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Stephan Detjen im Deutschlandradio-Hauptstadtstudio / Foto: Ansgar Rossi
14.04.2016

Koalitionsausschuss – zur Handlungsfähigkeit verdammt

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Ein Kommentar

im Deutschlandfunk

Das achte Kapitel des Koalitionsvertrages regelt die Aufgaben des Koalitionsausschusses. Das Gremium soll, so heißt es wörtlich, „regelmäßig“ zusammentreten, um „Angelegenheiten von grundsätzlicher Bedeutung“ abzustimmen und „in Konfliktfällen Konsens“ herbeizuführen. Gemessen an dieser Verabredung, die am Anfang der Regierungsarbeit von CDU, CSU und SPD stand, hätte der Koalitionsausschuss seit dem letzten Sommer permanent tagen müssen. Tatsächlich aber lassen sich die Treffen des Gremiums schon seit Beginn der Legislaturperiode an einer Hand abzählen. Die Lebenswirklichkeit der Großen Koalition sah anders aus, als die rechtlich ohnehin nicht bindende Blaupause des Koalitionsvertrages.

Die schärfste Konfliktlinie verlief in den letzten Monaten auch nicht zwischen Union und SPD, sondern zwischen CDU und CSU. Der Streit um Angela Merkels Flüchtlingspolitik war weniger Koalitions- als Familienkrach. Angela Merkel hat ihn, zumindest bis auf weiteres, durch stures Festhalten an ihrem Kurs gelöst. Das förmliche Protestschreiben Horst Seehofers an die Kanzlerin blieb bis heute unbeantwortet. Die angedrohte Verfassungsklage schlummert in den Schubladen der Bayerischen Staatsregierung und wird Karlsruhe wohl nie erreichen. Der CSU-Vorsitzende kehrt heute wie ein ungezogener Spross nach seinen pubertären Eskapaden an Mutter Merkels Familientisch zurück.

Dort soll heute Abend das Finale der Großen Koalition eingeleitet werden. Sechs Sitzungswochen stehen noch bis zur Sommerpause auf dem Kalender des Bundestages. Danach wird die Politik zunehmend von der Einstimmung auf den Bundestagswahlkampf im nächsten Jahr überlagert. Die Regierung will in der verbleibenden Zeit beweisen, dass sie trotz Flüchtlings- und Migrationskrise nicht unfähig ist, die inhaltliche Agenda des Koalitionsvertrages gemeinsam abzuarbeiten.

Ein fertiger Gesetzentwurf zu Werk- und Leiharbeitsverträgen soll aus einer Selbstblockade im Zeichen des Flüchtlingsstreits gelöst werden. Die im Koalitionsvertrag versprochene Aufstockung der Rente für Geringverdiener aus Steuermitteln ist im Wesentlichen ebenfalls schon ausgehandelt. Änderungen der Erbschaftssteuer müssen eilig beschlossen werden, wenn sich die Regierung nicht dem Vorwurf aussetzen will, verfassungsrichterlich gesetzte Fristen nicht einhalten zu können. Der Druck, mit Blick auf die selbst gesteckten Ziele dieser Koalition Handlungsfähigkeit zu beweisen, kommt indes vor allem von den Wählern. Sie demonstrierten bei den letzten Landtagswahlen und in Umfragen der vergangenen Tage, dass sie sich in für Union wie SPD erschütternder Zahl von den Parteien abwenden, deren Spitzen heute Abend im Kanzleramt zusammensitzen.

Schon nächste Woche sollen sich auch die erweiterten Spitzen der Bundestagsfraktionen von Union und SPD zu einer zweitägigen Klausur im rheinland-pfälzischen Rust treffen. Das belegt den Willen der Koalition, auch die von wachsenden Sorgen um die eigene Zukunft nach der nächsten Wahl angefochtenen Abgeordneten noch einmal zu parlamentarischer Geschlossenheit zu zwingen. Gehen die Regierungspartner aber heute Abend ohne Einigung in den offenen Sachfragen auseinander, besiegeln sie damit, dass das Finale der Großen Koalition zugleich ihr Scheitern bedeutet.

tb