Brüssel, EU-Kommission
Jean-Claude Juncker bei seiner Rede vor Gewerkschaftern © European Union 2016
Jean-Claude Juncker bei seiner Rede vor Gewerkschaftern © European Union 2016
08.11.2016

Gilt das gesprochene Wort?

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EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker spricht in einer Rede über den italienischen Haushalt und die Einhaltung der Stabilitätsregeln. Am nächsten Tag veröffentlicht die Kommission ein Transkript von Junckers Rede. Und plötzlich fehlt ein entscheidender Satz.

Montagabend, 07. November 2016. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker spricht vor dem Europäischen Gewerkschaftsbund. Es geht unter anderem um Investitionen, Arbeitnehmerrechte und Haushaltsdisziplin der Mitgliedsstaaten. Für Letztere hat die EU klare Regeln: Mitgliedsstaaten dürfen nur begrenzt Schulden machen und müssen auf ihr Defizit achten. Juncker erklärt:

 „Ich glaube insbesondere in Bezug auf Italien ist es weise, wenn wir die Kosten des Erdbebens und die Kosten für die Flüchtlinge berücksichtigen. So, wie das auch in Griechenland mit den Flüchtlingen der Fall ist, auch wenn es dort kein Erdbeben gegeben hat. Aber die zusätzlichen Kosten für die Migrationspolitik und durch das Erdbeben in Italien machen 0,1% des BIP aus. Italien hatte versprochen, ein Defizit von 1,7% im Jahr 2017 zu erreichen und bietet uns ein Defizit von 2,4% an, aufgrund des Erdbebens und der Flüchtlinge.“

 

 

Dahinter steckt ein Streit, der schon seit Monaten zwischen der EU-Kommission und der italienischen Regierung tobt. Wie weit kommt die Kommission Italien entgegen, ohne dabei die Einhaltung der Haushaltsregeln zu sehr aufzuweichen? Und wie sehr werden dabei Sondereffekte wie die Flüchtlingssituation und das jüngste Erdbeben einbezogen?Juncker macht klar: Der Einfluss ist keinesfalls so stark, wie Italiens Premier Matteo Renzi ihn darstellt. Der hatte für den Haushaltsentwurf 2017 etwa 0,4% des BIP eingeplant.

Möglicherweise hat Juncker sich mit seiner Einschätzung aber etwas zu weit aus dem Fenster gelehnt. In einem Transkript seiner Rede, das von der EU-Kommission selbst veröffentlicht wurde, fehlt auf einmal Junckers Aussage, Migration und Erdbeben würden sich nur mit 0,1% des BIP auf den Haushalt auswirken. Stattdessen heißt es dort:

„Aber die zusätzlichen Kosten für die Migrationspolitik und durch das Erdbeben in Italien, darüber diskutieren wir gerade mit den Italienischen Behörden.“

Einen Hinweis darauf, dass das Transkript hier von Junckers Rede abweicht, fehlt ganz. Das wirft die Frage auf, inwiefern wir Journalisten solchen Veröffentlichungen trauen können. Hätte die Kommission etwa eine Abschrift von Günther Oettingers Rede vor Hamburger Unternehmern wortgetreu veröffentlicht?

Solche Fragen stellten auch einige Brüsseler Korrespondenten nicht nur sich, sondern Kommissionssprecherin Mina Andreeva:

 

 

Andreeva verweist auf das Transkript. Darin seien Angaben richtiggestellt worden (Andreeva bezieht sich damit u.a. auf die Angabe Junckers, dass bisher 70 große Infrastrukturprojekte im Rahmen des sog. Juncker-Planes genehmigt wurden – Im Transkript ist von 134 Projekten die Rede). Endgültige Zahlen zu Italien gäbe es noch nicht, diese würden später veröffentlicht, so Andreeva. Die Journalisten könnten den Veröffentlichungen der Kommission vertrauen. Die Kommissionssprecher würden niemals den Inhalt dessen, was Jean-Claude Juncker geäußert habe, verändern. Es habe sich um eine improvisierte Rede gehalten und man habe sicherstellen wollen, dass Journalisten diese sicher zitieren könnten.

Solch eine kleine Abweichung zwischen Junckers Rede und deren Transkript mag man als Kleinigkeit abtun. Für uns Journalisten ist das allerdings keine Kleinigkeit. Können wir auf die Richtigkeit der Presseveröffentlichungen der Kommission vertrauen? Für unsere Arbeit ist das zwingend notwendig. Niemand hat die Zeit, eine Rede noch einmal nachzuhören – Und das nur um sicherzustellen, dass die entsprechende Abschrift mit dieser übereinstimmt. Man stellt sich unweigerlich die Frage: Wie oft wurden Details von Reden in der Vergangenheit nachträglich „korrigiert“, ohne dass es die Presse mitbekommen hat? In jedem Fall gefährdet der Pressedienst der EU-Kommission mit solchen Aktionen seine Glaubwürdigkeit.

Kommentare zu diesem Beitrag (2)

  1. Gast1234 | 17. November 2016, 14:44 Uhr

    Diese 0,1% Behauptung Junckerts zeigt wieder nur seine Inkompetenz und Anmaßung

  2. Anonymous | 12. Februar 2017, 18:37 Uhr

    ICH GLAUBE,DASS ALLE angaben so geschönt werden, bis es den betreffenden Schreibern in den Kram passt. WOBEI EINE hand die andere wäscht. LEIDER. SO GEHT DAS Vertrauen des Wahlvolkes absolut verloren.