Berlin, Bundesregierung, Bundestag, Verteidigungspolitik
krumme Waffen / Foto: Michael Hanschke dpa
08.05.2015

Sam Hawkens Liddy, das griechische U-Boot Papanikolis und von der Leyens G36. Eine kleine Kulturgeschichte krummer Waffen

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Das G36

Das Sturmgewehr G36 wird nun wohl doch Gegenstand eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses. Angeblich trifft das Gewehr daneben, wenn man in  Gefechtssituationen lange im Dauerfeuer daraus schießt. Das wundert mich nicht. Ich erinnere mich an meinen Wehrdienst im ausgehenden kalten Krieg. In der Ausbildung am schweren Maschinengewehr wurde uns erklärt, dass der Lauf nach langem Feuer rot zu glühen beginne und ausgewechselt werden müsse. Anders als die heutigen Soldaten der Bundeswehr mussten wir das glücklicherweise nie im Ernstfall erproben. Beim G36 sind wesentliche Teile aus Kunststoff gefertigt. Mehr als über das Nachlassen der Treffgenauigkeit staune ich darüber, dass die Waffe den Soldaten nach mehreren hundert Schuss Dauerfeuer nicht einfach tropfend aus den Händen schmilzt. Vielleicht hat das Gewehr noch ganz andere, bisher unbekannte Vorzüge. Stoff für eine parlamentarische Untersuchung. Vielleicht schwimmt das Kunststoff-Gewehr auf dem Wasser, wenn die Truppe einen Fluss durchwaten muss? Doch: Wie verhält es sich mit der Treffgenauigkeit des G36 im Unterwasser-Kampf? Und wer hätte es früher wissen müssen, wenn die Waffe im submarinen Einsatz tatsächlich nur beschränkt einsatzfähig ist?

 

G36 / Foto: Bernd Weißbrod picture-alliance

G36 / Foto: Bernd Weißbrod picture-alliance

 

U 214 „Papanikolis“

Unterwasserwaffen sind bekanntlich eine Spezialität der deutschen Rüstungsindustrie. Aber auch da hat es in der Vergangenheit Probleme gegeben. Zum Beispiel das krumme U-Boot U 214 „Papanikolis“. Eigentlich würde ich die Geschichte hier nicht erzählen, weil die Bundeskanzlerin sie in einer kleinen Runde auf dem Rückflug von einer Auslandsreise zum Besten gab. Aber der „Spiegel“ konnte es nicht lassen und hat die Vertraulichkeit des Hintergrundgesprächs („unter drei“) schon kurz danach gebrochen. Auch in der BILD-Zeitung sowie einer Merkel-Biografie wurde sie als komische Anekdote ausgebreitet. Seitdem ist die Szene in der Welt. Es geht darum, dass Merkel – dicht gedrängt mit ein paar Journalisten in der Besprechungs-Lounge des Regierungs-Airbus sitzend – von einer früheren Griechenlandreise (vor der Zuspitzung der Finanzkrise) erzählte. Kaum hatte sie begonnen, erlag die Kanzlerin einem Lachanfall. Es sei damals in Athen um das „krumme U-Boot“ gegangen, kicherte Merkel und konnte sich nicht mehr gegen den unaufhaltsam anschwellenden Lachkrampf wehren. Immer wieder musste sie ihre Erzählung unterbrechen, um sich die Tränen aus den Augen zu wischen. So erlebt man die Bundeskanzlerin nicht alle Tage. In der Sache ging es darum, dass eine Deutsche Werft den Griechen ein U-Boot verkauft hatte. Griechenland aber wollte nicht bezahlten, weil man bei Messungen festgestellt habe, „dass das U-Boot krumm“ sei. Es kam zu jahrelangen diplomatischen Verwicklungen. Die Geschichte ist übrigens in Wahrheit alles andere als komisch. Bei dem Waffendeal sind angeblich Bestechungsgelder in Millionenhöhe geflossen. Staatsanwaltschaften haben ermittelt. Und den Griechen ist das Lachen über ihre irrsinnigen Rüstungsausgaben, an denen deutsche Unternehmen blendend verdient haben, genauso vergangen, wie der Bundesregierung die Freude über das leichte aber daneben schießende  Kunststoffgewehr G36.

 

Deutsches U-34 / Foto: Carsten Rehder/dpa

Deutsches U-34 / Foto: Carsten Rehder/dpa

 

Liddy

Die Mutter aller krummen Schusswaffen ist übrigens Liddy, die Flinte von Sam („Wenn ich mich nicht irre, hihihi“) Hawkens. Karl Mays Ich-Erzähler Karl, der später als Old Shatterhand in die Geschichte eingeht, beschreibt Liddy bei der ersten Begegnung mit Hawkens in Winnetou I als Waffe, „die einem Prügel viel ähnlicher war als einem Gewehre“ und die er deswegen „wohl nur mit der äußerten Vorsicht angefasst hätte“. Für die Nutzer des heutigen G36 erhellend ist die Geschichte vom Wettschießen, die Karl May im „Ölprinz“ erzählt: In der alten Mission San Xavier del Bac auf dem Weg von Tucson nach El Paso del Norte wird Sam Hawkens von dem Raufbold Buttler zu einem Wettschießen aufgefordert. Es geht darum,  ein handgroßes Papier zu treffen, das auf 200 Schritt Entfernung an die Wand einer Holzhütte genagelt wird.  Unter dem Gejohle der Umstehenden verfehlt Hawkens das Ziel mehrfach und durchlöchert ein zehn Fuß neben der Hütte stehendes Branntweinfass. Übermütig schraubt sein Gegner den Einsatz in die Höhe. Als schließlich auch die Distanz noch einmal erhöht und um eine Goldmünze gewettet wird, zielt Hawkens zur voreiligen Schadenfreude der Zuschauer weit neben die Hütte – und trifft doch genau in die Mitte des kleinen Papiers. Die Lehre für die kämpfende Truppe: lenken Sie das Dauerfeuer aus ihrem G36 auf die Moschee am Rande des Dorfes, wenn ihnen ein wütender Taleb gegenübersteht. Aber Vorsicht, wenn der Zauselbart seine Waffe direkt auf Sie richtet: die Kalaschnikow trifft zuverlässig und geradeaus, wie wir aus Jahrzehnte langer und leidvoller Erfahrung wissen.

 

Sam Hawkens / Foto: Elspe Festival dpa

Sam Hawkens und Liddy / Foto: Elspe Festival dpa