Berlin, Kommentare, Rechtspolitik
Gudula Geuther / Foto: Bettina Straub
07.07.2016

Kommentar: Sexualstrafrecht

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Ein Kommentar

im Deutschlandfunk

Diese Debatte hat dem Strafrecht nicht gut getan. Und das auch durch die Art, wie sie geführt wurde: Polarisiert, übertrieben, mit einem unangemessenen Freund-Feind-Denken. Das hat einen Grund. Es ist eine alte Erfahrung der Frauenbewegung im Strafrecht: Die Beharrungskräfte sind erheblich.

Das zeigte sich vor Jahren beim schwierigen Kampf um die Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe. Das zeigte sich auch jetzt, als Justizminister Heiko Maas bei sexueller Nötigung und Vergewaltigung strengere Maßstäbe einführen wollte und das Kanzleramt lange blockierte. Dagegen helfen die Mittel der Kampagne – nur: auch die sollten ihre Grenzen haben. Da wurden geschätzte Dunkelziffern zu scheinbaren Gewissheiten, da wurden einzelne skandalöse Urteile hervorgezogen und der – oft falsche – Eindruck erweckt, das sei es, was Opfer vor deutschen Gerichten zu erwarten hätten. Das Ergebnis: Im öffentlichen Bewusstsein hat sich festgesetzt: Die Frau, die sich bisher nicht aktiv gewehrt hat, hatte keine Chance, dass ihr Peiniger bestraft wird. Was so nicht stimmt. Es dürften solche Behauptungen sein, die bei Opfern sexueller Übergriffe erst Recht das Gefühl der Machtlosigkeit und des Ausgeliefertseins bewirken. Als Argument für die Reform wurde außerdem immer wieder auf die bisher geringe Verurteilungsquote verwiesen. Das stimmt nach allem was man weiß. Aber: Im Zusammenhang mit der Reform weckt dieser Hinweis falsche Erwartungen. Denn bei Sexualdelikten steht nun einmal typischerweise Aussage gegen Aussage. Das wird auch so bleiben. Bisher ging es dem Strafrecht darum, bestimmte Situationen zu beschreiben, die die besondere Gefährdung oder Schutzbedürftigkeit des Opfers zur Folge hatten – Drohung, Gewalt, Schutzlosigkeit. Es wird einem Opfer auch in Zukunft helfen, dem Richter seine Version des Tathergangs plausibel zu machen, wenn es solche Argumente vorweisen kann. Das Recht allerdings wird jetzt eher vager, die Situation für den Richter schwerer zu greifen.

Der andere Grund, warum die Debatte nicht gut tat, war die Silvesternacht. Mit dem Anliegen der Reformer hatte die an sich nicht zu tun, was dort geschah, ist auch nach altem Recht strafbar – wenn man denn die Täter kennt. Trotzdem gaben die Übergriffe von Köln der Reform Rückenwind – und vergifteten gleichzeitig die Diskussion. Im Gesetz schlägt sich das in handfesten Folgen nieder. Neben einem verschärften Ausweisungsrecht wird vor allem eine Strafbarkeit für die Teilnahme an einer Gruppe geschaffen, die in der Form verfassungsrechtlich hoch problematisch ist. Sie entfernt sich weit vom Nachweis individueller Schuld an der konkreten Tat. Das Problem von Köln war vor allem die Hilflosigkeit der Polizei. Die lässt sich nicht mit Blankettregeln des Strafrechts übertünchen. Der Gerechtigkeit halber sei zugestanden: Es gibt auch gute Seiten der Reform. Es ist richtig, dass auch der bestraft wird, der die Sekretärin „nur“ mit der Drohung des Arbeitsplatzverlustes gefügig macht. Es ist richtig, dass die Rolle behinderter Menschen gestärkt wird. Aber für solche Fragen hätte es nicht dieses Aufschlages bedurft. Die Befürworter der Reform wollten klarmachen, dass die sexuelle Selbstbestimmung zählt – „Nein heißt Nein“ eben. Das wäre noch in den achtziger Jahren eine Errungenschaft gewesen. Heute hat sich das herumgesprochen – ohne dass dafür am Strafrecht herumgedoktert werden müsste.

(tb)