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Gudula Geuther im Hauptstadtstudio von Deutschlandradio / Foto: Bettina Straub
10.06.2016

Kommentar: Sichere Herkunftsstaaten

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Ein Kommentar

im Deutschlandfunk

Natürlich geht es um Symbole, und das nicht zu knapp. Spätestens seit der Kölner Silvesternacht fällen Viele pauschale Urteile über die jungen Männer aus dem Maghreb – auch solche, die an sich offen sind für Flüchtlinge. In der Kriminalstatistik fällt diese Gruppe tatsächlich unangenehm auf. Und die Anerkennungsquote als Flüchtling ist bei Antragstellern aus Tunesien, Algerien und Marokko gering. Kein Wunder, dass die Koalition, vor allem die Union, Handlungsfähigkeit beweisen will. Nur: Die Einstufung als sichere Herkunftsstaaten ist dafür das falsche Mittel. Weil sie nicht auf diese Länder passt und weil sie das Problem nicht löst. Sie passt nicht aus einem einfachen Grund: Alle drei Länder sind nicht sicher, auch nicht nach den Maßstäben des deutschen Asylrechts – das unterscheidet sie von den Balkanstaaten.

Bundesinnenminister Thomas de Maiziere zählte im Bundestag selbst einen Teil der Gründe auf: Wer in Algerien eine Minderjährige vergewaltigt geht straffrei aus, wenn er das Opfer heiratet. In Marokko wird verfolgt, wer den Anspruch des Staates auf die Westsahara kritisiert. In Tunesien und nicht nur da wird praktizierte Homosexualität bestraft. Handelte es sich um systematische oder strukturelle Verfolgung, wäre die Einstufung nicht möglich. Angesichts der vorgetragenen abstrakten Regelungen ist kaum zu begründen, warum es nicht um Struktur und Systematik geht. Teilweise stehen außerdem Foltervorwürfe im Raum. Auch die Bundesregierung betont deshalb, es werde weiterhin individuell geprüft. Das ist zwar richtig – wie bei allen sicheren Herkunftsstaaten. Als rettendes Argument passt es aber nicht. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Leit-Entscheidung 1996 klargemacht, dass geringe Anerkennungsquoten nur ein Indiz sein dürfen. Die Einstufung löst außerdem das Problem nicht, weil sie häufig nicht dazu führen wird, dass die Leute das Land verlassen. Dafür müsste die Abschiebung praktisch funktionieren. Und auch, wenn das Innenministerium daran arbeitet – hier liegt nach wie vor das Hauptproblem. Und die Einstufung passt nicht recht, weil viele dieser jungen Männer gar kein Asyl beantragen – wohl wissend, dass sie kaum Chancen haben. Dann aber hilft auch die Verfahrensbeschleunigung nicht.

Trotz alledem: Es geht bei der Einstufung nicht nur um Symbole. Sie hat handfeste Folgen. Deswegen ist es richtig, wenn die Grünen in den Ländern mehr zögern als zuvor. Wer aus einem sicheren Herkunftsstaat kommt, wird anders behandelt als andere Asylbewerber. Zum Teil werden ihm Maßnahmen zur Förderung versagt, die das Integrationsgesetz vorsieht. Das muss man nicht gut finden, aber es ist zumindest folgerichtig. Andere Maßnahmen aber konterkarieren den Flüchtlingsschutz. Die Betroffenen können seit dem Asylpaket II in besonderen Einrichtungen untergebracht werden. Juristen, nicht nur Fachanwälte, gehen davon aus, dass bei den dort stattfindenden Schnellverfahren oft Rechtsschutz praktisch nicht stattfinden kann – anders übrigens als im Flughafenverfahren. Die mit der Einstufung immer schon einhergehende Verkürzung der Rechtsmittelfrist passt ohnehin nicht auf Länder, in denen anerkanntermaßen verfolgt wird. Da muss richtig hingeschaut werden. Es wird derzeit spekuliert, ob die Grünen mit einem Nein im Bundestag ihr Profil schärfen wollen. Umgekehrt wird ein Schuh draus: Mit einem Ja würden sie sich unglaubwürdig machen.

(tb)