Berlin, Bundesregierung, Digitalpolitik, Innenpolitik, Verkehrspolitik, Wirtschaftspolitik
Dreikönigstreffen auf dem Balkon des DRadio-Hauptstadtstudios am 6. Januar 2016. Foto: Falk Steiner
06.09.2016

Zwei Jahre Digitale Agenda: Widerspruch ist zwecklos

Von

Die drei Digitalminister der Bundesregierung sind überzeugt: die Digitale Agenda sei eine tolle Sache und auf einem guten Weg. Aber das ist höchstens die halbe Wahrheit.

Der Saal ist recht gut gefüllt, als der Minister für Verkehr und Digitale Infrastruktur Alexander Dobrindt, CSU, der Innenminister Thomas de Maizière, CDU, und Sigmar Gabriel, SPD-Vorsitzender, Vizekanzler und Wirtschaftsminister, auf der Bühne Platz nehmen um bei einer Veranstaltung des Internetwirtschaftsverbandes Eco ihre Zwischenbilanz nach zwei Jahren „Digitale Agenda“ zu ziehen. Digitale Agenda, das ist das, was sie selbst zwei Jahre zuvor „Hausaufgabenheft der Bundesregierung“ genannt hatten. Und „Digitale Agenda“, das ist, was sie nun für erfolgreich erklären, auch erklären müssen. Endlich ein strukturierter Ansatz, sagen sie. So könne man die Probleme bewältigen und die Digitalisierungsherausforderungen quer durch die Ressorts.
Thomas und Sigmar, die beiden, die hauptsächlich reden und einander offenbar duzen, haben sich heute zu gemeinsamen Perspektiven entschlossen. Läuft doch ganz gut, wollen sie vermitteln.

Alexander Dobrindt, der direkt vor der Veranstaltung erst für eine knappe Milliarde Euro Förderbescheide an Kommunen zur Breitbandausbauförderung vergeben konnte, wirkt etwas außen vor. Er widmet sich vor allem seinem Kernthema: der Breitbandausbau dürfe nicht bei „50 Megabit für alle 2018“ enden, so wie es im Koalitionsvertrag und Digitaler Agenda fixiert ist. Ein Gigabit 2025 sei schon zu langsam, sagt er. Allerdings stehen Mitte 2016 erst 70 Prozent der Anschlüsse überhaupt 50 Megabit zur Verfügung – ob das Ziel also überhaupt erreicht wird, ist noch offen.

Auch Sigmar Gabriel will sich nicht schelten lassen für das, was er erreicht hat, oder auch nicht. Macht auch die meiste Zeit keiner. Der Wirtschaftsminister redet stolz davon, dass man international die „Plattform Industrie 4.0“ beäuge, dass das Industrieland Deutschland nicht neidisch auf die Googles und so schielen sollte, sondern eigene Stärken nutzen. Bloß: schaut man auf die „Plattform Industrie 4.0“-Website und dort auf die Seite „Ergebnisse“, dann steht dort:

Nach dem Start der Dialogplattform auf der Hannover Messe 2015 und der Präsentation des Memorandums im Sommer, kann bereits auf dem IT-Gipfel der Bundesregierung im Herbst 2015 über erste konkrete Arbeitsergebnisse berichtet werden.

Und das im September 2016. Ja, da sind sicher alle ganz neidisch.

Und dann will Gabriel inhaltlich werden. Die Datenschutzgrundverordnung, so Gabriel, gerade erst beschlossen nach sieben Jahren Verhandlungen, sie würde das Problem bringen, dass sie 28 Interpretationen unterliegen könnte. In den USA hingegen sei das einheitlich geregelt. Bloß: das ist grober Unfug. Die Datenschutzgrundverordnung ist, weil neues Gesetz, sicherlich interpretationsfähig. Aber: in den USA gibt es kein allgemeines Datenschutzrecht, das auf Bundesebene geregelt ist und über dem Recht der 50 Einzelstaaten mit teils eigenen Gesetzen steht, teils gibt es branchenspezifische Datenschutzregeln. Einfach jedenfalls ist daran nichts, und einfacher als in Europa schon gar nicht.

Aber eigentlich ging es Gabriel um etwas anderes: das Prinzip der Datensparsamkeit, also, dass nur gespeichert werden soll, was auch gebraucht wird, das sollte geändert werden. Dieses deutsche Verständnis sei überkommen, sagt der Wirtschaftsminister. Er wolle das Prinzip der „Datensouveränität“ einführen. Und wird dann nicht mehr ganz konkret. Was er nicht sagt: das müsste im Datenschutzrecht geändert werden, in genau der Datenschutzgrundverordnung, die zuletzt sieben Jahre verhandelt wurde. Und deren Vorgängerregelung seit 1996 in Kraft ist. Klar, da kann man als Sigmar Gabriel mit blendendem Fachwissen zum Thema Datenschutz einfach mal eine Neuverhandlung ansetzen.

Der für den Datenschutz zuständige Innenminister Thomas de Maizière sagt, er sei da gleicher Meinung. Nachdem er zwanzig Minuten vorher die Datenschutzgrundverordnung als Erfolg verbuchte. Und flachst, die Bäckchen zu seinem markanten – ja, was ist es eigentlich? Ein Lächeln? Ein Grinsen? – Fröhlichkeit signalisierenden Gesichtsausdruck nach hinten gezogen mit seinem Sitznachbarn Sigmar: da sei man ja mal einer Meinung, er werde ihn daran erinnern.

Und nun will Thomas de Maizière auch mal. Er, der Internetminister, erklärt der Internetwirtschaft, bei der er zu Gast ist: Cloud, das klinge nach klauen. Und Big Data klinge auch nicht gut. Die Internetwirtschaft müsse etwas an ihrer Kommunikation tun. Ungläubiges Staunen im Publikum. Minister spotlightartige 70%, Minister, der 30 Prozent „falschen Syrer“, der „Teile meiner Antwort könnten Sie verunsichern“-Minister gibt Kommunikationsratschläge an die Internetwirtschaft? Das nennt man wohl Chuzpe.

Alles war auf eine friedliche Veranstaltung angelegt. Drei Minister dürfen sagen, dass sie ihre Rolle ganz super ausgefüllt haben. Und Sigmar Gabriel, Thomas de Maizière und Alexander Dobrindt, sie können daher auch sagen, dass es gar keinen Digitalminister oder -koordinator bräuchte. Es gibt ja schon sie.

Bloß: dieser Auftritt, er ist genau der Beweis, dass es keine gute Idee ist, keine wirkliche Schnittstelle mit spezifisch ausgeprägter Kompetenz zu haben. Die Digitale Agenda ist längst in Teilen von der Realität überholt, ob Cyber-Teilstreitkräfte bei der Bundeswehr, (Teil-)Automatisiertes Fahren oder auch die Diskussion um Hate Speech und die Grenzen der Meinungsäußerungsfreiheit auf öffentlich zugänglichen, aber nicht öffentlichen Plattformen im Netz. Alles nicht wirklich Teil der Digitalen Agenda, alles große Materialisierungen der Digitalisierungsherausforderungen. Und Fragen von Governance digitaler Infrastrukturen, von Standardisierung und Normierung, ach, mit solchen Kleinigkeiten beschäftigen sich die drei dort vorne gar nicht erst en Detail.

Die drei Minister sind überzeugt von sich oder wollen zumindest so wirken. Fragen aus dem Publikum sind nicht zugelassen und als der Gastgeber des Internetwirtschaftsverbands Eco, der Vorstand Oliver Süme, einmal zu leiser Kritik ansetzt, fällt ihm Sigmar Gabriel aggressiv ins Wort: er habe keine Ahnung, wie es in einer Regierung zuginge. Ende der Diskussion. Die Minister haben gesprochen: die Digitale Agenda ist gut und die Kritiker haben keine Ahnung. Und Widerspruch ist zwecklos – obwohl wohl nur einer der Minister solche Anspielungen verstehen dürfte.

Natürlich ist die Digitale Agenda kein kompletter Misserfolg. Das konnte sie auch nicht werden, weil die Ambitionen eh schon überschaubar waren. Aber vieles kann gar nicht mehr in dieser Legislaturperiode konkret werden, vielleicht einiges dadurch nach der nächsten Wahl einfach abgebrochen oder in Schubladen verschwinden. Der Großteil dessen, was beim Hausaufgabenheft nun als fertiggestellt gilt, ist kein konkretes Gesetz. Sondern das Erarbeiten von Weiß- und Grünbüchern, das Einrichten von Plattformen, Foren und Dialogprozessen. Selbst beim Breitbandausbau, der immerhin konkret stattfindet und mit Geld und Maßnahmen unterfüttert ist, wird vieles nicht mehr in dieser Legislaturperiode fertiggestellt werden. Denn auch mit einem Förderbescheid müssen die Bagger erst ans Werk gehen.

Aber wenn die noch buddeln noch einmal eine Legislaturperiode mit dieser Form der Digitalpolitikkoordination zu verbringen, das erscheint wenig ratsam. Ganz egal, wie gut sich die drei Minister fanden.