Brüssel, Europäischer Rat, Medien
Österreichs Außenminister Sebastian Kurz © European Union 2016
Österreichs Außenminister Sebastian Kurz © European Union 2016
12.12.2016

Bitte Kurz zurückstellen

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Wer spricht eigentlich noch von Abschiebungen? In den vergangenen Jahren haben sich deutsche Politiker viele Gedanken gemacht, wie sie zwar von Abschiebungen sprechen können, dieses hässliche Wort dabei aber nicht verwenden müssen. Und auch in Österreich hat man für die unschöne „Abschiebung“ einen Euphemismus gefunden.

Sprache beeinflusst unser Denken. Wie wir Dinge bezeichnen, hat auch Einfluss darauf, wie wir sie sehen. Framing nennt die Kommunikationswissenschaft diese Vorgehensweise, politische Ereignisse durch gezielte Begriffswahl in einen gewünschten Kontext zu setzen. Elisabeth Wehling vom Department of Linguistics der University of California in Berkeley hat zu diesem Thema bei der Konferenz „Formate des Politischen 2016“ einen hörenswerten Vortrag gehalten.

Die „Abschiebung“ ist so ein Beispiel. Abschieben, das heißt Menschen zwangsweise aus dem Land bringen – natürlich auf Basis der bestehenden Gesetze. Manche wollen sogar Minderjährige nach Afghanistan, Syrien und in den Irak abschieben, wie der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich. Weil solche Vorschläge sich mit dem Begriff „Abschieben“ bei einem Teil der Gesellschaft nicht gut verkaufen, haben politische Kommunikatoren nach Alternativen gesucht. Das Neusprech-Blog hat dafür einige Beispiele seziert.

Die „Rückführung“ hat so in den vergangenen Jahren Einzug in den politischen Sprachgebrauch gehalten. Rückführen, das klingt nach „an die Hand nehmen“, nach Helfen und Unterstützen, damit die Menschen in ihrer Heimat eine neue Zukunft aufbauen können. Und es klingt nicht mehr nach „mit Polizeibegleitung in ein Flugzeug setzen und in ein Land bringen, in dem Krieg herrscht“. Mittlerweile wird die „Rückführung“ nicht mehr nur von Politikern verwendet, sondern wurde auch von vielen Journalisten in ihren Sprachgebrauch übernommen.

Auch in Österreich hat die Politik nach einer sprachlichen „Abschiebungs“-Alternative gesucht. Herausgekommen ist dabei die „Zurückstellung“, wie sie Außenminister Sebastian Kurz beim Treffen mit seinen Amtskollegen in Brüssel verwendete:

 

Zurückstellen heißt in Kurz‘ Sprachgebrauch allerdings nicht – so wie es der Duden empfiehlt – ein wieder an den früheren Platz stellen oder nach hinten stellen. Kurz bezieht sich vielmehr auf die österreichische Verwendung des Begriffes, die der Duden folgendermaßen definiert: (österreichisch) (etwas, was sich jemand geliehen hat, dem Besitzer) zurückgeben, -schicken, -bringen. Dieser Euphemismus geht sogar noch eine Stufe weiter, als das „Rückführen“ in Deutschland. Hier werden nicht Menschen, sondern etwas Unmenschliches, Gegenständliches zurückgeschickt. Und zwar an den Besitzer, in diesem Fall das Herkunftsland, das doch bitte seine Flüchtlinge zurücknehmen soll, wie Kurz fordert. Damit ist es dann auch viel leichter, in der politischen Debatte die Schicksale der Betroffenen außen vor zu lassen. Es sind nicht mehr nur beängstigende „Ströme“, „Fluten“ oder „Wellen“ von Flüchtlingen. Es sind nur noch Gegenstände, gegen deren „Rückstellung“ nun doch wirklich niemand etwas haben kann.

Kommentare zu diesem Beitrag (3)

  1. Bernd Derksen | 17. Dezember 2016, 10:10 Uhr

    >Elisabeth Wehling […] hat zu diesem Thema bei der Konferenz „Formate des Politischen 2016“ einen hörenswerten Vortrag gehalten.>

    Sehe ich auch so.
    —-

    Das undifferenzierte Nutzen des Begriffs „Flüchtling“, oder noch politisch korrekter: „Geflüchtete“, könnte man ja auch mal debattieren…

    Zur Selbstkritik zeigen sich der DLF bzw. seine Redakteure aber nur selten bereit oder fähig…

    Ist ja nicht so, dass die DLF-Redakteure in Sachen Begriffsbildung und -verwendung keine Politik, bzw. kein Framing, betreiben bzw. versuchen würden … Zumindest das anderer unkritisch unterstützen.
    [Insofern also auch ein Lob für Ihren Beitrag. 😉 ]

    Und bei Politikern ist es Teil ihres Jobs, bei Journalisten eigentlich eher weniger …

  2. Bernd Derksen | 25. Dezember 2016, 18:49 Uhr

    Lückenmedium DLF

    Ich werfe dem DLF nicht nur selten vor eindeutig Falsches zu berichten.
    Lückenpresse finde ich hingegen einen angemessenen Begriff.

    Bemerkenswert, dass sie auf mein inhaltlichen Vorhaltungen im Grunde gar nicht eingehen.
    Aber ich erwarte mehr mittlerweile eigentlich auch nicht mehr.
    Ich glaube nicht mehr daran, dass Kritisches beim Hörerservice ernster immer wird.
    Ich wünsche Ihnen und dem Sender aber, dass andere Hörer andere Eindrücke und Erfahrungen als ich machen beziehungsweise gemacht haben.