Berlin, Kommentare, Rechtspolitik
13.07.2016

Kommentar: Stalking

Von

Ein Kommentar

im Deutschlandfunk

Stalking ist kein Luxusproblem von Prominenten. Opfer ist die Frau, deren Ex-Freund die Trennung nicht akzeptiert, der Richter, der dem Täter das Sorgerecht nicht zugesprochen hat, die Arbeitskollegin, von der sich der Stalker zurückgewiesen fühlt, die kaum Bekannte von nebenan, die unversehens zur Projektionsfläche für Träume wurde.

Laut Polizeistatistik fühlten sich im vergangenen Jahr mehr als 17.000 Menschen in Deutschland betroffen, tatsächlich dürften es viel mehr sein, die Schamgrenze liegt hoch. Vielfach sind Drohungen, Gewalt, öffentliche Bloßstellung mit im Spiel, aber auch wer „nur“ Telefonterror ausgeliefert ist, leidet oft nach Wochen unter ständiger Angst, zuweilen lassen Stalker jahrelang nicht ab. Trotzdem war der Straftatbestand bei seiner Einführung 2007 umstritten. Wann wird bloße Beharrlichkeit zur Straftat? Einige fürchteten, Gerichte könnten in ihren Urteilen zu weit gehen. Das ist nicht eingetreten. Die Verurteilungsquote liegt bei etwa einem Prozent, Kritiker sprechen von totem Recht. Das Gesetz verlangt, dass das Leben des Opfers „schwerwiegend beeinträchtigt“ wird. Im Bemühen, den weiten Tatbestand einzugrenzen, machte die Rechtsprechung daraus: Das Opfer muss sein Leben verändert haben, muss zum Beispiel kaum noch das Haus verlassen haben, umgezogen sein, den Arbeitsplatz gewechselt haben. Das ist tatsächlich höchst unbefriedigend. Denn es bedeutet: Soll der Täter bestraft werden, darf das Opfer nicht standhaft geblieben sein. Gerade so ein standhaftes Opfer war es, das mit einer Petition mit den Anstoß gegeben hat für die Gesetzesverschärfung, die heute das Bundeskabinett beschlossen hat. In Zukunft soll es also nicht mehr auf die Reaktion des Opfers ankommen. Es genügt, wenn die Nachstellungen so weit gehen, dass sie an sich zu einer Lebensveränderung führen könnten oder müssten. „Objektiv geeignet“ heißt das im Entwurf. Das ist gut gemeint, gut ist es nicht. Denn die Weite und Unbestimmtheit des Tatbestands bleibt bestehen. Und wird ausgeweitet. Jetzt fürchten die einen, schon der beharrlich nachfragende Journalist könnte bestraft werden. Die anderen befürchten, die vage Formulierung könne den Tätern nutzen. Beide haben Recht mit ihrer Kritik. Es wäre Sache von Justizminister Maas gewesen, Kriterien aufzustellen.

 Dass das Recht verändert wird, ist aber richtig. Richtig ist, dass der Staatsanwalt im Einzelfall das Opfer nicht mehr darauf verweisen kann, gegen den Täter mit der Privatklage vorzugehen. Richtig ist, dass das Gewaltschutzgesetz gestärkt wird. Noch wichtiger allerdings wäre anderes: Entschlossenes Handeln bei Polizei und Staatsanwälten, die das Delikt derzeit oft nicht ernst genug nehmen. Bremen macht es vor: Dort kommt nach der Anzeige die Polizei ins Haus – und zwar beim in dem Moment bloß: Verdächtigen. Das braucht Fingerspitzengefühl, aber es wirkt. In Bremen werden außerdem sofort professionelle Beratungsstellen eingeschaltet – und die laden auch den Täter zum separaten Gespräch. Beratungsstellen aber sind anderswo Mangelware. Hier Strukturen zu schaffen, hieße, Geld in die Hand zu nehmen. Im Zweifel träfe es die Länder. Das wäre teurer, aber sicherlich wirkungsvoller als weiteres und vageres Strafrecht.

(tb)

 

Tags: |