Berlin
Nadine Lindner / Foto: Ansgar Rossi Deutschlandradio
04.07.2016

Kommentar: Schäuble, Bud Spencer und verbale Kinnhaken

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Ein Kommentar

im Deutschlandfunk

In Kinofilmen, gerade in den älteren, gibt es oft diese wunderbaren Geräusche, die – etwas übertrieben – eine Handlung untermalen. Das Klackern der Absätze, zum Beispiel, wenn jemand läuft.

Das Geräusch, an das das Interview von Wolfgang Schäuble heute in der „Welt am Sonntag“ erinnert, ist ein dickes Pautz oder ein Buff. So wie man es vertonen würde, wenn jemand ordentlich Kinnhaken verteilt. Bud Spencer ist in dieser Woche verstorben, seine Filme hätten wohl genau die richtige Soundkulisse geboten.

Ausholen, durchziehen und dann die Faust mit Schmackes auf einem Körperteil des Gegners platzieren.

Schäuble verteilt diese Kinnhaken, indem er Außenminister Frank-Walter Steinmeier vorwirft, eine Äußerung zur NATO sei – Zitat – „nicht nur ein rhetorischer Fehlgriff“ gewesen. Oder wenn er Gabriels Wunsch nach mehr schuldenbasiertem Wachstum in der EU als „falsche Idee“ bezeichnet, die nicht neu belebt werden solle.

Schäubles Gegner beziehungsweise Prügelknaben – um in dem Bud-Spencer-Vergleich zu bleiben – sind also der Koalitionspartner SPD, namentlich Parteichef Sigmar Gabriel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier.

Klassischerweise würde man sich wünschen, dass die Worte Gegner und Koalitionspartner nicht synonym verwendet werden. Aber es ist wohl wieder soweit.

Fairerweise muss man an dieser Stelle sagen, dass auch die Sozialdemokraten auf ihrer Programmkonferenz gestern in Berlin die deutschen und britischen Konservativen nicht gerade mit Samthandschuhen angefasst haben. Gabriel warf ihnen vor, für den Brexit und soziale Spaltung Europas mitverantwortlich zu ein.

Jetzt muss man folgende Frage stellen: ist das im Moment eigentlich noch die wünschenswerte Unterscheidbarkeit von Parteien, die halt auch mal mit deutlichen Worten für ihre Ideen werben? Oder ist das schon der nächste Koalitions-krach, der sich abzeichnet?

Das Vokabular lässt nichts Gutes vermuten. Mit den Worten „Fehlgriff“ und „falsche Idee“ war Schäuble in den Ring gestiegen. Die SPD keilte heute Nachmittag – vertreten durch die parlamentarische Geschäftsführerin Christine Lambrecht – mit den Worten „töricht“ und „befremdlich“ zurück.

Wenn man die Augen schließt, muss man wieder an Bud Spencers Fäuste, an das laute Pautz und Buff denken.

Bitte nicht schon wieder, möchte man da rufen! Gerade erst hat sich die Große Koalition dazu durchgerungen, wieder dringend nötige Sacharbeit zu betreiben. Die Tagesordnung für die letzte Sitzungswoche des Bundestags vor der Sommerpause sieht aus wie eine große To-Do-Liste, die abgearbeitet wird. Mit der Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes zum Beispiel, mit der Verschärfung des Sexualstrafrechts oder dem Integrationsgesetz.

Der Bundestagswahlkampf – und die damit verbundenen verbalen Raufereien haben noch ein bisschen Zeit. Inhaltliche Unterscheidbarkeit ist gut, aber der Ton sollte stimmen. Die Wahl ist erst in über einem Jahr.

Bis dahin wäre es doch schön, wieder zum Thema zurückzukommen und vorher noch schnell Europa zu retten. Mit vereinten Kräften. Da gibt es nämlich grad genug zu tun.

Oder, um es mit dem Außenminister zu sagen: Die Lage sollte jetzt besser nicht mit Säbelrasseln angeheizt werden. Verbale Kinnhaken zählen auch dazu.

Ja, im kommenden Jahr

Und die SPD ist gerade in einem dringend notwendigen Prozess der programmatischen Selbstfindung. Bei Umfragewerten von mittlerweile wieder knapp über 20 Prozent tut die Volkspartei gut daran, mal wieder zu formulieren, wie sie sich soziale Gerechtigkeit in der globalisierten Welt des 21. Jahrhunderts so vorstellt.

Der Wunsch nach Unterscheidbarkeit und Abgrenzung ist nach drei Jahren in der großen Koalition für beide Partner verständlich.

Können wir kurz noch mal zum Thema zurückkommen? Könnten wir kurz noch mal Europa retten, bevor

Noch ist es nur ein Gerangel

Inhaltlicher Wettbewerb, programmatische Unterscheidbarkeit ist gut. Konkurrenz belebt auch in diesem Fall das Geschäft.

Aber die verbalen Kinnhaken

(tb)