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Falk Steiner (c) Bettina Straub / Deutschlandradio
Falk Steiner (c) Bettina Straub / Deutschlandradio
23.03.2016

Kommentar: Die Mitschuld des Ministers

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Der Bundesinnenminister will einen besseren Informationsaustausch in der EU – und benennt den Datenschutz als Haupthindernis. Eine Nebelkerze, denn die Probleme lägen woanders, meint Falk Steiner.

Die politische Debatte in Deutschland, was genau nach den Anschlägen in Brüssel besser werden müsse, um derartigen Taten vorzubeugen, ist im Vergleich zu vorangegangenen Debatten nach ähnlichen Ereignissen relativ gelassen. Zumindest, und das muss man wohl als Fortschritt werten, sind die Rufe nach neuen Überwachungsgesetzen bislang weitgehend ausgeblieben.

Stattdessen fokussieren sich die meisten politischen Akteure auf das, was derzeit nicht oder zumindest nicht ausreichend funktioniert: nämlich die grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Polizeien und Nachrichtendiensten, der Austausch relevanter Informationen und schon gar nicht die gemeinsame Arbeit in der Analyse und Auswertung von Bedrohungslagen.

Der Bundesinnenminister beeilte sich, einen Schuldigen zu präsentieren für die offensichtlich mangelhafte Zusammenarbeit in Europa, die möglicherweise auch die Taten von Brüssel begünstigt hat. Und fand auch gleich einen, der sich nicht wirklich wehren kann: Datenschutz sei schön, aber in Krisenzeiten habe die Sicherheit Vorrang, ließ er die Öffentlichkeit wissen. Eine Nebelkerze des Ministers, denn die Probleme liegen tatsächlich viel tiefer.

Die Dateien, die de Maiziere verknüpft sehen will, sind schlicht technisch inkompatibel, es gibt kaum definierte Schnittstellen und natürlich sind diese Datenbanken, wie das Visasystem, das Schengener Informationssystem und das Fingerabdruck-Speichersystem Eurodac jeweils für einen bestimmten Zweck geschaffen worden – und der ist in aller Regel eben nicht primär die Terrorismusabwehr.
Was aber keineswegs heißt, dass nicht bei einem Anfangsverdacht auch mit diesen Systemen abgeglichen werden könnte – wenn es denn technisch möglich wäre. Doch das ist es oft einfach nicht, was sogar de Maizieres Ministerium Anfang der Woche, also vor den Anschlägen, noch selbst als Problemanalyse an die EU-Kommission gemeldet hat.

Mit der Aussage, dass der Datenschutz schön sei, Sicherheit aber nun Vorrang habe, greift der Bundesinnenminister dabei nicht nur in die Klischeekiste. Er greift auch kräftig daneben – um sich selbst damit von jeder möglichen Mitschuld freizusprechen. Denn das Hauptproblem bleibt, unabhängig von jedem Datenschutz: Jedes Land arbeitet auf eigene Rechnung – was der Bedrohungslage aber nicht gerecht wird. Und dadurch, dass auch diese Bundesregierung niemals auf die Idee käme, tatsächlich die Kompetenz zur Terrorismusabwehr in gemeinsame europäische Hände zu legen, kann es niemals dazu kommen, dass länderübergreifend einheitlich Klarheit über Bedrohungslagen und Gefährder existiert.

Doch in diesen Zeiten mehr Europa zu fordern, das übersteigt de Maizieres Mut offensichtlich bei weitem. Dabei wäre eine leichte Abwandlung seines Satzes die viel treffendere Analyse: Nationale Sicherheit ist schön, aber in europäischen Krisenzeiten hat Europa Vorrang.