Innenpolitik, Medien, Parteien
Hunderte Teilnehmer einer Demonstration unter dem Motto "Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" (PEGIDA) demonstrieren am 03.11.2014 vor der Frauenkirche in Dresden (Sachsen). Zuvor waren sie vom Postplatz aus durch die Innenstadt der sächsischen Landeshauptstadt gezogen. Foto: Arno Burgi/dpa
05.02.2016

Zwischen Schuss- und Stusswaffengebrauch

Von

In einem längeren Beitrag hatte ich am Samstagabend dargelegt, warum Frauke Petry zwar keinen „Schießbefehl“ gefordert hat, in ihrer Rechtsauffassung aber sehr wohl irrt – und ihre AfD-Partei-Vizevorsitzende Beatrix von Storch noch viel mehr. Über 300 Kommentare gingen dazu ein, auch per Mail und Telefon erreichten mich Leseranmerkungen. Eine kleine Nachbetrachtung.

Was gesagt und was veröffentlicht wurde

Im Fall der Äußerungen von Frauke Petry ist die Sache etwas komplizierter. Sie behauptete eine Rechtslage. Eine Rechtslageneinschätzung, die so bereits der NRW-AfD-Landesvorsitzende Marcus Pretzell einmal, einige Wochen vorher, geäußert hatte. Medial wurde dies wahrgenommen aber von einem sonderlich großen politischen Aufschrei darüber kann man nicht sprechen. Doch diesmal kam es anders. Die Bundes-Co-Vorsitzende Petry gab dem Mannheimer Morgen ein Interview. Bekam es in der Vor- und Druckfassung zur Durchsicht (bei Zeitungen gängiges Verfahren, da die Gespräche meist auf Drucklänge gekürzt werden), durfte noch einmal Dinge ändern lassen. Sie und ihr Referent waren mit der dann veröffentlichten Version offenbar einverstanden (der Mannheimer Morgen hat den Mailverkehr veröffentlicht (PDF)).

Was dann diskutiert wurde

Ich hatte ja bereits im Beitrag am späten Samstagabend darauf hingewiesen, dass Petry explizit keinen Schusswaffengebrauch gefordert habe, sondern ihn eher abstrakt befürchte, da die Rechtslage eben so sei wie sie sei. Sie sprach von der Ultima Ratio, also dem letzten Mittel.

Hier haben einige ihrer Kritiker also danebengegriffen, wenn sie ihr den Wunsch nach einem „Schießbefehl“ nachgesagt haben. Den, so scheint Petry geglaubt zu haben, gebe es nämlich schon:

Er [der Bundespolizist] muss den illegalen Grenzübertritt verhindern, notfalls auch von der Schusswaffe Gebrauch machen. So steht es im Gesetz.

Ihre Stellvertreterin, Berliner Landeschefin und Europaparlamentarierin Beatrix von Storch am 31.01. um 04:35 Uhr (die Uhrzeit ist durchaus bemerkenswert):

Wir haben keine Forderungen aufgestellt, sondern die Rechtslage referiert.

Halina Wawzyniak, rechtspolitische Sprecherin der Linken, hat am 31.01.2016 in einem Blogpost dargelegt: Das steht nicht im Gesetz.

Am gleichen 31.01., jedoch am Abend, versucht Beatrix von Storch um 22:37 Uhr immer noch zu argumentieren, dass ihre Aussagen zutreffend seien, abgesehen vom Schusswaffengebrauch gegenüber Kindern. Ihr Regelungsgegenstand: daß „Frauen mit Kindern“ mit Waffengewalt am Übertritt der grünen Grenze gehindert werden sollen.

Diese regeln in den §§ 11 ff UZwG klar, dass Schußwaffen überhaupt nur eingesetzt werden können, wenn alle andere Maßnahmen unmittelbaren Zwanges erfolglos waren, und daß gegen Personen der Einsatz erst nach erfolglosem Warnschuss und Schuss gegen Sachen in Betracht kommt. Das Gebot der Verhältnismäßigkeit wird dazu führen, daß es letztlich zu keinem Einsatz gegen Personen kommen muss.

Als ich Dr. Johannes Dimroth, Sprecher des Bundesministerium des Innern, in der Regierungspressekonferenz am Montagmittag, 01.02.2016, fragte, war die Aussage unmissverständlich:

Wenn Sie nach einer Anweisung oder ähnlichem an die Bundespolizisten fragen: Dessen bedarf es nicht. Es gibt auch hier einen ganz klaren rechtlichen Rahmen, der in diesem Zusammenhang keiner weiteren Interpretation bedarf. Das lässt sich alles sehr gut nachlesen, weil diese Gesetze, wie üblich, für jedermann einsehbar sind. Das wissen Sie sehr gut. Sie wissen vermutlich, dass das Gesetz über den unmittelbaren Zwang sehr unterschiedliche Stufen vorsieht.
Aber selbstverständlich, das kann ich hier in dieser Deutlichkeit sagen, wird kein Bundespolizist Schusswaffen gegen Menschen einsetzen, die hier in Deutschland um Schutz nachsuchen, und selbstverständlich, auch das kann ich sagen, ist der gezielte Einsatz von Schutzwaffen gegen Menschen, um einen Grenzübertritt zu verhindern, rechtswidrig.

Christoph Schönberger, Staatsrechtler an der Universität Konstanz im Interview mit dem Deutschlandfunk-Kollegen Martin Zagatta am 02.02.2016:

„.. der bloße Schutz der Außengrenze vor der Einreise eines Flüchtlings, das reicht auf keinen Fall, um Schusswaffen einzusetzen.“

Und damit geht Schönberger noch weiter in seiner Einschätzung, denn Grenzübertritt und Einreise sind im Recht nicht identisch. Das gesamte Interview nachhörbar auch hier:

Und die AfD als Partei? Mal abgesehen von Frau von Storch? Am 01.02. erreicht die Öffentlichkeit eine Erklärung Frauke Petry und Jörg Meuthen, den beiden gleichberechtigten AfD-Bundesvorständen:

Die AfD lehnt es strikt ab, dass auf Menschen geschossen wird, die friedlich Einlass in das Bundesgebiet begehren. Die AfD strebt keinerlei Verschärfung der diesbezüglich geltenden Rechtslage oder Praxis an. Die Gesetzeslage ist eindeutig und für die Grenzsicherung vollkommen ausreichend. Als Partei der Rechtsstaatlichkeit fordert die AfD die konsequente Einhaltung bestehenden Rechts. Grenzsicherung muss im Rahmen der bestehenden Gesetze und streng nach dem Gebot der Verhältnismäßigkeit erfolgen.

Bestehendes Recht? Also das Recht, das Schusswaffengebrauch gegenüber Flüchtlingen nur zum Zwecke der Grenzübertrittverhinderung eben nicht deckt? Das ist unzweifelhaft etwas anderes als das, was Petry gegenüber dem Mannheimer Morgen – ohne jede weitere Qualifizierung auf besondere, theoretisch denkbare Ausnahmefälle hin – äußerte. Man kann also von einer Korrektur, vielleicht auch von einem maximalverschwurbelten Zurückrudern sprechen.

Persönliches Fazit

Unabhängig davon, dass ich Teile der politischen Reaktionen auf das ursprüngliche Petry-Interview als in der Sache daneben (weil gar nicht gesagt) betrachte: dass bei der AfD noch tagelang irgendwie im Spiel gehalten wird, dass auf Flüchtlinge, die die Grenze übertreten würden, von der Bundespolizei grundsätzlich geschossen werden dürfe, ist ein diametraler Widerspruch zu der Behauptung, „Partei der Rechtstaatlichkeit“ zu sein. Denn als solche müsste ihr Spitzenpersonal korrekt mit Gesetzestexten, Leitsätzen und wenigstens ein bisschen dem über jedem staatlichen Handeln schwebenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz hantieren können. Aber auch bei der „Alternative für Deutschland“ gilt wohl, was für die anderen Parteien gilt: ihr Spitzenpersonal macht niemals Fehler… Zumindest waren auch hier für Frauke Petry und Beatrix von Storch irgendwie“die anderen“ schuld.

Doch das scheint nur wenige ihrer Anhänger zu interessieren: einige der Kommentatoren mit klarer AfD-Unterstützung machten sich nicht einmal die Mühe, zu lesen, welcher Art die Kritik war, die ich an ihren Äußerungen anbrachte, unterstellte mir Dinge geschrieben zu haben, die ich nicht schrieb. Frei nach dem Motto: bei der Lügenpresse kann ich mich auch als Lügenbürger betätigen…

Wie mit der AfD umgehen – das fragten und fragen sich nach wie vor Medien, Parteien und Bürger. Nicht ganz überraschend, immerhin hat sie seit ihrer Gründung ja bereits einen bemerkenswerten Werdegang zu verzeichnen: von der biederen „Professorenpartei“ um Bernd Lucke erst zu“eurokritisch“, dann „EU-kritisch“, dann „asylkritisch“ und inzwischen von manchen als „allgemein systemkritisch“ verstanden wird. Jeder dieser Schritte war, so scheinen es die Sympathisanten der Partei zu sehen, Teil einer Art Notwehrbewegung gegenüber einem herrschenden Apparat, in dem Medien, Politik, auch schon mal „das Großkapital“ aber sicherlich ausländische (anscheinend stehen meist westliche im Verdacht) Mächte den AfD-Sympathisanten (die sich oft als „Deutschland“ oder „die Deutschen“ bzw. als Vertreter einer schweigenden Mehrheit verstehen) etwas wegnehmen, Schaden zufügen oder aber zumindest sie so manipulieren bzw. unterjochen wollten, dass sie bedeutunglos, überfremdet, islamisiert, fremdbestimmt würden. Das ging auch eindeutig aus vielen der Kommentare zum „Schusswaffengebrauch“ hervor.

Es geht also nicht zuletzt um Angst, unabhängig davon, ob man diese für berechtigt hält oder eben nicht. Angst ist ein individuelles Gefühl und diese einfach als falsch und unberechtigt abzutun, das ist nicht möglich, egal wie irrational sie sein mag. Ein Beispiel, dass mir vor einigen Wochen begegnete, war die Angst um die sportliche Betätigung der Kinder, wenn für Flüchtlingsunterbringung Turnhallen belegt würden. Kann denn tatsächlich der Indoor-Schulsport wichtiger sein, denn ein Dach über dem Kopf für Menschen? Oder handelt es sich nicht viel mehr ein Einkleiden eines schlichten „Ich will die hier nicht“ in eine vorgeschobene Sorge? Die sich auch nicht von striktem Sachlagenjournalismus entkräften ließe?

Im Rahmen solcher Ängste sind zum einen die Äußerungen von Frauke Petry und Beatrix von Storch zu sehen. Zudem erzeugt diese Volksnotwehr-Terminologie der AfD ihrerseits Ängste: die Angst, dass mit ihr der Gewalt das Wort geredet wird. Einige Beobachter halten die Äußerungen und Verhaltensweisen der AfD-Spitzen für eine – aus deren Sicht – sehr geschickte Strategie: ein zweideutiges Spiel mit kalkulierter, verbaler Grenzüberschreitung, darauf angelegt, dass sie für bare Münze genommen würde – gefolgt von Relativierung und dem Vorwurf der Fehlinterpretation an andere. Wäre es so, fiele diese Strategie zweifelsohne besonders leicht, wenn es sich Vertreter anderer Parteien, aber auch Medien-Kollegen, sehr einfach machen und Dinge vorwerfen, die eben (vielleicht berechnenderweise, vielleicht auch nicht) so nicht gesagt wurden.

Im Kern scheint mir der Aufstieg der AfD und auch der von Pegida (das Bild oben zeigt eine der ersten Pegida-Demonstrationen im November 2014) jedoch vor allem damit verbunden, dass ‚die Etablierten‘ sehr lange nicht mit stringenten Aussagen zu angestrebten Lösungen als Aktion, sondern vor allem mit rein verbalen Reaktionen auf externe Ereignisse aufgefallen sind. Dass von Politik zumindest Lösungsversuche erwartet werden, ist berechtigt. Und die tröpfeln jetzt so langsam ein – von Wohnungsbauförderung über die Reorganisation der BAMF-Tätigkeiten, Aufstockungen des Personals auch an anderen Stellen, der Versuch, bereits in den Krisenregionen Perspektiven für die Menschen zu schaffen. Doch solange diese Politik nicht klar sichtbare Erfolge aufweisen kann, so lange werden diejenigen, die vor allem nicht von den Problemen der anderen Menschen berührt sein möchten und für sich selbst Perspektiven und Prosperität einfordern, der AfD folgen – auch wenn diese ihren eigenen, behaupteten Ansprüchen vielleicht nicht besser gerecht wird, als es die anderen politischen Parteien tun.

Kommentare zu diesem Beitrag (4)

  1. Bernd Derksen | 5. Februar 2016, 23:59 Uhr

    Glaubwürdigkeit einseitig wirkender Kritik

    Schon bemerkenswert, welche Aufmerksamkeit von Seiten politischer Kontrahenten und vieler Medien aktuell der AfD und einzelnen Aussagen gewidmet wird. Sicher die Folge der bemerkenswerten Umfragewerte für diese Partei.

    Tatsächlich, eine Politikerin irrt sich. Welch unglaublicher Vorgang. 😉
    (Es soll sogar eine Bundestagsvizepräsidentin geben, die mal vehement öffentlich bestritt, was so in einem Grundrechtsartikel steht. Übrigens ohne dass derlei dem DLF irgendein Wort der Kritik oder nur Thematisierung wert gewesen wäre.)

    Sicher drückt Ihr Text eine intensive Beschäftigung mit der Thematik aus und enthält einiges an Wahrheiten:
    Z.B.:
    „Im Kern scheint mir der Aufstieg der AfD und auch der von Pegida (…) jedoch vor allem damit verbunden, dass ‚die Etablierten‘ sehr lange nicht mit stringenten Aussagen zu angestrebten Lösungen als Aktion, sondern vor allem mit rein verbalen Reaktionen auf externe Ereignisse aufgefallen sind. Dass von Politik zumindest Lösungsversuche erwartet werden, ist berechtigt. „

  2. Bernd Derksen | 6. Februar 2016, 0:00 Uhr

    (Fortsetzung)
    Aber: So kann vielleicht ein Pressesprecher der Regierung das eigene vorherige Versagen übertünchen wollen. Aber kritischer und unabhängiger Journalismus hätte doch viel früher deutliche Worte am „Staatsversagen“ (H.-J. Papier) äußern müssen.
    Oder war diese praktizierte offenkundige Willfähigkeit etwa Ausdruck von so verstandener „Professionalität“. Das wäre doch arg armselig.

    Stattdessen reiht sich der DLF, und auch Sie selbst, Herr Steiner, offenbar in eine als verzweifelte Kurzschluss-Strategie im Landeswahlkampf-Endspurt durchschaubare Anti-AfD-„Kampagne“ ein.
    D.h. die Kritik an den Kritikern steht für Sie im Mittelpunkt Ihres Interesses. Bzw. dessen was Sie augenscheinlich als Ihre „Verantwortung“ ansehen.
    Mindestens aber Ihrer Beschäftigung hier im Blog.

    Mir scheint, Sie nehmen nicht ernst, welch unglaublicher (und nach meiner Einschätzung vermutlich nie mehr gutzumachender) Vertrauensverlust ein darauf angewiesener Sender wie der DLF bei politisch Interessierten wie mir durch seine bei manchen Themen sehr auffällige Unwillig- oder -fähigkeit zur kritisch-distanzierten Begleitung der Politik erlitten hat.
    Die „übliche“ Priorität scheint auf einem beinahe als Auftragsarbeiten für etablierte Parteien einzuschätzenden „Berichten“ zu liegen.
    (Das mögen Sie sicher anders sehen. Aber meine Meinung ist halt immer nur meine, incl. aller Irrtümer, Fehleinschätzungen, Ungerechtigkeiten, etc..)

  3. Bernd Derksen | 6. Februar 2016, 0:03 Uhr

    (Fortsetzung 2)
    Mir scheint, Sie nehmen nicht ernst, welch unglaublicher (und nach meiner Einschätzung vermutlich nie mehr gutzumachender) Vertrauensverlust ein darauf angewiesener Sender wie der DLF bei politisch Interessierten wie mir durch seine bei manchen Themen sehr auffällige Unwillig- oder -fähigkeit zur kritisch-distanzierten Begleitung der Politik erlitten hat.
    Die „übliche“ Priorität scheint auf einem beinahe als Auftragsarbeiten für etablierte Parteien einzuschätzenden „Berichten“ zu liegen.
    (Das mögen Sie sicher anders sehen. Aber meine Meinung ist halt immer nur meine, incl. aller Irrtümer, Fehleinschätzungen, Ungerechtigkeiten, etc..)

    Natürlich kann, darf und muss man sich sehr kritisch mit der AfD, deren Aussagen und Inhalten beschäftigen.
    Das Problem ist nur: Es bleibt solange unglaubwürdig und tendenziös-manipulativ, solange nicht in vergleichbarer Weise eine Auseinandersetzung mit deren etablierter Konkurrenz stattfindet.

    Was mir auch auffiel: Kaum einmal haben Sie, Herr Steiner, sich bei dem Reagieren auf die Leserkommentare zum vorherigen Blogartikel wirklich tiefergehend mit geäußerter Kritik und Gegenargumenten, auseinandergesetzt. Es schien mir eher ein von einem gewissen Überlegenheitsgefühl geprägtes „Ertragen“ der Widerspruchsaspekte.

    Ich finde, dass Sie es sich damit zu leicht machen.
    So wie auch der DLF als Organisation. Da kündigt man auf einer Konferenz einen Nachrichtenblog zum Rechtfertigen der praktizierten Nachrichtenauswahl zum Jahresbeginn an. Und verschiebt dessen Start dann auf unbestimmte Zeit.

  4. Bernd Derksen | 7. Februar 2016, 7:46 Uhr

    Die Skandalisierung des Selbstverständlichen

    Könnte der Aufstieg der AFD nicht auch etwas mit dem Vertrauensverlust vermeintlich „seriöser“ Medien zu tun haben?

    Hier die Meinung eines DLF-Kollegen:
    http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/die_skandalisierung_des_selbstverstaendlichen