Berlin
17.01.2017

Grüne Luftpolster-Folie

Von

Zu Beginn eines neuen Jahres räumen viele Menschen gern bei sich auf. Wer kantige Gegenstände bewegen will, ohne sich daran zu stoßen, dem kann Luftpolster-Folie nützlich sein. Gleiches gilt für politische Debatten mit Ecken und Kanten. Wie das funktioniert, haben in dieser Woche die Grünen gezeigt. Denn sie waren eine Partei im Aufräum-Modus. Zu tun haben Sie dabei genug….

Die Dramaturgie des Kraftakts:

Samstag, 07.01.17: Einläuten der Endspurts für die Urwahl des Spitzenduos für die Bundestagswahl mit der letzten Diskussionsrunde in Berlin.

Montag und Dienstag 09.- 10.01.17: Klausur des Bundesvorstands in Berlin. Das war sicherlich einer der Termine, bei denen man gerne mal Mäuschen gespielt hätte. Denn es stand auch die strategische Ausrichtung der Partei im Wahljahr auf der To-Do-Liste

Mittwoch, Donnerstag, Freitag 11. – 13.01.17: Klausur der Bundestagsfraktion in Weimar.

Es steht noch aus: 18.01.2017 – Der Ergebnis der Urwahl wird verkündet, das grüne Spitzen-Duo für den Bundestagswahlkampf steht fest.

 

Fünf Beobachtungen zum Zustand der Partei.

 

1    Sicherheit – weichgezeichnet

Entgegen aller wortreichen Beteuerungen: man wird den Eindruck nicht los, als fürchte man sich in der Parteiführung vor dem Begriff „innere Sicherheit“. Zu sehr scheint er mit Repression und einem konservativen Politikverständnis verbunden zu sein. Die alten Kämpfe a la Wackersdorf, die die Grünen selbst rückblickend als „bürgerkriegsähnliche Zustände“ bezeichnen, gibt es heute nicht mehr. Aber in der Parteiführung bleibt das Unbehagen offensichtlich bestehen; verbunden mit der Wahrnehmung, dass der Bürger VOR dem Staat, nicht DURCH den Staat geschützt werden müsse.

Und so werden dem großen kantigen Begriff „innere Sicherheit“ noch andere – weichere, freundlichere- Begriffe hinzugefügt. Die starke Betonung der sozialen Sicherheit beispielsweise. Oder der Verweis, dass es „Toleranz und Weltoffenheit“ nur in einem sicheren Land geben könne. Wie in diesem Beschluss des Bundesvorstands.

Der Begriff der „inneren Sicherheit“ wird so gleichsam eingerahmt, ummantelt, weichgezeichnet. Oder – wie beim Aufräumen in Luftpolster-Folie eingepackt, damit sich nur niemand an den Kanten stößt.

 

2    Harmonie – nur für die Kameras

Das gilt vor allem für Parteichefin Simone Peter, die im Duo mit Realo Cem Özdemir, den linken Flügel repräsentieren soll. Sie hatte mit einer kritischen Äußerung zum Polizeieinsatz in der Kölner Silvester-Nacht in einem Zeitungs-Interview ihrer Partei einen schlechten Start ins Jahr beschert. Es folgte harsche Kritik der politischen Gegner, sowie der Boulevard-Presse. Aber auch innerparteilich erhielt sie wenig Rückendeckung. Parteichef Özdemir rückte von ihr ab, lobte stattdessen wortreich die Kölner Polizei für den Einsatz.

An der Parteispitze passt es auf vielen Ebenen nicht. Peter, die Ungeschickte, die auf linke Werte verweist und Özdemir, der Ehrgeizige, der nach 12 Jahren in der Opposition die Grünen endlich wieder an die Macht bringen will. Und weiß, dass er dafür auch die Stimmen von bürgerlichen Wählern braucht.

Özdemir, seit 2008 an der Parteispitze, gilt als machtbewusst. Und so bleiben die eher unangenehmen Aufgaben gern mal an der Co-Vorsitzenden Simone Peter hängen. Wie zum Beispiel die Aufarbeitung der Pädophilie-Affäre, die den Grünen 2013 ein schlechtes Ergebnis eingebracht hatte und bis heute nachwirkt, für Kritik und hasserfüllte Kommentare sorgt. Özdemir wollte sich damit offensichtlich nicht belasten. Sehr zurückhaltend, ohne Pressekonferenz, ohne größere Vorankündigung wurde kurz vor der parlamentarischen Weihnachtspause ein 300 Seiten starker Bericht präsentiert. Es ging offensichtlich darum, das Thema aus dem Wahljahr 2017 herauszuhalten. Die Strategie, die Vorstellung gleichsam in der hektischen letzten Parlamentswoche vor Weihnachten zu „versenken“ ist aufgegangen. Das Medien-Interesse blieb verhalten.

Nach dem verkorksten Start ins so wichtige Wahljahr versuchen die Grünen mit den Klausur-Tagungen und der Präsentation des Spitzen-Duos einen Neustart. Doch demonstrative Fröhlichkeit, so wie sie Montag und Dienstag der versammelten Hauptstadtpresse von Simone Peter und Cem Özdemir präsentiert wurde, mit kleinen Witzen, über die gemeinsam gelacht wird, wirkt da eher aufgesetzt. Wie bei einem zerstrittenen Paar, das sich für einen Abend in der Öffentlichkeit noch mal zusammen reißt. Es ist die gute Miene zum bösen Spiel. Nein, man hat sich nicht so lieb, wie man tut. Und alle wissen das. In diesem Jahr, spätestens im kommenden Jahr wird die Partei-Spitze neu gewählt. Özdemir hat bereits angekündigt, nicht noch einmal anzutreten. Was aus Simone Peter wird – keiner will sich festlegen. Man müsse doch jetzt erst mal das Wahlergebnis abwarten.

 

3    Bundestagsfraktion – besser sortierte Politik-Profis

Die Bundestags-Fraktion dagegen schleppt diesen emotionalen Ballast nicht mit sich rum. Über das Führungs-Duo, den Parteilinken Anton Hofreiter und die Reala Katrin Göring-Eckardt hört man keine lauten oder halblauten Klagen. Von den Abgeordneten oder ihrem Umfeld. Sollte es Streit geben, dann dringt er nicht nach außen.

Und auch bei der Debatte um die Sicherheitspolitik wirkt die Fraktion aufgeräumter und sprechfähiger. Auf Ihrer Klausur in Weimar hat sie ein ausführliches Positions-Papier verabschiedet. Zudem hat sie mit Konstantin von Notz, Hans-Christian Ströbele und Irene Mihalic drei versierte Innenpolitiker in ihren Reihen.

 

 

4    Spitzenkandidaten-Suche – eine Handvoll Führung?

Doppel-Doppel-Spitze plus 1? Wird aus dem Vierer-Gespann aus doppelter Parteiführung (Özdemir, Peter), doppelter Fraktionsführung (Hofreiter, Göring-Eckardt) möglicherweise ab Mittwoch eine Handvoll Führung?  Rein theoretisch könnte es sogar eine Fünfer-Führung geben. Nämlich dann, wenn sich der Kieler Umweltminister Robert Habeck im Rennen um die Spitzenkandidatur neben Katrin Göring-Eckardt durchsetzt.

Bis Freitag konnten die 61.000 Mitglieder abstimmen. Bei der vergangenen Urwahl, im Jahr 2013, beteiligten sich 60 Prozent der Parteibasis – und sorgten mit ihrer Entscheidung für einen Überraschungseffekt. Statt für die Favoritin Claudia Roth entschieden sie sich für Katrin Göring-Eckardt.

In diesem Jahr gilt das Rennen als offen. Auch nach fünf Monaten parteiinternem Wahlkampf und neun öffentlichen Urwahlforen zeichnet sich noch kein klarer Favorit unter den drei männlichen Bewerben ab.

 

5    Spagat: Minderheiten schützen und Mehrheiten suchen…

 

Es gehört zur politischen DNA der Grünen, für Minderheiten einzustehen und vor Diskriminierung zu schützen. Zum Beispiel für die Rechte von Asylbewerbern einzutreten. Doch schwierig wird das, wenn andere grüne Grundwerte, die das Selbstverständnis als Frauenrechtspartei, damit in Konflikt geraten. Das zeigte sich im Nachklang zum Polizeieinsatz in der Kölner Silvesternacht. Parteichef Özdemir lobte, dass Frauen unbehelligt feiern konnten, Simone Peter verwies auf mögliches „Racial Profiling“ bei der Auswahl der kontrollierten Personen am Kölner Hauptbahnhof.

Dieser Spagat ist auch zu beobachten bei der Debatte um die Ausweitung der Liste der sicheren Herkunftsländer um Marokko, Algerien und Tunesien. Die Parteispitze, große Teile der Fraktion sowie die meisten Landesregierung mit grüner Beteiligung lehnen das ab. Einzig Baden-Württemberg tritt dafür seit Längerem ein, hat dies sogar im grün-schwarzen Koalitionsvertrag verankert. Er befürchtet, dass die Grünen mit ihrer ablehnenden Position als Blockierer wahrgenommen werden. Mit lustvollem medialen Querschießen versuchen die Baden-Württemberger immer wieder ihren Kurs klarzumachen – auch auf Kosten der Partei.

 

Fazit:

Immerhin, auf partei-interne Rangeleien haben die Grünen derzeit kein Monopol. Ein Blick auf die Boshaftigkeiten zwischen CDU und CSU lässt die grünen Streitigkeiten fast harmlos erscheinen. Aber das bleibt nur ein schwacher Trost.

 

Mehr zum Nachhören finden Sie hier