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Gudula Geuther / Foto: Bettina Straub
13.06.2016

Kommentar: So geht man nicht mit Strafrecht um

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Ein Kommentar

im Deutschlandfunk

Egal wie er abgelaufen ist – hinter dem „Fall Gina Lisa“ stehen schlimme Erfahrungen – spätestens seit die mögliche oder angebliche Vergewaltigung der jungen Frau von jedermann im Internet zu verfolgen war, samt ihrer Bitte, aufzuhören. Für diese Zurschaustellung haben die Täter ihre Strafe bereits bekommen. Statt einer Vergewaltigung aber steht nun falsche Verdächtigung im Raum – und zwar durch die Frau. Und der massenhaften Empörung und Solidarisierung im Internet schloss sich heute Familienministerin Manuela Schwesig an: Auf die Frage nach dem konkreten Fall antwortete sie mit der schon älteren Forderung nach einer Verschärfung des Sexualstrafrechts. Das Problem: Darum geht es im Fall Gina Lisa gar nicht. Da geht es nicht um Recht, sondern um die Frage, was eigentlich passiert ist. Die Staatsanwaltschaft geht – offenbar auf der Grundlage von mehr Filmsequenzen als im Internet standen – von einvernehmlichen Sex aus. Das wäre nach keiner im Raum stehenden Verschärfungsvariante strafbar. Wie es war, sollen Gerichte entscheiden. In der Politik wird ein – so oder so – widerwärtiges Geschehen instrumentalisiert. Die Politik allerdings setzt sich bei der Reform des Sexualstrafrechts ohnehin in das denkbar schlechteste Licht. Da wird nicht nur gedrängt, da wird auch getrickst. Es steht außer Frage: Das Sexualstrafrecht weist echte Schutzlücken auf. Politiker quer durch die Fraktionen aber stellen geschätzte hohe Dunkelziffern von nicht angezeigten strafwürdigen Taten als Faktum hin. Es gibt teilweise eine ungeheuerliche Rechtsprechung, was ein Opfer alles tun muss, um klar zu machen, dass sie – oder auch er – keinen Sex will – aber weithin wird in der Diskussion der Eindruck erweckt, solche Rechtsprechung sei an der Tagesordnung, und das stimmt nicht. Solche Übertreibungen zielen auf die rechtspolitische Diskussion. Tatsächlich dürften die Folgen auch im realen Leben eintreten: Wenn Opfer sich erst recht nicht mehr trauen, Taten anzuzeigen.

 

Was Viele mit einer solchen Argumentation erreichen wollen, ist nicht einfach eine Verschärfung – die hatte der Justizminister vorgeschlagen und die geht den meisten nicht weit genug – es ist ein Systemwechsel im Sexualstrafrecht. Es soll nicht mehr geschützt sein, wer in einer typischen Gefährdungssituation dem Täter ausgeliefert ist. Stattdessen soll allgemein gelten: Merkt der Täter, dass das Opfer nicht will, soll das die Strafbarkeit begründen – auch wenn das Opfer einfach gehen könnte. Ob so ein Systemwechsel sinnvoll ist, ist umstritten. Die Frage ist komplex, es geht um unterschiedliche männliche und weibliche Signale und Verhaltensweisen auf der einen Seite, um Durchsetzbarkeit und überzogene Erwartungen, um Beweisschwierigkeiten und die Gefahr übermäßiger Verrechtlichung schwer greifbaren Verhaltens auf der anderen Seite. Das will wohl überlegt sein. Eine Kommission zur Reform des Sexualstrafrechts legt im Herbst ihre Ergebnisse vor. Dass sie nicht mehr gehört wird, steht schon heute fest. Die sich überbietende Eile grassiert seit der Kölner Silvesternacht. Am Wochenende und heute erfuhr sie durch gegenseitige Blockadevorwürfe neue, bisher ungeahnte Höhepunkte. So geht man mit Strafrecht nicht um.

 

(ar)