Berlin, Bundesregierung, Parteien, Wahlen und Wahlkampf
Verkehr, Digitale Infrastruktur: Noch ist hier Alexander Dobrindt Minister - aber das wird sich ändern. (c) Falk Steiner / Deutschlandradio
Verkehr, Digitale Infrastruktur: Noch ist hier Alexander Dobrindt Minister - aber das wird sich ändern. (c) Falk Steiner / Deutschlandradio
29.09.2017

Planspiele, Proporze und Rechenkünste

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Im Supermarkt ist Spekulatius schon seit Wochen zu haben – und in Berlin jetzt auch. Es wird miteinander geredet, es wird betont, dass man viel miteinander zu bereden habe. Und eigentlich, soviel steht fest, ist das Reden derzeit vor allem ein inner- beziehungsweise schwesterparteiliches. Dennoch: die Spekulatiussaison hat bereits massiv begonnen. Eine kleine Handreichung, damit Sie in den kommenden Wochen nicht komplett den Überblick verlieren, aber jederzeit mitreden können.

Politik ist in manchen Bereichen wie Fußball: es geht um die Aufstellung, es geht darum, dass die Mannschaft zufrieden ist und die Fans nicht die Bierbecher aufs Feld werfen. Allerdings: die Trainer werden in der Politik seltener ausgetauscht und die Gehälter dürften in den meisten Fällen nicht einmal Zweitliganiveau erreichen – auch wenn Fußballerkarrieren dafür schneller vorbei sind. Doch zurück zur Mannschaftsaufstellung.

Denn im Fußball geht es immer auch um die richtige Taktik – und die ist auch für Koalitionen unter anderem in der Frage begründet: welcher Mannschaftsteil soll wie stark sein? Derzeit gibt es 14 Ministerien, den Kanzleramtsminister und die Kanzlerin, ergänzt um diverse Nebenfunktionen wie die der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien.

Bei einer Jamaika-Koalition wäre, rechnet man mit 15 + Kanzlerin, eine 7-3-3-3 denkbar. Aufgrund der herben Verluste der Unionsparteien wären aber auch eine 5-4-4-3 als auch eine 6-4-4-2 denkbar – wobei es für die CSU schon bitter wäre, vielleicht nur noch zwei Minister zu stellen. Natürlich ließe sich denken, die Ressortzuschnitte zu verändern, neue Ministerien zu schaffen, umzugewichten. Geraunt wird im politischen Berlin gerne über Lindner-Ministerien mit ganz viel Digital, über Grüne Superumweltklimaministerien. Die Ressortzahl kann über Kompetenzverschiebungen teilweise ausgeglichen werden. Allerdings sind einige Ministerien traditionell als Gegenpole angelegt: Innen- und Justiz zum Beispiel, weshalb sie eigentlich nie in einer politischen Farbe besetzt sind.
Damit zum einzigen wirklich Einfachen, der Spielführerin: Kanzlerin dürfte bei einer Jamaika-Koalition Angela Merkel werden. Und auch der oder die Kanzleramtsministerin dürfte aus der Union kommen, Merkel nahestehen.

Doch bei der Aufteilung der Ministerien und bei möglichen Neuzuschnitten gibt es vor allem eines: Proporz.

Das beginnt damit, dass Grüne und FDP mit 8,9 beziehungsweise 10,7 Prozent nicht all zu unterschiedlich abgeschnitten haben. Entsprechend dürften sie die gleiche Anzahl an Ministerposten im Kabinett fordern. Bei der FDP ist wichtig, dass die Minister aus unterschiedlichen Landesverbänden kommen müssen. Und bei den Grünen gilt grundsätzlich das Frau-Offen-Frau-Offen-Prinzip: mindestens die Hälfte der Grünen müsste demnach Ministerin sein. Gesetzt scheint Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir, die zweite Frau aber ist derzeit Ratewerk. Und dass diejenigen dann eigentlich auch aus unterschiedlichen Landesteilen kommen müssen, versteht sich natürlich ebenfalls von selbst.

Bei der CSU ist der Regionalproporz relevant, also das Denken an Vertreter aller Bezirksverbände für alle Posten, also : Franken- (Joachim Herrmann, Christian Schmidt, Dorothee Bär, Florian Silberhorn, Stefan Müller), Ober- (Seehofer) und Niederbayern (Andreas Scheuer), Oberpfalz (Alois Karl, Peter Aumer, Karl Holmeier, Albrecht Rupprecht) und Schwaben (Gerd Müller, Georg Nüßlein) wollen mit Posten versorgt werden – aber natürlich nicht alle als Minister, sondern viele eher als Staatssekretäre. Mit Alexander Dobrindt als Oberbayern in der Landesgruppe ist die größte Gruppe zumindest teilweise versorgt – aber auf den Proporz wird in der CSU stets peinlich genau geachtet. Klar ist aber auch: Es wird in jedem Fall auch darum gehen, die CSU intern zu befrieden.

Bei der CDU spielen die Landesverbände eine vergleichbar gewichtige Rolle: Mit der Kanzlerin ist Mecklenburg-Vorpommern versorgt. Der Landesverband in Brandenburg hat keine ministrablen Kandidaten, höchstens Jana Schimke könnte ein jüngeres, wirtschaftsfreundliches Gesicht sein, das aufstrebt. Der Landesverband Sachsen-Anhalt hat keine offensichtlich aufstrebenden Gesichter im Angebot, die Thüringer CDU hat mit Manfred Grund einen sehr erfahrenen Vertreter, wahrscheinlicher scheint aber ein Karrieresprung für Christian Hirte, erst 41 und doch schon 9 Jahre im Parlament.

Schleswig-Holstein ist nach den Neuaufstellungs-Sturzgeburten der Partei für die Landtagswahlen im Frühjahr eher noch nicht so weit, Minister nach Berlin zu entsenden, mit einem Staatssekretärsposten wären die Nordlichter gut bedient. Auch Hamburg stellt keinen offensichtlichen Kandidaten, Marcus Weinberg und Rüdiger Kruse könnten aber etwas hinzugewinnen. Bei den Niedersachsen stellt sich vor allem die Frage, ob der ehemalige Ministerpräsident David McAllister aus dem Europaparlament nach Berlin geholt wird – aber mit Ursula von der Leyen ist wohl auch weiterhin bereits eine mächtige, wenn auch nicht hausmächtige, Vertreterin im Kabinett gesetzt.

NRW ist als Landesverband mit gut 130.000 Mitgliedern riesig, und mit Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (Rheinland) allein doch deutlich unterrepräsentiert. Auch der aufstrebende Jens Spahn kommt aus dem mächtigen Nordrhein-Westfalen (hier: Westfalen), doch er allein wäre wohl ebenfalls zu wenig. Und ihn kontrolliert Karriere machen zu lassen, dürfte eine schwierige Aufgabe in der Union bleiben, nachdem Spahn eine versuchte Revolte gegen den eigenen Fraktionschef Volker Kauder nachgesagt wird.

Aus Sachsen ist nach dem Nichteinzug des dortigen CDU-Generalsekretärs Michael Kretschmer kaum ein Politiker bekannt und in der Lage, die Rolle von Thomas de Maizière zu übernehmen – die souverän zum vierten Mal ihren Wahlkreis Leipzig-Land verteidigt habende Katharina Landgraf hat nie höhere Weihen angestrebt, der neue Ko-Landesgruppenvorsitzende Marco Wanderwitz dürfte noch etwas zu jung und unbekannt sein.

Ob aus Rheinland-Pfalz Julia Klöckner in den Bund darf? Vorstellbar wäre es – prominentere Ministerkandidatinnen als die frühere BMELV-Staatssekretärin gibt es jedenfalls nicht und zumindest grundsätzlich liegt ihr etwas Schwarz-Grün nicht fern. Peter Altmaier wird wohl weiterhin alle Posten für das kleine Saarland ausfüllen, Bremen stellt keine offensichtlichen Kandidaten – und dann ist da noch Hessen. Die fühlten sich in den vergangenen Kabinetten oft unterrepräsentiert, seit Franz-Josef Jung 2009 im Zusammenhang wegen unrichtiger und unvollständiger Information des Parlaments zur Bombardierung im afghanischen Kundus aus dem Kabinett ausscheiden musste. Helge Braun, derzeit Staatsminister im Kanzleramt, könnte ein Kandidat für höhere Weihen sein – er gilt als Merkel-Vertrauter. Auch CDU-Generalsekretär Peter Tauber ist ein Hesse – ob der seine Aufgaben so weiterführen darf wie bisher, ist eher fraglich.

Und auch beim Timing gibt es viele Variablen: Am 8. Oktober treffen sich die Unionsspitzen zur ersten einer unbekannten Zahl von Aussprachen (Spötter nennen es bereits Familienaufstellung), die Landtagswahl in Niedersachsen findet am 15.10.2017 statt, der CSU-Parteitag am 17.-18. November könnte auch noch eine Untergrenze für den Beginn von Koalitionsverhandlungen sein – und eine Obergrenze für Verhandlungen, die gibt es nur in Form der Legislaturperiode. Und die endet aller Voraussicht nach im September 2021.

Soweit unser Servicebeitrag für die einsetzende Vorweihnachtszeit . Bleiben Sie uns gewogen – essen Sie nicht zu viel Spekulatius.

Kommentare zu diesem Beitrag (2)

  1. Markus | 15. Oktober 2017, 22:04 Uhr

    Eine schöne Übersicht über die anstehenden Planspiele, danke!
    Wie sieht es denn mit der Personalie von Herrn Seibert aus? Muss man sich darüber auch in Koalitionsverhandlungen einigen oder bestimmt die Kanzlerin „ihren“ Sprecher allein?

    Ich möchte nicht trollen, die Frage ist ernst gemeint. Aus meiner Sicht kommt dem Regierungssprecher ja eine besondere Bedeutung zu und ich könnte mir vorstellen, dass die Grünen sich von ihm nicht unbedingt vertreten lassen möchten…
    Wissen Sie da was?

    • Falk Steiner | 16. Oktober 2017, 10:33 Uhr

      Üblicherweise bestimmt jeder der Koalitionspartner bei der Verteilung des Bärenfells „seine“ Posten, mit denen dann autark umgegangen wird. Das gilt auch für die Sprecher. Der Regierungssprecher/die Regierungssprecherin als eng in die Kanzleramtsabläufe eingebundener Mensch ist dementsprechend dann auch von der oder demjenigen zu benennen, der oder die dann dort im Spreehalbkreis das Amt wahrnimmt.