Berlin, Bundespräsident, Wahlen und Wahlkampf
Nachfolger dringend gesucht: Bundespräsident Joachim Gauck / Foto: Kay Nietfeld/dpa
25.10.2016

Bundespräsidenten: Benennen statt verbrennen

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Irgendwie soll es ja etwas Besonderes sein, das Amt des Bundespräsidenten. Der erste Mann oder die erste Frau im Staate, das repräsentativste Amt, das diese Republik zu bieten hat: das des Staatsoberhauptes. Ein Plädoyer für eine Kandidatensuchpraxis, die nach Kandidaten sucht. 

Das Präsidiale, das Oberhäuptige, das Repräsentative, das sind die konstitutiven Elemente der Funktionsbeschreibung: Wer ins Schloss Bellevue einziehen will, der wird und muss sich jenseits der Tagespolitik bewegen. Als Macht verbleibt in erster Linie das gesprochene und gefaxte Wort, und die Botschaft soll Kraft des Amtes besonders viel gelten. Wer also gesucht wird? Ein Mensch, der Zurückhaltung, Klugheit, vielleicht sogar einen Schuss politisches Gewissen verkörpern darf. Der aber auf jeden Fall dieses Land repräsentieren soll, nach Innen, nach Außen, und am besten auch irgendwie noch von bester Seite.

Fällt Ihnen jetzt auch kein brillanter Kandidat dafür ein, wer ein Land repräsentieren sollte, in dem die Realitäten genau so sehr Berlin-Mitte, Bielefeld oder Blankenese, Güstrow, Gütersloh, Casekow wie Duisburg-Marxloh sind? Wo Schönau, Schorndorf, Schlagenthin, Neukölln, Annaberg-Buchholz, Emmelsbüll-Horsbüll und Übach-Palenberg alle ein Deutschland sind? Eines mit vielen Deutschländern, wie sie in der Bundesversammlung irgendwie repräsentiert sein sollen?

Ach, was wäre es doch einfach, einen verdienten Politrecken ins Schloss hinter dem Spreeuferweg zu schicken, einen, der vielleicht – mit Johannes Rau gesprochen – versöhnt statt zu spalten. Bloß sind solche gerade rar gesät, es mangelt an offensichtlichen Kandidaten, die es irgendwie doch noch lockt aus dem Aktivmodus in ein politisches Passivhaus zu ziehen.

Und so passiert, was schon zu früheren Zeiten passierte. Vordergründig tun im politischen Berlin alle so, als sei es etwas so Besonderes, dass es sowohl besonderer Einig-, Fähig- und Aufmerksamkeit als auch besonderer habitueller und intellektueller Voraussetzungen bedürfe. Doch im Hintergrund wird gekungelt, geschachert, gefeilscht und gezockt. Da werden Muskelspiele mit Blick auf Bundestagswahlen, innerparteifamiliäre Habenwollenswünsche, Personalentsorgungs- und -versorgungspläne, mit tit-for-tat oder do ut des taktierender Großsstrategen ausgelebt. Wo es eigentlich nur um die eine Frage gehen sollte: Wer soll, kann und möchte dieses Deutschland für fünf Jahre repräsentieren? Spätestens seit Joachim Gauck im Juni eine erneute Kandidatur ausschloss wird gesucht. Und dieses Trauerspiel ermüdet zusehends.

Denn viele Namen wurden diskutiert – und haben von sich aus abgesagt. Die ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann, der Vorsitzende des Bundesverfassungsgerichts Andreas Voßkuhle und irgendwie auch Bundestagspräsident Norbert Lammert haben Verzicht und Desinteresse bekundet. Oder wurden gar offen abgelehnt wie nun der derzeitige Außenminister Frank-Walter Steinmeier, SPD. Frei nach der Devise: Kaum genannt, schon verbrannt. Durch die Reihe der öffentlichen und halb-öffentlichen Absagen möglicher Kandidaten wirkt das Amt des Bundespräsidenten, als sei es eine Option im Leben, schlimmer noch: Als sei es eine verzichtbare Bürde, nicht so, als sei es eine Ehre.

Die könnte es vielleicht sein, gäbe es einen anderen Umgang mit ihm. Doch dabei gilt stets: Das hochformalisierte Amt formt sich den Menschen schon zurecht, den man hineinsteckt. Ob Kermani, Hasselfeldt, Huber, Biermann oder von mir aus auch Seehofer: am Ende ist es vergleichsweise Wurst, um es mit einem schönen deutschen und in allen deutschen Landen verständlichen Wort zu sagen.  Und wenn die Besetzung nicht taugt, wird auch das bald vergessen sein, wenn er oder sie nicht gerade zurücktritt. Und selbst das verkraftet diese Bundesrepublik ganz gut, wenn es denn so kommt.

Das einzig wahrlich politisch Besondere am Amt des Bundespräsidenten ist jedoch derzeit, dass, obwohl formal das höchste Amt im Staate, es so unbedeutend scheint, dass die Akteure mit ihm umgehen, als wäre es ein Aufsichtsratsposten beim kommunalen Abwasserbetrieb Wanne-Eickel. Die Beschädigungen jedenfalls sind deutlich größer, die die derzeitigen Debatten im politischen Berlin auslösen, als es jene sein können, die ein mittelmäßiger Bundespräsident verursacht, der sich im wohl schlimmsten Fall wohl folgenlos zum Gespött macht.