Berlin, Brüssel, EU-Kommission, Wirtschaftspolitik
Frachtschiff im Hafen von Rotterdam ©European Union 2011 EP/PE
Frachtschiff im Hafen von Rotterdam ©European Union 2011 EP/PE
24.10.2016

Kommentar: Das CETA-Problem heißt Demokratie

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Auch die letzte Frist vor dem geplanten EU-Kanada-Gipfel ist verstrichen. Und die Wallonie bleibt weiter bei ihrem Nein zum Freihandelsabkommen CETA. Wer aber nun die Wallonen für ihre Blockade kritisiert, hat Demokratie nicht verstanden, meint Thomas Otto.

Der Fehler begann schon vor den eigentlichen Verhandlungen. Im April 2009 einigten sich die für Handel zuständigen Minister im Rat der Europäischen Union auf ein Verhandlungsmandat für die EU-Kommission. Darin ist genau festgeschrieben, worüber verhandelt werden soll, also welche Bereiche in das Abkommen aufgenommen werden sollen. Lange Zeit war dieses Papier geheim. Erst im Dezember 2015 wurde es veröffentlicht. Warum, das ist nur schwer nachzuvollziehen. Schließlich sind im Mandat keine verhandlungsrelevanten Geheimnisse zu finden, die die Position der EU bei einer Veröffentlichung geschwächt hätten.

Von 2009 bis 2014 arbeiteten die Experten von EU-Kommission und kanadischer Regierung an CETA. Die Verhandlungen fanden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Erst im September 2014, als alle Verhandlungen bereits abgeschlossen waren, erfuhren die Europäer offiziell von den konkreten Inhalten des geplanten Abkommens (nicht ohne dass zuvor schon Inhalte geleaked worden waren).

Friss oder stirb!

Und nun, wo CETA fertig verhandelt ist und Bedenken höchstens mit Zusatzerklärungen entgegengetreten werden kann, nun sollen alle am demokratischen Ratifizierungsprozess Beteiligten artig zustimmen? Schließlich würde sich die EU ja international unglaubwürdig machen, wenn nun ein kleines Regionalparlament so ein großes und lange verhandeltes Abkommen zu Fall bringt. Und schließlich habe die öffentliche Kritik ja auch viel Gutes bewirkt und dafür gesorgt, dass wir nun das beste Freihandelsabkommen aller Zeiten hätten – so die CETA-Befürworter.

Nein, so funktioniert Demokratie leider nicht. Schon bei dem gescheiterten Handelsabkommen ACTA, das 2012 mit großer Mehrheit vom EU-Parlament abgelehnt worden war, hatte sich das gezeigt. Das Grundproblem kann man schon beim EU-Parlament viel zu oft beobachten: Da erarbeiten die Brüsseler Institutionen in ihrem komplexen Beziehungsgeflecht in monate- und nicht selten jahrelanger Arbeit neue Gesetzgebung. Und am Ende sind es eine handvoll Vertreter von Parlament, Rat und Kommission, die in den sogenannten Trilogverhandlungen hinter verschlossenen Türen die eigentlichen Kompromisse festlegen. Das Parlament muss dem am Ende zwar zustimmen. Viel zu oft schlucken die Parlamentarier aber dicke Kröten, weil sie nur noch sagen können: Ja oder Nein. Entweder ein halbgares Gesetz mit vielen faulen Kompromissen als gar keines.

Genau so ist es bei CETA. Nachdem die EU-Kommission offiziell festgestellt hat, dass CETA auch die Kompetenzen der Mitgliedsstaaten betrifft, müssen die nun alle einstimmig einer Unterzeichnung zustimmen (und im Fall Belgiens auch die Regionalparlamente). Und dabei bleibt nur die Wahl zwischen Zustimmung oder Ablehnung – welche mit der gerade zu beobachtenden Kritik einhergeht. Dabei spielt es gar keine Rolle, ob ein Parlament das Abkommen aufgrund einer schon lange Zeit geäußerten Kritik ablehnt. Selbst wenn das wallonische Parlament geschlossen vom ersten CETA-Verhandlungstag an (ohne das Mandat zu kennen) bestimmte Rote Linien aufgestellt und deren Einhaltung gefordert hätte: Es wäre nun in der gleichen Schwarzer-Peter-Situation. Wenn von vorn herein die Wahl zwischen Zustimmung („Was sonst?“) und Ablehnung („stellt die Handlungsfähigkeit der EU infrage“) besteht, braucht man gar nicht erst abzustimmen.

Eine neue Kultur des Verhandelns

Damit so etwas nicht wieder passiert, müssen zukünftige Abkommen anders verhandelt werden. Von vorn herein muss es eine offene Debatte über das Verhandlungsmandat geben. Möglichst viele gesellschaftliche Gruppen müssen bei der Frage einbezogen werden: Worüber soll überhaupt verhandelt werden? Auf Basis dieses Mandats müssen Verhandlungen dann stattfinden. Diese müssen dann aber auch die Möglichkeit zur Korrektur bieten, so dass am Ende nicht die Frage steht: Ein Abkommen oder kein Abkommen? – sondern: Dieses Abkommen oder ein in bestimmten Bereichen verändertes Abkommen? Nur so kann verhindert werden, dass eine EU-Kommission auf Basis eines geheimen Mandats ein Abkommen aushandelt, das am Ende bei vielen Bürgern keinen Rückhalt findet und mit zweifelhafter demokratischer Legitimation verabschiedet wird.

Natürlich ist auch die bisherige Vorgehensweise demokratisch legitimiert: Von demokratisch gewählten Regierungen entsandte Minister legen ein Verhandlungsmandat fest, auf dessen Grundlage ein Abkommen erarbeitet wird, das wiederum von demokratisch gewählten Volksvertretern in Brüssel und den Hauptstädten abgesegnet wird. Offensichtlich muss es aber in diesen Legitimationsketten ein sehr schwaches Glied geben. Wie sonst ist zu erklären, dass sich so viele Bürger nicht mit CETA oder TTIP identifizieren können?

Zugegeben, so ein Verfahren wäre deutlich aufwändiger und vielleicht noch langwieriger, als das Bisherige. Immerhin geht es darum, dass sich die Vertreter von über 500 Mio EU-Bürgern einigen. Und es müsste derart gestaltet sein, dass die EU nicht am Ende völlig handlungsunfähig da stünde aufgrund einer Kakophonie unterschiedlichster Vorstellungen. Es würde aber den gesamten Entstehungsprozess eines Abkommens demokratisch stärken, was sich wiederum positiv auf die Unterstützung des Verhandlungsergebnisses auswirken würde. Niemand könnte dann mehr sagen, dass seine Bedenken nicht einbezogen oder zumindest angehört wurden. Die jetzige Praxis des „wir reagieren nur, wenn die Kritik zu groß wird“ hingegen ist unglaubwürdig und schadet dem Ansehen der EU bei ihren Bürgern. Und das halte ich für viel wichtiger, als irgendein möglicherweise beschädigtes Ansehen der EU in der Welt.

Kommentare zu diesem Beitrag (6)

  1. Müller, Lucia | 24. Oktober 2016, 17:31 Uhr

    Ja, genauso ist es, es ist nicht in ordnung, dass wir Kritiker jetzt den Schwarzen Peter zugeschoben bekommen !

  2. Gerd Ludwig | 24. Oktober 2016, 20:18 Uhr

    Das CETA-Problem heißt Demokratie

    vielen Dank für diesen Kommentar, dem ich zustimme. Diese Geheimniskrämerei, diese Intransparenz führt ja zwangsläufig zum Misstrauen den EU-Gremien gegenüber…

  3. Gert Flegelskamp | 24. Oktober 2016, 23:06 Uhr

    Schiedsgerichte

    Schön, zu sehen, dass es wenigstens ein Blatt in Deutschland gibt, das mit nüchterner Analyse die Situation analysiert.
    Der Widerstand in der Bevölkerung und auch bei den Wallonen bezieht sich weniger bis gar nicht auf die handelsspezifischen Aspekte, sondern darauf, dass hier nicht über ein Abkommen abgestimmt wird, sondern über eine zwischenstaatliche Institution mit mehr als zweifelhaften Schiedsgerichten (auch die inzwischen installierte „Berufungsinstanz“ ist nichts weiter, als eine Beruhigungspille).
    Wer sich zuvor mit NAFTA befasst hat, kann an diesem Abkommen die realen Auswirkungen solcher Abkommen erkennen und wer ein wenig tiefer eintaucht, erkennt, dass in den USA bereits eine regelrechte Klageindustrie für Schiedsgerichtsklagen entstanden ist. CETA hätte bei Verabschiedung einen Status wie die WTO, der IWF, die Weltbank usw. und damit würde die Gerichtsbarkeit der EU-Staaten bei Investitionsklagen ausgehebelt.

  4. Wolfgang Gloede | 25. Oktober 2016, 18:18 Uhr

    Ceta - Problem

    Endlich einmal ein sachlicher und sachlich-fundierter Beitrag zu den Ursachen der gegenwärtigen Malaise. Diejenigen, und das sind nicht selten auch die Kommentare in den öffentlich-rechtlichen und den sonstigen ’staatstragenden‘ Medien, die jetzt den Vorwurf erheben, die kleine größenmäßig unbedeutende Wallonie würde mit ihrem Nein die Unglaubwürdigkeit der EU in der Welt herbeiführen, verwechseln schlicht Ursache und Wirkung. Der Unmut der Bürger in den Mitgliedsstaaten über Geheimverfahren der Verhandlung und fragwürdige Inhalte des Abkommens konnte sich erst jetzt formieren, wo die Inhalte bekannt werden. Politisch wird dieser Unmut ignoriert oder sogar lächerlich gemacht. Erst die ‚kleine Wallonie ‚ war aufgrund der rechtlichen Zusammenhänge in Belgien in der Lage, dem Unmut ein politisch erhebliches Gewicht zu geben. Auch an diesem Beispiel zeigt sich die gegenwärtige Krise der EU, die Wallonie ist nicht der Auslöser der Krise, sondern deren Indikator. Gleichermaßen ist das im Brexit zum Ausdruck gekommene Unbehagen der Briten mit der EU nicht die Ursache der Krise, sondern nur Ausdruck des Scheiterns der EU in wichtigen die 500 Mill. Bürger der EU betreffenden Fragen. Bezeichnend, dass die EU den Wallonen nicht Zeit zum Bedenken einräumt, sondern in pausenlosen Verhandlungen Belgien und die Wallonen ‚zu über reden‘ versucht.

  5. Jo Reis | 25. Oktober 2016, 19:54 Uhr

    Sie sprechen mir aus der Seele...

    Ich danke Ihnen für diesen Artikel, Sie sprechen mir aus der Seele. Überrumpelung zerstört das Vertrauen. Und schürt den Widerstand.
    Wenn ceta scheitert und das bei den hauptberuflichen ankommt hat es vielleicht ja etwas gutes. Ich bin gespannt wer über seinen Schatten springt und wer Fingerpointing betreibt….
    Ohne vertrauen in der bevölkerung wird die EU scheitern.

  6. ERWIN MARCUS | 27. Oktober 2016, 7:06 Uhr

    Ceta und Ttip

    Wenn EU-ABGEORDNETE bzw. Parlamentariwr über Verträge abstimmen sollen deren Inhalt jahrelang geheim verhandelt wurden und deren Inhalt nur im verschlossenen Kämmerlein und ohne Möglichkeiten sich dort dazu Notizen zu machen um Einwände zu formulieren zu können — dann ist das bedenklich und nicht demokratisch. Es ist jedoch leichter etwas durchzuziehen wenn man gar nicht weiss worum es wirklich geht und man nur dem VORANGESTELLREN PARTEIEMPHFELUNGEN folgen muss, ohne ernsthafter die weittragenden Folgen nachdenken zu müssen.