Berlin, Bundespräsident, Bundesregierung, Innenpolitik, Kommentare, Wahlen und Wahlkampf
Frank Capellan am Arbeitsplatz im HSS / Foto: Ansgar Rossi Deutschlandradio
05.06.2016

Kommentar: Die SPD startet in den Wahlkampf, das Ringen um die Gauck-Nachfolge beschleunigt dies noch mehr

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Ein Kommentar

im Deutschlandfunk

Schwierige Zeiten in Berlin, nicht nur, aber ganz besonders für die Sozialdemokraten. Nach katastrophalen Umfragewerten kommt für die Genossen jetzt wohl noch zu allem Überfluss ein Kandidatenproblem hinzu. Nicht das der K-Frage, deren Beantwortung ohnehin fast zwangsläufig auf den Chef, auf Sigmar Gabriel hinausläuft, nein es stellt sich die B-Frage. Welchen Bundespräsidentenkandidaten wollen die Sozialdemokraten ins Rennen schicken, wenn Joachim Gauck, wie allgemein erwartet wird, vielleicht schon morgen erklären wird, dass er trotz enormer Beliebtheitswerte nicht mehr für eine zweite Amtszeit zur Verfügung steht? Die Bestimmung seines Nachfolgers ist wenige Monate vor der Bundestagswahl von besonderer Brisanz, solche Präsidentenfindungen waren immer wieder auch ein Zeichen dafür, wohin die Reise in der Regierung gehen könnte. Kein Wunder, dass Sigmar Gabriel nun schon aus den eigenen Reihen gedrängt wird, sich für einen gemeinsamen Kandidaten von SPD, Grünen und Linken stark zu machen. Im dritten Wahlgang könnte ein solcher nämlich Chancen haben. Auf jeden Fall wäre er ein Zeichen dafür, dass man der Union nicht weiter bedingungslos folgt, ein Zeichen auch dafür, dass ein Linksbündnis auf Bundesebene doch noch nicht ausgeträumt ist. Und der Linkspartei könnten die Sozialdemokraten mit einer entsprechenden Nominierung einiges abverlangen. Die Linken in der SPD würde es freuen, die Rechten hingegen machen sich heute wieder für Frank-Walter Steinmeier stark, der Außenminister ist beliebt in der Bevölkerung, und zweifelsohne präsidiabel. Allein das Parteibuch wird ihm einen solchen Höhepunkt seiner Karriere am Ende vermasseln. Steinmeier steht für Große Koalition wie kein anderer – solche Signale aber wollen vor allem die Christsozialen nicht senden, Horst Seehofer sieht bei den Nachbarn in Österreich ganz deutlich, wohin die Groko-Verdrossenheit führen kann. Ein Konservativer soll es sein, einer der auch den Unionsstreit entschärfen könnte, mal wieder ein Stück Verbundenheit bring.  Wolfgang Schäuble wird einmal mehr genannt, der aber hat sich gerade mit Seehofer angelegt, scheidet damit aus. Eine über den Parteien stehende Frau hat wohl derzeit die besten Aussichten. Joachim Gauck war von der SPD 2010 als ein überparteilicher Kandidat unterstützt worden als die Union noch auf CDU-Mann Christian Wulff beharrte. Eigentlich müsste Sigmar Gabriel bei dieser Linie bleiben, zuzutrauen ist dem Bauchpolitiker aber durchaus, dass er es anders versucht und sich doch noch von der Notwendigkeit eines Links-Kandidaten überzeugen lässt. An allen Ecken und Enden versucht er schließlich gerade, sich mit der Union anzulegen, sich von ihr abzusetzen. ´Der Streit der Schwesterparteien legt das Land lahm, macht das Regieren immer schwerer, Angela Merkel muss wieder ihrer staatspolitischen Verantwortung gerecht werden, die endlose Kontroverse zwischen CDU und CSU spielt der AfD in die Hände´ – auf dem Konvent, dem kleinen Parteitag, hat der SPD-Vorsitzende mit solchen Argumenten eine erste Wahlkampfrede gehalten. Eine gute obendrein, Gabriel legt den Finger in die richtige Wunde. Programmatisch steht der SPD-Vorsitzende ohnehin vor einer kaum lösbaren Herausforderung. Seine SPD müsse als linke Volkspartei die politische Mitte nach links rücken hat er auf dem Parteikonvent unter großem Beifall gefordert und dann zugleich davor gewarnt, den Wettstreit über soziale Gerechtigkeit in Deutschland mit altbekannten Umverteilungsstrategien zu führen. An Spitzensteuersatz oder Vermögenssteuer traut er sich schon lange nicht mehr ran, allzu weit soll Gabriels Mitte also dann doch nicht nach links verschoben werden. Eines ist heute allerdings klar geworden: Allzu viel sollten wir von dieser Großen Koalition nicht mehr erwarten – die Lohngleichheit von Mann und Frau etwa, als Ziel im Koalitionsvertrag verankert, dürfte wohl ein frommer Wunsch bleiben. Unverkennbar werden die Weichen allerorten auf Wahlkampf gestellt, die Suche nach einem Gauck-Nachfolger könnte dies noch einmal beschleunigen. Die Zeiten in Berlin sind an diesem Wochenende noch einmal schwieriger geworden.

(ar)