Außenpolitik, Berlin, Brüssel, Bundesregierung, Bundestag, Innenpolitik, Kommentare
Gudula Geuther / Foto: Bettina Straub
08.04.2016

Flüchtlingszahlen

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Ein Kommentar

im Deutschlandfunk

Die Zahl derer, die es bis nach Deutschland schaffen, ist geradezu dramatisch gesunken. Das ist keine Überraschung. Es ist eine zwangsläufige Folge geschlossener Grenzen entlang der Balkan-Route. Man kann darauf ganz unterschiedlich reagieren. Nicht angemessen allerdings ist die Streit- und Versöhnungs-Show, die die Union daraufhin abgezogen hat. Entzündet hatte sich die Auseinandersetzung an der Ankündigung von Bundesinnenminister Thomas de Maizière, frei übersetzt: Sollte es keine Ausnahmesituation mehr an der deutschen Grenze geben, gibt es nach den Regeln des Schengen-Raumes keinen Grund mehr für Grenz-Kontrollen. Und wenn doch, dann eben doch. Zumal ab dem 12. Mai, nach einem halben Jahr der Stichpunkt-Kontrollen, die Hürden höher liegen. Mehr war da nicht. Wenn Horst Seehofer daraus eine Staatsaffäre macht, dann zeigt das, wie wenig Restvertrauen noch übrig ist in der Koalition. Es zeigt aber auch, wie bedenkenlos der CSU-Chef bereit ist, die Flüchtlingsfrage zur Profilierung zu nutzen. Hauptsache Krise. Dass Angela Merkel ihm im vom Zaun gebrochenen Streit wirklich Recht gegeben hat, mag man vor dem Hintergrund nicht gern glauben.

 

Dabei ist tatsächlich ganz unklar, wie viele Schutzsuchende es in diesem Jahr nach Deutschland schaffen werden. Der Migrationsdruck ist noch gestiegen. Wie er auf Europa wirkt, hängt von vielen Faktoren ab, vom Verhalten der Türkei, von Italien. Und vor allem von der Frage, wie viele Zugeständnisse Europa an seine Nachbarstaaten noch machen will – auch in Sachen Menschenrechte. Und für diese Fragen muss Deutschland jetzt auch die volle Verantwortung übernehmen. Schon längst hat die Bundesregierung Abschied genommen von der früheren Linie Angela Merkels, von der Politik des freundlichen Gesichts. Die Abriegelung der Balkan-Route, von der Deutschland profitiert, mögen manche bedauert, andere mit klammheimlicher Genugtuung beobachtet haben. Das Zuschauen ist jetzt offiziell vorbei. Innenminister Thomas de Maizière hat den Streit in Europa für beendet erklärt – mit Verweis auf eine gemeinsame Linie der EU. Umso mehr muss sich jetzt der Blick auch auf diese gemeinsame Politik richten. Auf die Schutzsuchenden in Griechenland etwa, die nicht aus Syrien kommen. Auch für die hat Europa nach internationalem Recht Verantwortung. Und unter ihnen sind viele, die verfolgt werden. Wer aus dem Irak, aus Afghanistan, aus Eritrea kommt, hätte große Chancen, in Europa Schutz zugesprochen zu bekommen. Türkische Regierungsmitglieder haben angekündigt, Nicht-Syrer würden in ihre Herkunftsstaaten zurückgeschickt. Das muss nicht so scharf und umfassend gemeint gewesen sein, wie es klingt – aber die Aussagen stehen im Raum. Der Bundesinnenminister sagt dazu: Wir gehen davon aus, dass sich die Türkei an internationales Recht hält. Das genügt nicht. Und Europa, auch Deutschland, wird auch beobachten müssen, wie die Türkei an ihren Grenzen mit denen umgeht, die den Sprung nach Griechenland versuchen. Tut sie es doch wegen Europa. Die Fragen, die sich in Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise stellen, werden nicht kleiner. Und bei ihnen geht es schon lange nicht mehr darum, wer in Berlin die Lederhosen an hat.

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(ar)