, dass viele Flüchtlinge lieber in der Nähe ihrer Heimat ausharren wollen, spricht einiges dafür, sich von der eigenen Verantwortung frei zu kaufen. Sechs Milliarden Euro stehen jetzt in Rede, vermutlich werden es am Ende noch viel mehr. Aber wem nützt der waghalsige Handel mit Menschen? Wer als Syrer in Griechenland gestrandet ist, darf sich ab morgen in der Türkei wieder hinten anstellen, darauf warten, dass irgendwann ein Platz im EU- Kontingent frei wird. Die in der Türkei lebenden Flüchtlinge sind die guten, die, die viel Geld für die gefährliche Überfahrt nach Griechenland bezahlt haben, werden doppelt bestraft. Kontingente hätten auch ohne den Flüchtlingsdeal vereinbart werden können. Den Staats- und Regierungschefs geht es nur um die schnelle Lösung. Schlepper wären langfristig auch anders zu stoppen, mit einer effektiven Kontrolle der Außengrenzen. Sie werden jetzt ohnehin nach anderen Wegen suchen, in Libyen stehen noch einige Türen nach Europa offen. Hinzu kommt, dass anderen als syrischen Bürgern nun de facto das Recht auf Asyl verweigert wird, sie finden im EU-Austauschprogramm keinerlei Berücksichtigung. Schon vor Tagen hatte Merkel durchblicken lassen, dass sich Europa eigentlich auch um andere Kontingente etwa für Iraker stark machen müsste, wohl wissend, dass es dafür derzeit keinerlei Aussicht auf Erfolg gibt. So wird diese gestrige Vereinbarung nun Europas Richter beschäftigen. Zuvor aber wird die Festung wieder geschlossen, Europas Werte wurden nicht gerettet. Angela Merkel bekommt etwas Luft, kann sich nun verstärkt auf die Integration der Menschen im eigenen Land konzentrieren, geht dafür auch auf die Sozialdemokraten zu, indem sie Gabriels Solidarpakt-Idee aufgreift und ihren Finanzminister anweist, Geld für Flüchtlinge und Bedürftige aus Deutschland gleichermaßen auszugeben. In diesem Sinne haben wir nun einen Wendepunkt erlebt, nicht den in der Flüchtlingskrise sondern den in der Flüchtlingspolitik der Angela Merkel.     

(ar)