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Theo Geers im Einsatz / Foto: Ansgar Rossi
07.06.2016

Kommentar: Netzausbau gefährdet Energiewende

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Ein Kommentar

im Deutschlandfunk

Um Dinge wirklich zu bewegen, reicht es nicht, nur an einem an Strang ziehen. Es müssen auch alle am gleichen Ende anpacken. Sonst herrscht Stillstand. Nirgendwo passt dieses Bild hierzulande besser als beim Netzausbau. Hier hat es ein solches Tauziehen gegeben, und zwar jahrelang – zwischen aufgebrachten Bürgern am einen Ende, die den Netzausbau so nicht wollen, und Netzbetreibern, die am anderen Ende zogen, um etwas durchzusetzen, was ihnen die Politik so aufgetragen hatte:  Sie sollten Stromtrassen für die Energiewende bauen – und das möglichst preiswert. Was angesichts dieser Vorgabe bei den Planungen herauskam war vorhersehbar: Freileitungen wo immer möglich, teure Erdkabel dagegen nur wo es gar nicht anders ging. Vorhersehbar war damit aber auch der Widerstand der betroffenen Anlieger. Niemand freut sich über solche Stromtrassen, selbst wenn sie nur am Horizont zu sehen sind. Das Ergebnis: Stillstand bei allen wichtigen Projekten. Und manche Politiker wie Horst Seehofer machten sich dann auch noch aus dem Staub: Anstatt die gemeinsam beschlossenen Nord-Süd-Leitungen zu verteidigen, wurden sie in Bayern immer wieder Frage gestellt, also ausgerechnet von dem Bundesland, das am stärksten auf diese neuen Trassen angewiesen ist. Auch diese Netzpolitik paradox hat ihren Teil dazu beigetragen, dass von einigen teilweise schon 2011 beschlossenen Trassen noch nicht ein einziger Kilometer fertig gestellt ist. Um den Karren wieder flott zu machen, wurde im vergangenen Dezember nun der Erdverkabelung Vorrang eingeräumt. Das dürfte die Kosten für den Netzausbau zwar verdreifachen, aber es ist letztlich der Preis, der  für die Akzeptanz der Nord-Süd-Leitungen zu zahlen ist. Die teuren Erdkabel machen den viel zu späten Netzausbau nun erst möglich. Es ist müßig darüber zu sinnieren, ob man das auch früher hätte haben können, ob man den Bürgerprotesten früher hätte nachgeben müssen, es ist aber Fakt, dass bei fast allen Leitungen mindestens drei Jahre Planungszeit verschenkt wurden. Umso mehr kommt es darauf an, wenigstens jetzt weitere Verzögerungen zu vermeiden. Deutschland hat, das zeigen die verzögerten Stromtrassen überdeutlich, ein strukturelles Problem mit der Planung und dem Bau von Großprojekten. Natürlich dürfen direkt betroffene Bürger nicht vor vollendete Tatsachen gestellt werden, aber Bürger können auch überzeugt werden, in dem sie ernst genommen werden.  Professioneller können aber die die Planungen werden. Es müssen nicht gleich sechs alternative Trassen bis ins Detail ausgearbeitet werden, zwei tun es am Anfang auch. Dann geht es um Fristen, die alle Beteiligen einhalten müssen. Und last not last muss der Rückenwind  aus der Politik hinzukommen. Wer die Energiewende will, darf bei den Stromtrassen nicht einknicken.
 

(ar)

Kommentare zu diesem Beitrag (1)

  1. Branko Vasoski | 8. Juni 2016, 11:18 Uhr

    Netzausbau ist nötig

    Das Erdkabel keine gute Lösung sind, weil sie breite Schneisen in die Landschaft schlagen, teuer sind und der Wartungsfall für Betreiber, Stromkunden und auch Anwohner viel lästiger ist, ist meine ganz persönliche Meinung. Ich habe die meiste Zeit meines Lebens in Sichtweite von Freileitungen gelebt und die haben mich eigentlich nie gestört (im Gegensatz z. B. zu den etwa gleich weit entfernten riesigen Mastställen). Das kann man aber natürlich auch anderer Meinung sein, so was ist ja immer sehr subjektiv.

    Was ich aber seltsam finde, ist die Überschrift des Kommentars von Herrn Geers. Es ist doch nicht der Netzausbau an sich, der die Energiewende gefährdet, sondern der zu langsame Netzausbau! Und natürlich Herr Seehofer, der den Leitungen nach Bayern, die er später abgelehnt hat, zuvor nicht nur zustimmte, sondern sie explizit (und laut) forderte.