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08.04.2016

Bildungs- und Teilhaberpaket – ein gescheitertes Prestigeprojekt

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Ein Kommentar

im Deutschlandfunk

Passgenaue Lösungen aus einer Hand, wirksam und unbürokratisch, so warb die frühere Arbeitsministerin Ursula von der Leyen einst vollmundig für das Bildungs- und Teilhabepaket. Heute, fünf Jahre später, fällt die Bilanz vernichtend aus. Das einstige Prestigeprojekt ist teuer, bürokratisch und unwirksam. Es hat nichts von dem gehalten, was sich die Fürsprecher davon versprachen.

Das größte Defizit: Das Geld, zuletzt immerhin rund 700 Millionen Euro, kommt nicht dort an, wo es helfen soll. Der Grund: Die meisten Leistungen müssen einzeln beantragt werden, in einem oft komplizierten Verfahren, durch das kaum einer durchsteigt. Das ist nicht nur teuer – ein Viertel der Ausgaben, knapp 200 Millionen Euro, gehen allein für die Verwaltung drauf – sondern hat auch den verheerenden Nebeneffekt, dass viele Leistungen gar nicht in Anspruch genommen werden. Beispiel Nachhilfe: Kinder aus armen Familien hätten sie besonders nötig, aber nur vier Prozent bekommen sie auch. Ein deprimierendes Ergebnis.

Das zweite Problem: Viele Leistungen reichen einfach nicht aus. Mit zehn Euro pro Monat kann man keinen Klavierlehrer bezahlen und auch keine neuen Fußballschuhe für den Fußballverein. Die Folge: Auch diese Hilfen werden kaum in Anspruch genommen.

Und das ist mehr als ein Schönheitsfehler. Immerhin geht es hier um ein Grundrecht, das Grundrecht auf Bildung und kulturelle Teilhabe. Formuliert vom Bundesverfassungsgericht in seinem spektakulären Hartz-4-Urteil 2010. Vereinfacht ausgedrückt mahnten die Richter an, dass der Staat nicht nur fürs materielle Überleben der Kinder sorgen muss, sondern auch ihr schulisches, kulturelles und gesellschaftliches Fortkommen fördern muss.

Die damalige Arbeitsministerin von der Leyen hätte schlicht den Regelsatz für Kinder entsprechend erhöhen können. Im Vertrauen darauf, dass die Eltern schon wissen, was gut für ihre Kinder sei. Dieses Vertrauen fehlte von der Leyen, deshalb erfand sie ein kompliziertes Gutscheinsystem, das obendrein noch von einer Behörde organisiert wird, die mit Kindern ansonsten wenig am Hut hat. Die Jobcenter, die üblicherweise auf die Betreuung von Langzeitarbeitslosen spezialisiert sind.

Die Defizite sind seit langem bekannt. Und sie sind so gravierend, das mit ein paar kosmetischen Korrekturen wenig geholfen ist. Sicher, Patentrezepte gibt es nicht. Aber klar sollte inzwischen sein: Bildung und kulturelle Teilhabe müssen dort stattfinden, wo Kinder sind. In den Schulen zum Beispiel. Dort muss Nachhilfe angeboten werden, schnell und unkompliziert. Und nicht erst dann, wenn es ohnehin zu spät ist. Das aber geht nur mit mehr Personal, mit besserer Ausstattung. Und am besten in Ganztagsschulen, in denen auch Musik- oder Sportangebote organisiert werden können.

Kinder aus armen Familien dürfen nicht schon in der Schule abgehängt werden. Die Folgen sind längst sichtbar, eine sich verfestigende Armut, eine Gesellschaft, die immer weiter auseinander driftet. Noch alarmierender ist nur, dass die Große Koalition vor alldem konsequent die Augen verschließt.