Außenpolitik, Berlin, Kommentare
Gudula Geuther im Hauptstadtstudio von Deutschlandradio / Foto: Bettina Straub
17.05.2016

Kommentar: Armenier-Resolution

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Ein Kommentar

im Deutschlandfunk

Als 1915 eines der abscheulichsten Verbrechen des zwanzigsten Jahrhunderts geschah, schwieg das kaiserliche Deutschland. Und das, obwohl man in Berlin aufs Beste unterrichtet war über die planmäßige Vernichtung und Vertreibung, an deren Ende hunderttausende Tote standen. Die Akten des Auswärtigen Amtes, gegründet auf die Berichte von Botschaftern und Konsuln im Osmanischen Reich, zählen bis heute zu den wichtigsten staatlichen Dokumentationen über die Organisation der Massaker. Das Deutsche Reich als wichtiger militärischer Verbündeter der Hohen Pforte intervenierte nicht. Der Autor Rolf Hosfeld, der nicht nur diese Dokumente akribisch aufgearbeitet hat, nennt es eindeutig, dass der Völkermord an den Armeniern ohne die schützende Hand des Deutschen Reiches während des Waffenbündnisses mit der Türkei im Ersten Weltkrieg kaum möglich gewesen wäre. Schon deshalb ist das lange Hin und Her um eine Resolution des Bundestages kaum zu verstehen. Dabei ist es nicht so, dass sich deutsche Instanzen nicht frühzeitig bemüht hätten, die Verbrechen zu benennen. Bis heute – anfangs höchst zögerlich durch die Bundesregierung, die sich immer noch zurückhaltend zeigt, – gerade heute ermahnt Außenminister Frank-Walter Steinmeier den Bundestag. Deutlich wurden dagegen Bundespräsident Joachim Gauck und Bundestagspräsident Norbert Lammert. In Bundestags-Debatten sprachen zuletzt Redner aller Fraktionen die Verbrechen an. Es wäre eine bittere Posse gewesen, wenn die angekündigte Resolution des Bundestages sie nicht als Völkermord benennen würde.

Dabei geht es nicht darum, mit dem Finger auf die heutige Türkei als Ganzes oder gar die Türken zu zeigen. Das haben auch frühere Resolutionen nicht getan. Auch nicht die im Februar von den Grünen in den Bundestag eingebrachte, die einen früheren Entwurf der Koalition mit Aussagen Norbert Lammerts verband. Darin verneigt sich der Bundestag nicht nur vor den Opfern – nicht nur unter den Armeniern, sondern auch unter Aramäern, Assyrern und anderen christlichen Minderheiten. Der Text spricht die deutsche Rolle an, ehrt aber auch die Türken, die vor 100 Jahren unter schwierigen Umständen den Verfolgten geholfen haben. In der Türkei gab es in den vergangenen Jahren vermehrt Bestrebungen, die sich für einen offenen Umgang mit der Geschichte einsetzten, die das als wichtige Voraussetzung einer Demokratisierung ansahen, als Teil des Anschlusses an die Europäische Wertegemeinschaft. Auch an sie sendet eine solche Resolution eine Botschaft. Dass ehrliche Aufarbeitung schwierig, aber notwendige Grundlage jeder Versöhnung ist, weiß gerade Deutschland.

Die türkische Regierung sieht das anders. Um das zu erkennen bedurfte es nicht der Proteste gegen die Benennung als Völkermord durch den türkischen Botschafter in Berlin schon im Vorfeld. Dass der heutige Präsident Recep Tayyip Erdogan einen anderen Blick auf die Geschichte pflegt, zeigte er bereits als Bürgermeister von Istanbul. 1996 war er Initiator der Rehabilitation eines der maßgeblich Verantwortlichen für die Verbrechen. Die Gebeine Enver Paschas, des Kriegsministers der Jungtürken, wurden aus Tadschikistan überführt und auf dem Freiheitshügel in Istanbul beigesetzt. Was auch in der Türkei kontrovers aufgenommen wurde. Es ist derselbe Erdogan, der dann allerdings auch 2014 als Ministerpräsident den Opfern der Ermordeten sein Beileid aussprach.

Die Zurückhaltung der Bundesregierung in der Völkermord-Frage ist rückblickend nicht allein mit den Entwicklungen in der Flüchtlingspolitik zu erklären. Schon früher hatte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier gewarnt, eine Zuspitzung könne der Aussöhnung von Türken und Armeniern schaden. Heute dreht Unionsfraktionschef Volker Kauder das Argument um – und erhofft sich gerade von der Resolution aussöhnende Impulse. Welche Variante richtig ist, liegt auch in der Hand der Beteiligten in Ankara und Jerewan. Natürlich aber ist die aktuelle Diskussion in Deutschland von der Flüchtlingspolitik nicht zu trennen. Redner vor allem der Union hatten in der Debatte im Februar ausdrücklich die Flüchtlinge als Grund benannt, die Resolution zu verschieben. Dass sie später dann doch kommen würde, stand damals fest. Dass sie nun offenbar schärfer ist als frühere – dass sie das Wort Völkermord im Titel trägt – dürfte aber auch damit zusammenhängen, dass Erdogan selbst kein Interesse zeigt, zu deeskalieren. Umso mehr ist die deutsche Politik gezwungen unter Beweis zu stellen, dass sie sich nicht erpressen lässt. In diesem Sinn mag eine scharfe Bundestags-Resolution sogar der Bundesregierung ganz recht sein – als Teil einer praktischen Rollenverteilung.

(tb)

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