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Der Deutsche Michel in einer Karikatur des Eulenspiegels von 1848 (gemeinfrei)
Der Deutsche Michel in einer Karikatur des Eulenspiegels von 1848 (gemeinfrei)
10.08.2015

Michels giftiges Stück vom Kuchen

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Bräsig und selbstzufrieden sitzt der deutsche Michel am Esstisch und verspeist das große Stück vom Kuchen, dass er abbekommen hat. Er schmatzt genüsslich, die schwere Mahlzeit macht ihn schläfrig. Michel denkt gar nicht daran, dass sich an der Verteilung des Kuchens etwas ändern sollte. Dass damit die Stücke der Anderen kleiner ausfallen müssen, tja so ist halt der Lauf der Dinge. Was er dabei aber vergisst: Die Zutaten für sein extra großes Kuchenstück sind ziemlich giftig.

Es geht uns doch gut, worüber sollen wir klagen? So könnte man aus deutscher Sicht die Studie des US-Meinungsforschungsinstituts Pew Research Centers verstehen. Danach sind die Deutschen im Vergleich mit anderen führenden Wirtschaftsnationen am zufriedensten mit ihrer wirtschaftlichen Lage (bezogen auf die Wirtschaftslage des Landes). Dreiviertel stimmen dem zu, nur ein Viertel ist unzufrieden. Über die Hälfte glaubt, dass sich die Wirtschaftslage auch in nächster Zukunft nicht ändern wird. Obwohl die Forscher im vergangenen Jahr noch 85% Zustimmung in Deutschland messen konnten, belegen wir so noch immer den Spitzenplatz. Und die täglichen Nachrichten geben uns Recht: Der Bundeshaushalt kommt ohne Neuverschuldung aus, die Preise sind im Juli im Vergleich zum Vorjahresmonat um nur 0,2 Prozent gestiegen. Die niedrige Inflation und damit die kaum steigenden Preise kurbeln den Konsum an. Der Euro ist weiterhin schwach im Vergleich zum Dollar. Das kommt wiederum den Exporten zugute. Lediglich Importeure müssen so draufzahlen. Zumindest was den Energiesektor angeht, wirkt sich das wegen des niedrigen Ölpreises kaum aus. Also alles in Butter?

Giftige Zutaten

Das Rezept für Michels dickes Kuchenstück klingt bei genauerer Betrachtung weniger gesund:

Umso mehr Deutschland exportiert, umso mehr importieren andere Länder – auch in der EU. Umso größer also der deutsche Handelsüberschuss ausfällt, umso mehr verschlechtert sich die Handelsbilanz der anderen EU-Partner. Im vergangenen Jahr konnte die Bundesrepublik laut ifo-Institut einen Überschuss von 220 Milliarden Euro erwirtschaften – Spitzenwert weltweit! Die EU-Kommission kritisiert dieses Ungleichgewicht seit langem und mahnt, dass so das wirtschaftliche Gleichgewicht innerhalb der EU gefährdet sei.

Teil des deutschen Wirtschaftserfolgs sind Waffenexporte. Im ersten Halbjahr 2015 hat die deutsche Rüstungsindustrie damit mehr erwirtschaftet, als im gesamten Vorjahr. Als drittgrößter Waffenexporteur weltweit hat die Bundesrepublik in den ersten sechs Monaten 2015 Ausfuhren im Umfang von 6,35 Mrd. Euro genehmigt. Besonders drastisch sind die Exporte in die arabischen Staaten und nach Nordafrika gestiegen – hier haben sie sich verdoppelt.

Wir Krisengewinner

Das giftige Sahnehäubchen setzt nun das Institut für Wirtschaftsforschung in Halle auf. In ihrer Untersuchung kommen die Forscher zu dem Schluss, dass Deutschland von der Griechenland-Krise bisher enorm profitiert hat. Investoren wollen ihr Geld in Krisenzeiten in einen sicheren Hafen bringen und investieren in deutsche Staatsanleihen. Damit fallen die Zinsen und der Staat kann sich günstiger Geld leihen – und gleichzeitig teurere Kredite ablösen. Die Forscher konnten sogar einen Zusammenhang zwischen negativen Nachrichten aus Griechenland und fallenden Zinsen für deutsche Staatsanleihen feststellen. Nach ihren Berechnungen konnte die Bundesrepublik so seit dem Jahr 2010 100 Milliarden Euro an Zinsen einsparen. Auch wenn die Hallenser Wirtschaftsexperten einräumen, dass es schwer sei, die Zinsersparnis exakt anzugeben, so kommen sie doch zu dem Schluss:

„Diese realisierten Einsparungen übertreffen selbst die potenziellen Kosten, die auf Deutschland zukämen, wenn Griechenland seine Schulden überhaupt nicht zurückbezahlt. Schätzungen zufolge ist der deutsche Anteil an den Rettungspaketen für Griechenland (über den Europäischen Stabilitätsmechanismus – ESM, die EZB und den IWF) auf rund 90 Mrd. Euro zu beziffern. Das gegenwärtig zu verhandelnde Paket ist dabei schon mitberücksichtigt. Selbst wenn Griechenland keinen Cent zurückbezahlt, hätte die deutsche öffentliche Hand also finanziell von der Krise profitiert.“

Deutschland hat also ein finanzielles Interesse daran, dass die griechische Hängepartie zwischen Staatspleite und wirtschaftlicher Gesundung so schnell nicht endet.

Mag das deutsche Kuchenstück auch sehr groß ausfallen und vielleicht sogar für ein paar Reserven auf den Hüften sorgen: Ich bin skeptisch, ob der deutsche Michel es wirklich ohne Bedenken genießen sollte. Mich erinnert die Zubereitung eher an dieses Rezept.

Kommentare zu diesem Beitrag (2)

  1. Irgendjemand | 14. August 2015, 11:16 Uhr

    Grandiose Bewertung der Vorgänge

  2. @Europolitikus | 15. August 2015, 14:10 Uhr

    Selber konsumieren macht mehr Freude

    Warum verschenken die Deutschen ihren Exportübersschuss?
    Besser wâre doch die Güter selbst zu konsumieren. Das hebt den Wohlstand.

    Nur bei einer Zahlungsbilanz im Gleichgewicht gibt es keinen Ärger mit den Nachbarn.

    Die Griechen sind besser als uns die deutschen Medien glauben machen:

    http://trends.levif.be/economie/politique-economique/la-plupart-des-grecs-travaillent-de-8-a-23-heures/article-normal-410611.html?utm_campaign=Newsletter-RNBTECZ&utm_medium=Email&utm_source=Newsletter-14%2F08%2F2015