Brüssel, Bundesregierung, Europaparlament, Innenpolitik
Flüchtlingsboot im Mittelmeer © all rights reserved by Frontex press
Flüchtlingsboot im Mittelmeer © all rights reserved by Frontex press
22.09.2015

Die EU- ein solidarisches Friedensprojekt?

Von

Das waren noch Zeiten: Überwältigt war Martin Schulz 2012, als der Europäischen Union der Friedensnobelpreis verliehen wurde. Sie sei ein einzigartiges Projekt, das Krieg durch Frieden, Hass durch Solidarität ersetzt habe. Die Europäische Union hat sich vor fast genau drei Jahren selbst gefeiert. Zurecht? Denn diese oft zitierte europäische Solidarität bröckelt grade.

 

 

 

In den kommenden Tagen und Wochen wird sich das herausstellen. Was im Moment passiert – nämlich dass viele tausend Menschen in der EU Schutz suchen – ist eine Herausforderung, durch die sich für Deutschland, für Europa viel entscheiden wird. Wie wird dieses Land, wie wird dieser Kontinent in Zukunft aussehen? Wer wird hier leben und leben dürfen? Hat die Union ihren Friedensnobelpreis auch mit Recht verdient? Schafft es Deutschland und schafft es die Europäische Union?

Sie schafft es, wenn sie ihre viel gerühmte Solidarität nicht aufgibt – und sich nicht erst in Wochen oder Monaten zu nachhaltigen Lösungen durchringt. Dafür war auch leider erst ein harter Fall in die Realität notwendig. Zerplatzt sind zum Beispiel die schönen Seifenblasen, auf denen so etwas stand, wie vereinbarte einheitliche Standards für Aufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge. Regeln dafür gibt es nämlich, daran gehalten haben sich nicht alle. Sichtbar wird das erst jetzt.
Wenn Thomas de Maiziere im Spiegel davon spricht, er habe die Vision hat, dass sich die EU in Zukunft zu festen, großzügigen – was auch immer das bedeuten mag – Kontingenten für die Aufnahme von Flüchtlingen verpflichte – übersetzt also, die Zahl der Menschen zu begrenzen, die zu uns kommen – dann kommt einem kurz der Satz des ehemaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt in den Kopf:

„Wer Visionen hat, der soll zum Arzt gehen.“

Denn de Maizieres Vision klingt nach einem abgeschotteten Europa, eines das irgendwann zumacht, niemandem mehr Schutz gewährt. Keine schöne Vorstellung. Auch nicht, weil damit geltendes deutsches Recht ausgehöhlt werden würde. Wer über feste Kontingente, über Obergrenzen nachdenkt, der schließt auch eine Grundgesetzänderung nicht aus – ein weitreichender Eingriff also in unser wertvolles Recht auf eine individuelle Prüfung des Asylantrags.

Es ist wohl aber auch ein weiterer Versuch, noch vor dem Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs am Mittwoch dem vorzubeugen, dass die EU wieder keine Lösung findet – ein Anreiz, für die Länder, die bislang eine Verteilungsquote in der EU abgelehnt haben, ihr nun zuzustimmen, weil damit gesichert wäre, dass sie nicht über eine bestimmte Zahl an Schutzsuchenden hinaus Menschen aufnehmen müssten. Das ist traurig. Vor allem, dass eine Gemeinschaft, die auf Solidarität aufbaut, nun genau diese erzwingen muss. Auch, weil ein System scheitert, das im Kern schon nicht auf dem Gedanken der Solidarität basiert, sondern auf dem der Abschottung. Die Dublin-3-Verordnung. Sie wackelt nun endlich. Solidarität heißt aber auch, dass die Länder, die mehr im Stande sind zu leisten, das auch tun müssen. Zulange hat man zugesehen, wie in Italien hunderte Flüchtlinge ankommen und wie die Regierung teilweise überfordert damit ist.

Die EU muss sich, in Erinnerung an die eigene Geschichte, eben, wie es Martin Schulz in seinen Worten zum Friedensnobelpreis sagte, weil sie ein Projekt ist, das Krieg durch Frieden ersetzt hat, auch weiter gemeinsam für Frieden einsetzen, dort, wo die Menschen herkommen, die im Moment zahlreich Schutz in Europa suchen. Die geeigneten Mittel dafür zu finden, vor allem in der Gemengelage unterschiedlicher Interessen, das wird aber wohl leider noch eine Weile dauern. Solange brauchen die Menschen, die aus Syrien oder dem Irak fliehen Hilfe und keine Zäune und Wasserwerfer. Genauso muss Europa sich Gedanken machen, warum Menschen aus Ländern, die bereits Beitrittskandidaten sind oder auf der Liste der potenziellen stehen, dort nicht mehr leben wollen.

Deutschland kann das schaffen, Europa auch. Beides wird sich verändern, aber sicher nicht zum negativen, wenn man sich der Herausforderung annimmt – und eben immer im Hinterkopf hat, warum es die EU gibt und was durch diese Union geschaffen worden ist.