Berlin, Bundesregierung, Kommentare, Medien, Rechtspolitik
Stephan Detjen im Deutschlandradio-Hauptstadtstudio / Foto: Ansgar Rossi
15.04.2016

Billige Gelegenheit: SPD nutzt Erdogan, um Merkels Nimbus anzukratzen

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Ein Kommentar

im Deutschlandfunk

Die Entscheidung der Bundesregierung hätte nicht anders ausfallen dürfen, denn die Rechtslage ist eindeutig. Zwar kann man über die Frage, ob Jan Böhmermann sich wegen Beleidigung strafbar gemacht hat, trefflich streiten. Aber der Tatsache, dass Beleidigung in Deutschland strafbar ist, kann sich keine Regierung entziehen. Das gilt für den allgemeinen Beleidigungsstraftatbestand nach § 185 StGB ebenso wie für seine besonderen – und wenn man so will absonderlichen – Ausprägungen, zu denen die Beleidigung ausländischer Staatsoberhäupter nach § 103 StGB gehört. Eine Regierung darf nicht nach der politischen Opportunität des Augenblicks entschieden, ob ihr eine Norm gerade in den Kram passt oder nicht.

 

Wer die Bindung von Recht und Gesetz sowie den Grundsatz der Gewaltenteilung anerkennt, muss die Auslegung und Anwendung dieser Normen der Justiz überlassen. Deshalb war die Entscheidung, die Angela Merkel heute verkündet, richtig unausweichlich. Das wird sich dann erweisen, wenn – wie man wohl erwarten darf – die deutschen Gerichte am Ende nicht so entscheiden, wie sich das Recep Tayyib Erdogan heute möglicherweise erhofft. Merkel kann dem türkischen Staatspräsidenten dann umso glaubwürdiger erklären, dass die Strafverfolgung von Journalisten, Künstlern und Satirikern in Deutschland Sache der Justiz und kein Politikum ist.

 

Genau dazu aber hat die SPD die Angelegenheit gemacht. Sie nutzt die Intervention des türkischen Staatspräsidenten, um eine rechtlich eindeutige Entscheidung politisch streitig zu stellen. Jetzt, wo es drauf ankommt, fällt den sozialdemokratischen Kabinettsmitgliedern auf einmal ein, dass man § 103 StGB schon immer irgendwie überflüssig gefunden habe. Einem Bundesjustizminister hätte das schon früher auffallen können. Heiko Mass hätte alle Freiheit gehabt, die Änderung des Gesetzes längst in die Wege zu leiten. Er hätte seiner Regierung einige Kalamitäten erspart.

 

Genau darum aber geht es der SPD ganz offenkundig. Die causa Erdogan gegen Böhmermann ist für die Sozialdemokraten eine billige Gelegenheit, den außenpolitischen Nimbus der Kanzlerin anzukratzen. In den großen Fragen der Flüchtlingspolitik konnte die SPD der Politik Merkels keine Alternativen entgegenstellen. Der Streit um eine vergleichsweise nebensächliche aber umso heiklere Detailfrage soll nun belegen, dass Merkels Außenpolitik möglicherweise doch nicht so unanfechtbar ist, wie es oft schien. Nachdem sich die CSU in der Flüchtlingspolitik über Monate die schizophrene Freiheit genommen hat, in der Großen Koalition zugleich Mitglied in Merkels Regierungsmannschaft und ihr schärfster Kritiker zu sein, hat jetzt auch die SPD ein Thema gefunden, mit dem sie Distanz zur Kanzlerin markieren kann. Noch gestern hatte sich Große Koalition nach ihrem Harmoniegipfel zur Flüchtlingspolitik und inneren Sicherheit alle Mühe gegeben, gemeinsame Tatkraft zu demonstrierte. Heute fügt die SPD dem eine Fußnote hinzu, in der sie daran erinnert, dass sich auch dieses Regierungsbündnis auf die Wahlkampf des nächsten Jahres einstellt.

(ar)

Kommentare zu diesem Beitrag (5)

  1. Bolko Kölle | 15. April 2016, 20:47 Uhr

    Billiger unqualifizierter Kommentar

    Billiger Kommentar eines rechtlich unheimlich Bewandererten der über die Eindeutigkeit, der angeblich nicht politischen sondern nur juristischen Sachfrage mit profunder juristischer Sachkenntnis schwadroniert und seiner unverhollenen Bewunderung für die „Größte Kanzlerin aller Zeiten“ Ausdruck verleiht.

    Auf solche Kommentare eines öffentklich-rechtlich finanzierten Senders kann ich verzichten.

    • Karl Hunhold | 16. April 2016, 6:39 Uhr

      Billige Gelegenheit: SPD nutzt Erdogan, Kommentar St.Detjen 15.4.2016

      Kann mich den Bemerkungen des Zuhörers Bolko Kölle zu dem ziemlich einseitigen Kommentar Ihres Herrn Detjen nur anschließen. Es ist mal wieder ein solcher, der mich an die Kommentar-Zeiten des DLF der 80er/90er erinnert: Stramm regierungsfreundlich und ziemlich an der Grenze des Erträglichen.
      Bin mir bewusst, dass ein DLF eine gewisse Blickrichtung einschlagen muss – jedoch: w i r zahlen immerhin die Gebühren und nicht die Regierung. Da kann Ausgewogenheit nicht schaden.

  2. Karla Retneg | 16. April 2016, 7:43 Uhr

    Deutschlandfunk

    Schließe mich meinem Vorkommentatoren an. Warte seit Monaten auf EIN kritisches Wort gegen Merkel beim Deutschlandfunk.Muss wohl,als eines gesendet worden ist,gerade im Keller gewesen sein. Wenn die SPD nichts gegen Merkel sagt, ist sie opportunistisch. Wenn sie eine andere Meinung vertritt,ist sie populistisch. Der vorauseilende Gehorsam gegenüber Merkel vieler Medien trägt eine Mitschuld am Niedergang der SPD.