Außenpolitik, Bundesinstitutionen, Bundesregierung, Bundestag, Digitalpolitik, Sicherheitspolitik
Statement eines MdB beim NSA-Untersuchungsausschuss, umringt von Fernsehkameras und Hörfunkmikrofonen. Hier gibt es keine Antextbilder, doch auch die Wand hinter den Parlamentariern ist Teil einer Inszenierung. In der zweiten Reihe stehen die Zeitungskollegen. (c) Deutschlandradio Hauptstadtstudio/Falk Steiner
Statement eines MdB beim NSA-Untersuchungsausschuss, umringt von Fernsehkameras und Hörfunkmikrofonen. Hier gibt es keine Antextbilder, doch auch die Wand hinter den Parlamentariern ist Teil einer Inszenierung. In der zweiten Reihe stehen die Zeitungskollegen. (c) Deutschlandradio Hauptstadtstudio/Falk Steiner
04.04.2016

Interview: Nachrichtendienst unter Kontrolle?

Von

Der Bundesnachrichtendienst wurde am vergangenen Freitag offiziell 60. Der Politikwissenschaftler Stefan Heumann hat seit den Snowden-Veröffentlichungen für den Think-Tank Stiftung Neue Verantwortung über die Nachrichtendienste der westlichen Demokratien geforscht – und skizzierte in einem langen Interview, wie die Kontrolle in Deutschland künftig besser werden könnte.

Für einen Deutschlandfunk-Hintergrund, aufgrund von Programmänderung anlässlich des Todes von Hans-Dietrich Genscher erst einen Tag nach dem eigentlichen, offiziellen 60. Geburtstag des BND am 01.04.2016 ausgestrahlt, führte ich ein langes Interview mit Stefan Heumann. Weitestgehend vollständig transkribiert finden Sie das Interview hier nun zum nachlesen und nachhören.
Hinweis: Das Audio ist stark komprimiert. Dennoch ist das halbstündige Interview noch 21 Megabyte groß, falls Sie es herunterladen möchten.

Interview mit Stefan Heumann, Stiftung Neue Verantwortung: Wie sollte man den BND künftig kontrollieren?

Steiner: Herr Heumann, wir haben in den vergangenen Jahren, nach Snowden, doch einiges erleben können, was denn sozusagen die Zustände in den Nachrichtendiensten und ihre Kooperation angeht. Wenn Sie das in einem Satz zusammenfassen müssten. Wie würden Sie das tun? Es darf auch ein längerer sein.

Heumann: Ich würde vielleicht sagen: zwei Sätze. Der erste Satz ist, dass wir in den vergangenen Jahren extreme technologische Fortschritte erlebt haben, wir haben erlebt, dass die Nachrichtendienste sich diese natürlich auch zur Informationsbeschaffung zu Nutze gemacht haben. Und des Weiteren können wir natürlich sehen, dass gerade angesichts der Gefahren des internationalen Terrorismus es auch eine sehr, sehr intensive Zusammenarbeit zwischen den Diensten gibt. Gerade auch zwischen zum Beispiel dem amerikanischen Dienst, der NSA, und dem Bundesnachrichtendienst

Steiner: Wenn man diese Zusammenarbeit betrachtet, und das haben Sie ja in den vergangenen Jahren gemacht, haben die Zusammenarbeit angeschaut, haben allerdings auch verglichen, unter welchen jeweiligen Rechtsregimen die beiden Dienste respektive noch mehr Dienste arbeiten, wie würden Sie das bezeichnen, ist das eine gesetzlich geregelte Zusammenarbeit? Ist das eine Zusammenarbeit, die eher eine, sagen wir mal, Arbeits-Zusammenarbeit ist, mit den Ergebnissen der jeweiligen Arbeit, aber rechtlich noch nicht ausreichend geregelt ist – was wäre Ihr Befund da heute?

Heumann: Eigentlich wurde ja in den vergangenen Jahren ja sehr wenig, alos sagen wir mal vor Snowden, sehr wenig über die Nachrichtendienste gesprochen. Und wenn man jetzt in die Gesetze reinguckt, wo ja drinsteht, was zum Beispiel der Bundesnachrichtendienst darf, das ist geregelt, wie es sich für einen Rechtstaat gehört, im Bundesnachrichtendienst-Gesetz, dann steht dort sehr wenig drin. Natürlich darf er Informationen an Partnerdienste weitergeben. Aber viel mehr findet man auch nicht in den Vorgaben. Wenn es sich um Vorgaben handelt, die Deutsche betreffen, dann wird dazu noch eine Genehmigung der sogenannten G10-Kommission benötigt. Aber grundsätzlich steht sehr wenig in den Gesetzen zu dieser Zusammenarbeit und zu dieser Kooperation drin.

Was wir jetzt wissen, geht weniger auf Snowden zurück

Was wir jetzt gelernt haben, auch im Rahmen des Untersuchungsausschusses – man muss ja sagen, was wir jetzt über den Bundesnachrichtendienst wissen geht weniger auf Herrn Snowden zurück sondern jetzt primär auf die Debatten, die in den vergangenen zwei Jahren in Berlin geführt wurden, im Bundestag geführt wurden, vom NSA-Untersuchungsausschusses – dann sehen wir, dass nicht nur Informationen, etwa zu einzelnen Verdächtigen weitergegeben werden, sondern dass man auch gemeinsame Operationen betreibt, gemeinsam Datenströme anzapft und auch gemeinsam auswertet, das man zum Beispiel Software benutzt, amerikanische, der Bundesnachrichtendienst, oder auch der Bundesverfassungsschutz wie XKeyscore oder dass man in Bad Aibling auch ein gemeinsames Aufklärungszentrum betrieben hat.

Steiner: Wenn wir uns diese Zusammenarbeit anschauen, ist in den vergangenen zwei Jahren dann doch sehr klar herausgearbeitet worden, dass eben dort nicht immer alles nach den möglichen Buchstaben des Gesetzes zumindest, sagen wir mal, einer kritischen Auffassung, ebendieser Rechtslage standhält, sondern dass man dort von Regelverstößen ausgehen muss. Die Frage ist natürlich immer in welchem Umfang… Jetzt wird momentan überlegt, dem BND konkretere Vorgaben zu machen. Sie haben geforscht dazu, wie das so ist, international im Vergleich, eine der Geschichten, die dort eigentlich mit einfließen soll ist die Vorgabe, dass Ausspähen unter Freunden nicht mehr gehen soll. Das gilt international als eher unüblich. Können Sie beschreiben, wie das ist international, also gibt es vergleichbare Vorgaben, so Beschränkungen, dass man sagt: das darfst Du, das darfst Du nicht – und wie schaut das bei den jeweiligen Diensten aus?

Heumann: Also eigentlich ist der Bereich der internationalen Zusammenarbeit überhaupt nicht geregelt und man kann auch sagen wird auch überhaupt nicht kontrolliert. Auch in allen anderen Rechtstaaten gibt es natürlich parlamentarische Gremien, die dafür beauftragt sind, die Nachrichtendienste zu kontrollieren und sich ihre Arbeit anzuschauen, was sie tun und machen. Wenn es um die internationale Zusammenarbeit geht, kommen wir auf ein ganz heikles Terrain.

Weil die Nachrichtendienste sehr besorgt darum sind, wer ihre Daten bekommt, weil es auch etwas über ihre Methoden aussagen kann, über ihre Quellen usw., und meistens werden, wenn diese internationalen Dienste Abkommen zu Kooperationen machen, wird ausgeschlossen, das heißt 3rd Party Rule, dass Dritte Parteien dürfen diese Vorgänge nicht sehen. Und zu diesen Dritten Parteien zählt man dann auch die Kontrollgremien. Und das heißt, das ist auch im Untersuchungsausschuss deutlich geworden, dass weder das Parlamentarische Kontrollgremium noch die G10-Kommission, was die beiden Aufsichtsgremien in Deutschland sind, überhaupt informiert waren über jegliche Form dieser Zusammenarbeit.

Steiner: Und diese Regeln gelten grundsätzlich auch für NSA, CIA, GCHQ? Das heißt, da gibt’s keinen Unterschied?

Heumann: Das ist international so. Es gibt sicherlich Vorgaben, von der Exkutive, die sind aber meistens streng geheim, man spricht da von… es gibt in den USA sogenannte Executive Orders vom Präsidenten, der im Detail regelt, was die Dienste dort tun dürfen und wie sie vorzugehen haben. Und dort gibt es sicherlich auch Vorgaben zur Kooperation – die sind allerdings „Streng geheim“. Und die sind nur innerhalb der Exekutive bekannt.

Und auch in Großbritannien sind keinerlei gesetzlichen Vorgaben bekannt zur Kooperation. Und auch in anderen Ländern ist uns nicht bekannt, dass so etwas überhaupt geregelt ist. Von daher kann man sagen: International ist dieser Bereich der Zusammenarbeit, der mittlerweile einen Großteil der geheimdienstlichen Arbeit ausmacht, man spricht da ja auch von einer Arbeitsteilung, das heißt bestimmte Dienste haben bestimmte Fähigkeiten oder Zugang zu bestimmten Daten und Quellen, die sie dann in eine Kooperation einbringen können, dieser Teil ist bisher gesetzlich überhaupt nicht geregelt und wird auch nicht kontrolliert.

Steiner: Wenn wir jetzt mal speziell auf den Bundesnachrichtendienst schauen. Der BND hat eine bewegte Geschichte, innerhalb der 60 Jahre seiner Existenz und der Vorgeschichte als „Organisation Gehlen“, damals eine Ausgründung könnte man sagen der CIA.. Ist es so, dass der BND tatsächlich auf die Amerikaner angewiesen war in der Vergangenheit und es auch heute noch ist? Oder ist er ein „vollwertiger“, ein eigenständiger Nachrichtendienst?

Heumann: Also die Geschichte des Bundesnachrichtendienstes ist ja hinreichend bekannt und aufgearbeitet und natürlich kommt er aus der Zeit der Blockbildung und war eng mit den Amerikanern und den Westmächten verknüpft und ist auch gemeinsam mit ihnen aufgebaut worden. Man kann jetzt daraus schließen, was in den letzten Jahren öffentlich geworden ist, jetzt in Bezug auf die Snowden-Dokumente, und auch auf die Arbeit des Untersuchungsausschusses, dort ist es sehr deutlich geworden dass der Bundesnachrichtendienst ganz eng mit den Amerikanern kooperiert. Und viele Sicherheitspolitiker haben ja auch betont, dass der Bundesnachrichtendienst ja auch auf diese Zusammenarbeit angewiesen ist…

Wir kritisieren jetzt auch nicht grundsätzlich diese Form der Zusammenarbeit, die ist auch sinnvoll, sicherlich, im sicherheitspolitischen Interesse Deutschlands, aber es sind eben auch im Zuge des Untersuchungsausschusses, sind Fragen und Probleme aufgetreten die einer Aufarbeitung bedürfen und sicherlich auch gesetzgeberische Konsequenzen nach sich ziehen sollten.

Steiner: Jetzt reden wir an Tagen miteinander [Aufzeichnungsdatum: 24.03., kurz nach den Anschlägen von Brüssel-Zaventem und Maelbeek], an denen Europa eine ganz besondere Rolle spielt, gerade im Hinblick auf Gefahrenabwehr, auf das Erkennen von Terrorismus, auch eben unter der internationalen Gesamtlage. Wir reden auch sehr viel darüber, wie denn Polizei und Nachrichtendienste insgesamt innereuropäisch miteinander arbeiten müssten. Was ist denn Ihr Eindruck, gibt es innerhalb Europas ein ausreichendes Level an Zusammenarbeit? Wo endet das – und wo liegen da die Probleme?

Heumann: Also die Probleme liegen, wenn wir jetzt noch einmal bei den Nachrichtendiensten bleiben, die sind wirklich nach wie vor ganz stark die Domäne des Nationalstaats. Die sind nach wie vor Ausdruck von nationalstaatlicher Souveränität, der Eigenständigkeit, dass man seine eigenen Informationsquellen hat, seine eigenen nachrichtendienstlichen Auswertungen, und jeder Staat, auch innerhalb der Europäischen Union ist nach wie vor sehr darauf bedacht, diese für sich zu behalten.
Und hier findet nicht ausreichend Kooperation statt. Man kann sagen, dass die Europäische Union… hat ihre Grenzen gelockert, sich wirtschaftlich integriert aber was ihre Sicherheitspolitik angeht, dort dominiert nach wie vor der Nationalstaat.

Und man sieht jetzt eben gerade auch bei der Terrorismusgefahr, dass das massive Probleme aufwirft – man kann sagen, bei den Polizeien funktioniert das schon besser, man hat ja Europol, aber auch bei Europol wird ja jetzt im Zuge der jüngsten Anschläge in Brüssel ja auch kritisiert, dass da nicht alle Staaten in der Form teilnehmen, so wie das angedacht ist… Und hier besteht ganz großer Diskussionsbedarf. Und das haben wir in einer Zeit, in der die EU und ihre Institutionen sich in einer Krise befinden – und hier liegt sicherlich auch eine Chance, näher zueinander zu finden angesichts dieser Terrorgefahr. Und das ist dringend notwendig.

Europäischer Supergeheimdienst?

Steiner: Jetzt ist es so, dass man sicher auch mit Fug und Recht sagen kann, dass die EU eben kein Nationalstaat ist, und entsprechend dann auch die Kontrollgremien und Institutionen fehlen, damit das ganze rechtstaatlich funktionieren könnte, würde man jetzt beispielsweise einen europäischen Supergeheimdienst aufbauen. Auf der anderen Seite gibt es ja bereits so etwas wie Koordinierungsstellen, es gibt so etwas wie INTCEN, also tatsächlich beim Europäischen Auswärtigen Dienst angesiedelte Koordinierungsstellen, auch teilweise mit eigenen Erkenntnissen. Ist dieser Weg nicht eigentlich vorgezeichnet, dass man eben dann doch am Ende einen europäischen, sagen wir mal Supergeheimdienst haben muss oder zwei davon – einen für innerhalb Europas, einen für außerhalb Europas?

Heumann: Also vorgezeichnet ist, glaube ich, derzeit gar nichts. Also das ist derzeit eine der großen Fragen, ob wir uns sicherheitspolitisch uns weiter auseinanderentwickeln und wieder in nationalstaatliche Eigenbrötlerei verfallen oder ob wir uns doch nochmal stärker integrieren. Und sicherlich, die sinnvolle Antwort wäre, einen europäischen Geheimdienst zu haben, und wir haben ein europäisches Parlament, das eigentlich dann auch gestärkt werden müsste und auch in der Verantwortung wäre, diesen dann auch zu kontrollieren und wir haben auch entsprechende europäische Gerichtshöfe, die man zum Beispiel dann auch ansuchen könnte, wenn man den Verdacht hat, dass Grundrechte ungebührend missachtet worden sind.

Also die grundlegenden Instutionen haben wir. Aber wir müssten natürlich den Schritt gehen, diese auch auf der sicherheitspolitischen Ebene viel stärker auszubilden. Und das sehe ich im Moment nicht so wirklich aber da kommen wir in eine größere Debatte um die Entwicklung der EU, um die Diskussionen zum Brexit und andere Entwicklungen die wir haben, die ja im Moment eher in die Richtung gehen, Kompetenzen, die wir auf der EU-Ebene haben, zurückzunehmen. Das ist ja zum Teil auch die Position der Bundesregierung dabei, dass man viel stärker wieder auf die nationalstaatlichen Kompetenzen setzt und weniger auf Brüssel.

„Ausspähen unter Freunden“ – Interessen kennen keine Freunde

Steiner: Wie viel Sinn ergibt dann in diesem Kontext so ein Satz wie ‚Ausspähen unter Freunden, geht nicht‘?

Heumann: Dieser Satz ist ja mittlerweile schon hinreichend kommentiert worden. Ich kann mir gut vorstellen, dass man ihn im Kanzleramt inzwischen auch bereut. Ja, man sieht eben auch, dass Deutschland eben nicht anders ist als andere Länder. Und wenn es um die nationalstaatlichen Interessen geht, dann geht es um die Interessen des eigenen Landes und Interessen kennen nun einmal keine Freunde und Feinde, sondern einfach: Interessen. Und es kann auch durchaus im Interesse sein, zu wissen, was die Freunde so vorhaben, und es hat sich gezeigt, dass das auch für Deutschland gilt.

Steiner: Lassen Sie uns nochmal einen Schritt zurückgehen. Also, dieser Bundesnachrichtendienst kommt aus einer Zeit, da gab es Kupferkabel, mit einzelnen Adern, und auf dieser jeweiligen Ader lief dann ein Telefongespräch. Heute reden wir von paketvermittelter Kommunikation, reden wir davon, dass auf einer Leitung, die man Internet nennen könnte, dass dort wahnsinnig viel Kommunikation gleichzeitig stattfindet. Die Gesetze sind – zumindest das BND-Gesetz – aus einer prädigitalen oder zumindest nur teildigitalen Zeit. Die letzte Novelle des BND-Gesetzes hat ja doch einige Jahre hinter sich. Wenn Sie das heute betrachten, was hat man denn beim BND mit eben dieser damaligen Gesetzesgrundlage veranstaltet, also wie hat man sie interpretiert für das digitale Zeitalter?

Heumann: Ich glaub.. Ich würde es so sagen: Ich glaube man hat auch bei den Diensten und im Kanzleramt erkannt, dass die gesetzlichen Grundlagen nicht mehr für das digitale Zeitalter ausreichend sind. Und in einem Rechtstaat ist es so, der BND, am Ende ist er eine Bundesbehörde, und er braucht eine gesetzliche Grundlage um seine Befugnisse auszuüben. Und viel von dem, was er im Moment tut, also im BND-Gesetz steht, dass er Informationen im außen- und sicherheitspolitischen Interesse Deutschlands sammeln darf, also viel allgemeiner geht es nicht, aber dazu wendet er konkretere Maßnahmen an und nimmt zum Teil ja auch Unternehmen in die Pflicht.

Also wenn wir zum Beispiel davon sprechen, dass bestimmte Kabel angezapft werden, dann müssen zum Beispiel die Telekommunikationsunternehmen dafür die technischen Vorrichtungen liefern, deswegen müssen die dafür auch eine gesetzliche Anordnung bekommen, in Deutschland ist das eine sogenannte G10-Anordnung, und die ist zum Beispiel für so etwas gar nicht ausgelegt. Und deswegen macht man sich natürlich auch beim Bundesnachrichtendienst und im Bundeskanzleramt Gedanken darüber. Und deswegen treibt das Bundeskanzleramt auch die Reformdebatte voran.

„Das Bundeskanzleramt treibt die Reformdebatte voran“

Für viele außenstehende Betrachter ist das durchaus überraschend, man kennt ja aus dem Untersuchungsausschuss eher die Front, dass das Bundeskanzleramt sehr spärlich mit Informationen zu seinen eigenen Aktivitäten umgeht und man eigentlich nicht gedacht hätte, dass das Bundeskanzleramt eine Reform vorantreiben würde. Es liegt aber daran, dass in diesem Untersuchungsausschuss nochmal ganz deutlich gemacht wurde, dass viele Maßnahmen, die der BND ergreift, im Gesetz nicht wirklich geregelt sind. Und selbst die Bundesregierung hat sich ja im Zuge der Snowden-Verhandlung bei den Vereinten Nationen für eine Resolution eingesetzt zum Schutz der Privatsphäre.

Und in dieser Resolution steht explizit drin, dass Überwachungsmaßnahmen, Eingriffe in die Privatsphäre auf einer rechtsstaatlichen Grundlage zu beruhen haben. Diese fehlt aber nun in Teilen für Deutschland und das hat das Bundeskanzleramt erkannt und deshalb arbeitet man intensiv im Bundeskanzleramt an einer Gesetzesreform die vor allem dem Bundesnachrichtendienst die Befugnisse geben soll, die er zum Teil auch schon ausübt, wie im Untersuchungsausschuss ja schon bekannt geworden ist.

Steiner: Wenn wir von den Befugnissen für den BND sprechen, sprechen wir auch gleichzeitig immer über die Kontrolle des BND. Jetzt ist es so, dass, wenn man sich die Kontrolle anschaut des BND, in der Vergangenheit zumindest, es die Rechts-, Dienst- und Fachaufsicht im Kanzleramt gibt, über deren Qualität sicherlich zu reden ist. Dann, zum zweiten, gibt es verschiedene Teilbefugnisse.

Die G10-Kommission, sie hatten es eben erwähnt, soll kontrollieren, dass der BND bei Abgriffen bei Deutschen oder Grundrechtsträger nach Artikel 10 betreffen könnten, dass dann nur zugegriffen wird, wenn denn eine Genehmigung der G10-Kommisssion vorliegt. Dann gibt es die Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, die bestimmte Aspekte prüfen muss, beispielsweise wenn Dateien errichtet werden, dann gibt es das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, dass die Integrität und letztenendes die Zweckerfüllung von Software und Hardware beim BND prüfen soll – und darüber hinaus gibt es noch das Parlamentarische Kontrollgremium beim Deutschen Bundestag und noch ein paar andere hübsche Konstruktionen um in irgendeiner Form diesen BND zu kontrollieren. In der Gesamtschau, diese, sagen wir mal zerfaserte Kontrolle, wie viel Sinn ergibt sie?

„Kontrolle geht nicht zu Lasten von Sicherheit“

Heumann: Die zerfaserte Kontrolle, das hat sicherlich auch der Untersuchungsausschuss gezeigt, bringt ganz viele Probleme mit sich. Weil man eben nicht wirklich weiß oder eben keinen Überblick hat, was da passiert. Deswegen haben wir uns auch viel Gedanken gemacht und mit Experten gesprochen, wie eine vernünftige Kontrolle des Bundesnachrichtendienstes aussehen könnte. Und ich will es auch hier nochmal ganz klar betonen: Kontrolle geht nicht zu Lasten von Sicherheit.

Kontrolle stärkt eigentlich Sicherheit weil Kontrolle dafür sorgt, dass der BND sich rechtfertigen muss für seine Maßnahmen, dass sie hinterfragt werden nochmal, von einer außenstehenden Instanz, dass sie wirklich notwendig und verhältnismäßig sind. Und das ist angesichts der vielen Terrorbedrohungen auch dringend notwendig, dass unsere Ressourcen auch wirklich darauf konzentriert werden, was auch in unserem sicherheitspolitischen Interesse ist. Und dazu braucht es ein unabhängiges Gremium, das das leisten kann. Und aus unserer Sicht ist die G10-Kommission dafür eigentlich das geeignete Gremium. Sie ist unabhängig, nicht politisiert, in dem Sinne, wie es ein Parlamentarisches Kontrollgremium ist. Weil, dort sitzen Bundestagsabgeordnete auch mit parteipolitischen Interessen. Die färben manchmal ein wenig die Bewertung bestimmter Vorgänge.

Die G10-Kommission ist von diesem parteipolitischen Tagesgeschäft unabhängig, sie hat auch die Möglichkeit, Maßnahmen zu stoppen, wenn sie sieht, dass bestimmten Maßnahmen die gesetzlichen Grundlagen fehlen, nicht notwendig sind, dann kann Genehmigung verweigern, sorgt dafür, dass hier eine Kontrollinstanz da ist, die auch von den Diensten dann respektiert werden muss und dieses G10-Gremium sollte aus unserer Sicht mehr Kompetenzen bekommen und auch die Ressourcen bekommen, dass es eine vernünftige Prüfung der Überwachungsmaßnahmen leisten kann und dann auch überprüfen kann ob diese Maßnahmen auch im Sinne der Genehmigung durchgeführt werden. Ein weiteres Problem, das auch im Untersuchungsausschuss erwähnt wurde.

Steiner: Sie haben es erwähnt, die G10-Kommission hat ja diverse Kompetenzen heute bereits, in der Vergangenheit hingegen hieß es häufiger, dass die G10-Kommission auch teilweise vom BND gezielt hintergangen worden sein soll. Ein Grund, warum die G10-Kommission auch klagt gegen die Bundesrepublik und den BND, da geht es nicht zuletzt um die Frage des „Türöffners“, wie es so schön heißt, also dass man eigentlich auf Routineverkehre, Ausland-Ausland –Verkehre zugreifen wollte, aber sich eine G10-Genehmigung geholt hat, um überhaupt an diese Daten kommen zu können, als Vorwand, damit man legal dran kann. Wie soll denn so etwas verhindert werden? Lässt sich das verhindern? Also dass der BND mit einer, sagen wir mal, sehr kreativen Interpretation der Rechtslage, sich dann doch wieder die Tür öffnet.

Heumann: Also eines unserer Bedenken gegenüber der G10-Kommission, wie sie momentan aufgestellt ist, ist, dass die G10-Kommission derzeit ein Ehrenamt ist. Die Mitglieder der G10-Kommission machen das sozusagen nebenbei. Sie treffen sich nur monatlich, oder auch zweiwöchentlich, kommen vielleicht auch mal zu einer Sondersitzung zusammen. Wenn man diese Kontrolle wirklich gut organisieren will, dann braucht man hauptamtliche Mitarbeiter in der G10-Kommission, dann braucht man einen Stab, der ihnen zuarbeiten kann… Und da die G10-Kommission durchaus ja auch mächtig ist gegenüber den Diensten, Sie kann ja eine Anordnung auch verweigern oder stoppen, sie kann ja eine laufende Anordnung auch zurückziehen, glaube ich, dass die Dienste erkennen werden, dass es ihren Interessen sehr schaden würde, wenn sie diese G10-Kommission hinters Licht führen, weil das natürlich das Vertrauensverhältnis stören würde und sicherlich auch es den Diensten es schwieriger machen würde, überhaupt in Zukunft dann Überwachungsmaßnahmen genehmigt zu bekommen.

Das alles setzt voraus, dass die G10-Kommission die entsprechenden Ressourcen hat, die entsprechend Maßnahmen auch verfolgen und überprüfen und dann auch aufdecken könnte und sie hat momentan auch Sanktionsmöglichkeiten und all das sind wichtige Komponenten einer effektiven Kontrolle.

Steiner: Nun ist die G10-Kommission für einen bestimmten Aspekt bislang zuständig – das heißt, man müsste ihren Themenberitt, also das, wofür sie Kompetenzen hat, extrem ausweiten an der Stelle. Wo sehen Sie da die Grenzen? Was müsste da denn mit rein und was wäre nach wie vor bei anderen Akteuren besser aufgehoben?

Eingriffe müssen kontrolliert werden

Heumann: Also die politische Bewertung, die politische Kontrolle des BND ist natürlich weiterhin im Parlament am besten aufgehoben… Und das ist auch das, was das Parlament leisten kann, immer wieder zu hinterfragen, was sind eigentlich die Ziele oder die Aufgaben die der BND verfolgen soll, hat er dafür eigentlich die Mittel, tut er das effektiv, wie müssen wir ihn ausstatten, wo hat er zu vielleicht auch zu viel und wo ist er nicht richtig fokussiert. Das ist die eine Seite, das ist eine klassische Aufgabe, die ins Parlament gehört.

Auf der anderen Seite greift der BND natürlich für seine Arbeit auch in Grundrechte ein. Wenn er überwacht, dann ist das, gerade wenn das nach der deutschen Verfassung ein Eingriff in Artikel 10, in das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis, das ist ein Grundrecht in Deutschland, dass wir vertrauen können, dass unsere Kommunikation vor den Augen dritter sicher ist. Und wenn ein Eingriff, und der kann auch stattfinden und der soll auch stattfinden, wenn er in unserem sicherheitspolitischen Interesse ist, ist es aber trotzdem nochmal wichtig, dass das kontrolliert wird, diese Eingriffe. Und dafür ist die G10-Kommission zuständig. Und um diese Kontrolle zu gewährleisten, die Kontrolle von Grundrechtseingriffen, dafür müsste sie auch entsprechend ausgerichtet werden.

Und dafür bräuchte sie auch entsprechenden technischen Sachverstand weil man natürlich Überwachungsmaßnahmen, muss man auch technisch verstehen um bewerten zu können, wie massiv diese Eingriffe sind, um auch bewerten zu können, gibt es dafür keine andere Alternative der Informationsbeschaffung, um diese Aufgaben effektiv ausführen zu können müsste die G10 nicht nur juristische Expertise haben sondern auch unabhängige technische Expertise um diese Anträge aus den Diensten für Überwachungsmaßnahmen entsprechend auch nach ihrer Eingriffsintensität in die Grundrechte und ob dies gerechtfertigt ist bewerten zu können.

Steiner: Das heißt, es wäre nicht mehr nur die klassische G10-Kommission im Sinne von Post-, Brief- und Fermeldegeheimnis, sondern das würde eben dann auch andere Grundrechte betreffen wie das Grundrecht auf Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme? Also dort, wo Daten ruhen und nicht fließen? Auch das wäre mit in dem Kompetenzspektrum?

Heumann: Ich denke, das sind zum Teil auch Kompetenzen, die beim BSI liegen und zum Teil dort auch gut aufgehoben sind, als eine sehr viel stärker technische Behörde, aber der Punkt den ich machen will, ist: dass die G10-Kommission auch eine eigene Datenschutz- und technische Expertise braucht, um die Kontrolle wirklich ausüben zu können.

Steiner: Wenn wir jetzt schauen auf die politische Debatte, rund um das Bundesnachrichtendienstgesetz. Was würden Sie denn sagen, wie wahrscheinlich ist es denn, dass jetzt ihr Vorschlag tatsächlich auch die Möglichkeit hat, eine Mehrheit zu finden, und woran hapert es gegebenenfalls?

Heumann: Ich denke dass die Chancen gar nicht so schlecht stehen. Auf der einen Seite haben wir Interesse aus den Diensten und aus dem Kanzleramt eine Gesetzesreform anzustreben, wie ich bereits erwähnt habe, haben die Dienste das Interesse daran, klare gesetzliche Grundlagen für ihre Befugnisse zu bekommen, Befugnisse, die sie zum Teil auch schon ausüben, das heißt auf der Seite des Bundeskanzleramts gibt es ein klares Interesse für die Reform. Die Rolle des Bundeskanzleramts ist es jedoch nicht, für die Kontrolle zu sorgen dieser Maßnahmen. Das ist wirklich die Aufgabe des Parlaments. Das Parlament hat auch den Untersuchungsausschuss eingesetzt und das Parlament hat sich intensiv in den vergangenen zwei Jahren mit den Defiziten der Kontrolle auch befasst. Und da sind viele Defizite auch bereits angesprochen worden, über einige haben wir bereits gesprochen, dass die G10-Kommission nicht ausreichend informiert war, auch das parlamentarische Kontrollgremium war nicht informiert, das Kanzleramt behauptet auch über viele Vorgänge nicht richtig informiert gewesen zu sein, es gibt massive Kontrolldefizite.

„Das Parlament hat die Verantwortung, dass nicht nur neue Befugnisse geschaffen werden“

Und das Parlament hat hier jetzt die Verantwortung, dass jetzt hier in diesem Gesetzesentwurf nicht nur neue Befugnisse geschaffen werden sondern dass diese Befugnisse auch rechtsstaatlich kontrolliert werden. Und zur Zeit gibt es eine große Koalition, die über eine Mehrheit im Parlament verfügt, die Union hat dazu bisher noch keine Stellung bezogen, sie hat natürlich – die Abgeordneten im Untersuchungsausschuss haben natürlich auch immer wieder die Bedeutung der Dienste verteidigt und sehen nicht so großen Reformbedarf würde ich jetzt mal ausdrücken, die Bundestagsfraktion der SPD hat im vergangenen Sommer ein Eckpunktepapier veröffentlicht in dem sie auf der einen Seite eingeht, auf die Befugnisse, die der Bundesnachrichtendienst im 21. Jahrhundert, im Zeitalter von digitalen Technologien braucht und auf der anderen Seite auch deutlich gemacht, dass wir die Kontrolldefizite beheben müssen.

In dem Eckpunktepapier wird erwähnt, dass es eine gestärkte G10-Kommission geben soll, dass es ein klares Verbot der Wirtschaftsspionage geben soll, dass es Regeln geben soll für die Kooperation zwischen den Diensten, dass vor allem solche Kooperation nicht dazu führen soll, dass Kontrollgremien umgangen werden, der sogenannte Ringtausch. In diesem Reformpapier der Sozialdemokraten stehen viele gute Ideen drin, die Frage ist jetzt im parlamentarischen Verhandlungsprozess, und die Union und die SPD führen ja Gespräche zur Zeit über diese BND-Reform, wie viele von diesen Vorschlägen da umgesetzt werden.

Daher finde ich es sehr wichtig, dass wir eine breitere öffentliche Diskussion dazu haben. Die wurde ja auch im Untersuchungsausschuss schon angestoßen. Jetzt gehen wir in die nächste Phase, es tauchen Fragen auf, welche Konsequenzen wir aus dem Untersuchungsausschuss ziehen wollen. Das Bundeskanzleramt zieht Konsequenzen, sagt, dass die Gesetze nicht mehr zeitgemäß sind, dass wir neue Befugnisse hinzufügen müssen, das Parlament muss in dieser Phase darauf achten, dass diese neuen Befugnisse auch ausbalanciert werden mit einer entsprechenden Reform der Kontrolle und auch mit einer Stärkung der Kontrolle.

Steiner: Wenn wir jetzt auf die Zeitschiene schauen, dann ist es so, dass die nächste Bundestagswahl zwar noch etwas weg ist. Aber nicht mehr unendlich weit. Es steht auch noch im Raum, dass es vielleicht noch einen weiteren Untersuchungsausschuss, speziell für den BND gibt, alternativ einen Erweiterungsauftrag für den derzeit schon bestehenden Untersuchungsausschuss, bei dem der BND nochmal stärker in den Fokus genommen werden soll. Halten Sie das für eher hinderlich oder eher förderlich für eben diese Reformvorhaben?

Heumann: Ich glaube dass, in Bezug auf die Kontrolle, die Defizite, die in Bezug auf die Kontrolle des Bundesnachrichtendienstes bekannt sind, die sind hinreichend bekannt und die kann man auch schon gesetzgeberisch adressieren. Ich denke dass es weder im Interesse der Dienste ist oder unserer sicherheitspolitischen Interessen, noch im Interesse von uns als Bürger in diesem Land und auch als Rechtsstaat, dass über Jahre hinweg der Bundesnachrichtendienst in Graubereichen operiert, die nicht kontrolliert sind. Deswegen würde ich mir schon wünschen, dass eine BND-Reform in dieser Legislaturperiode noch kommt.

Das schließt allerdings nicht aus, dass, wenn es noch Aufklärungsbedarf gibt, und ich denke, das müssen vor allem die Parlamentarier im Untersuchungsausschuss und im Deutschen Bundestag entscheiden, dass dann auch noch ein weiterer Ausschuss kommt und man sich weiter mit Problemen und Fragen der nachrichtendienstlichen Arbeit beschäftigt. Ich denke auch nicht, dass uns dieses Thema in den kommenden Jahren verlasse wird. Es gibt so viele Fragen, die Überwachung aufwirft, wir haben es jetzt nochmal durch die jüngsten Attentate gesehen, in Brüssel, wir werden uns auch in den nächsten Jahren über die Befugnisse von Nachrichtendiensten unterhalten und wir werden uns auch weiter damit unterhalten, wie wir diese Befugnisse ausbalancieren.

Denn wir sind demokratische Rechtstaaten, das unterscheidet uns von Ländern wie China oder Russland, die ja auch immer wieder in der Debatte angeführt werden und die natürlich auch massiv ihre eigene Bevölkerung überwachen und natürlich auch uns überwachen, das soll auch in dieser Debatte nicht verschwiegen werden, das ist natürlich auch wichtig sich gegen diese Überwachung zu schützen und dort Gegenmaßnahmen zu ergreifen.

Aber was uns eben unterscheidet von Russland und China ist, dass wir Demokratien sind und dass wir Rechtsstaaten sind, und dass eben alle Macht, die eben vom Staate ausgeht – und auch die Überwachung ist eine Macht, die der Staat hat – dass diese auf rechtsstaatlichen Grundlagen beruht und dass diese eben rechtsstaatlich eingebettet ist und entsprechend auch von unseren demokratischen Institutionen auch kontrolliert wird. Und das ist mir ganz wichtig, in dieser Debatte zu betonen: Es geht nicht darum, Sicherheitsinteressen gegen Kontrolle auszuspielen. Sondern es ist wichtig, zu betonen dass beides in demokratischen Rechtsstaaten ineinandergreift. Und hier sieht man eben, dass in den vergangenen Jahren, und das hat der Untersuchungsausschuss noch einmal deutlich gemacht, dass hier Probleme aufgetreten sind, die dringend adressiert werden müssen.

Und deswegen ist es für mich sehr wichtig, dass diese BND-Reform nicht auf die lange Bank geschoben wird, nicht in die nächste Legislaturperiode hinein, sondern dass man diese Probleme, die eigentlich klar benannt sind und klar dokumentiert sind, dass man aus denen jetzt auch Konsequenzen zieht und jetzt auch der Gesetzgeber handelt.