Brüssel, EU-Kommission, Verteidigungspolitik
Airbus A400M © European Union 2011
Probleme beim Absetzen von Fallschirmjägern, Eiseskälte für die Soldaten im Laderaum, Schwierigkeiten beim Landen auf unbefestigten Pisten, zu schwach ausgelegte Laderampe, zu niedriger Laderaum, fehlende Selbstschutzanlage für "gefährliche Einsätze" und undichte Fäkalientanks der Bordtoilette - der Transportflieger A400M von Airbus ist immer für eine Überraschung gut © European Union 2011
02.04.2015

Europa rüstet auf

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Mit Rüstungsprojekten ist es so eine Sache. Nach fast 20 Jahren und 176.000 gekauften Exemplaren stellt die Bundeswehr plötzlich fest, dass es ihr Standardgewehr G36 bei hohen Temperaturen mit dem präzisen Treffen nicht mehr so genau nimmt – zum Beispiel wenn ein Soldat einige Schüsse abgegeben hat, was im Krieg ja schon mal vorkommen soll. Was jeden Pazifisten freuen dürfte, ärgert die Politik. Damit in Zukunft in die „richtigen“ Bereiche der Waffenindustrie genug Geld für Forschung und Entwicklung fließt, hat die EU-Kommission eine Expertenrunde einberufen. Praktischerweise sitzt auch gleich die Waffenindustrie selbst mit am Tisch. Die werden schon wissen, wo sie Steuergeld am nötigsten brauchen.

Wirtschaftsfaktor Waffenindustrie

Unter dem euphemistischen Titel „High-level group on defence research“ – zu Deutsch so viel wie „Ausschuss zur Verteidigungs-Forschung“ hat die Kommission eine neue Expertenrunde ins Leben gerufen. Ihre Aufgabe: Die EU darin zu beraten, wie sie die Forschung im Zusammenhang mit der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) der EU unterstützen kann. Was diffus klingt, macht die Industrie-Kommissarin Elżbieta Bieńkowska selbst in ihrer Pressemitteilung deutlich:

„Securing the long-term future for our defence industry is in all our interests. Both nationally and collectively. The Commission can play an important supporting role to reinforce national defence industries and research capacities.“

Die Expertenrunde soll die Kommission also darin beraten, wie die EU die europäische Rüstungsindustrie fördern kann. Denn in den vergangenen Jahren hätten die Investitionen in die Entwicklung neuer Waffensysteme dramatisch abgenommen. Gleichzeitig habe sich die Sicherheitslage rapide verschlechtert. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini bringt die Position der EU in oben genannter Pressemitteilung auf den Punkt:

„To provide security, we need political will but also capabilities and a solid defence industrial base.“

Um Sicherheit zu gewährleisten braucht es also Waffen. Eine Logik, die mit Blick auf die Entwicklungen in Syrien und im Irak, aber auch in Libyen oder Afghanistan völlig absurd erscheint. Haben hier Waffen dafür gesorgt, dass es Frieden gibt?

Grundlage der Initiative ist ein Beschluss der Staats- und Regierungschefs vom Dezember 2013:

„Um die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Verteidigungsindustrie auf lange Sicht sicherzustellen und zu garantieren, dass die notwendigen modernen Fähigkeiten verfügbar sind, ist es von wesentlicher Bedeutung, das Fachwissen auf dem Gebiet der Verteidigungsforschung und -technologie, insbesondere für den Bereich kritischer Verteidigungstechnologien, aufrechtzuerhalten. Der Europäische Rat ersucht die Mitgliedstaaten, ihre Investitionen in kooperative Forschungsprogramme und insbesondere die kooperativen Investitionen zu erhöhen und für größtmögliche Synergien zwischen nationalen und EU-Forschungsvorhaben zu sorgen.“

Die Militärausgaben der Mitgliedsstaaten werden in dem Papier als zu niedrig kritisiert, da sie die Entwicklung neuer „militärischer Fähigkeiten“ begrenzen würden. Die jahrelangen Rufe der NATO nach höheren Militärausgaben wurden erhört.

Eine illustre Runde

EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini © European Union, 2014

EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini © European Union, 2014

Und wer soll die Kommission darin beraten, in welchen Bereichen in Rüstungsforschung investiert werden sollte? Die Expertenrunde setzt sich laut Kommission aus folgenden Personen zusammen.

 

Aktive EU-Politiker:

– Federica Mogherini, EU-Außenbeauftragte, Vizepräsidentin der EU-Kommission und Chefin der Europäischen Verteidigungsagentur
– Michael Gahler, MEP (EPP/CDU, DE), Berichterstatter des Europaparlaments zur Commission’s communication on defence

 

Vertreter der Waffenindustrie:

– Fernando Abril-Martorell (Spanien), CEO Indra (Hersteller u.a. von Simulations- und Trainingssystemen, Zielsystemen für Militärfahrzeuge, Schutzsystemen vor ABC-Waffen)
– Antoine Bouvier (EU-FR), CEO MBDA (Hersteller u.a. von Marschflugkörpern)
– Håkan Buskhe (SE), CEO Saab (Hersteller u.a. von Kampfflugzeugen)
– Tom Enders, (EU-DE) CEO Airbus Group (Hersteller u.a. von Militärflugzeugen wie dem A400M und dem Eurofighter)
– Ian King, (UK) Chief Executive BAE Systems (Rüstungskonzern im Bereich Luftfahrt und Informationssicherheit)
– Mauro Moretti (IT), CEO Finmeccanica (Hersteller u.a. von Kampfflugzeugen)
– Arndt Schoenemann, Hauptgeschäftsführer Liebherr-Aerospace Lindenberg GmbH (Hersteller von Flugzeugteilen), Vorsitzender ASD Supply Chain and SME Group (Lobbyverband der Luft-, Raumfahrt- und Rüstungsindustrie)

 

Vertreter der (Rüstungs-)Forschung:

– Reimund Neugebauer (DE), Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft, Organisation für angewandte Forschungs- und Entwicklungsdienstleistungen
– Paul de Krom (NL), ehemaliger Sozial- und Arbeitsminister, President und CEO der Niederländischen Organisation für Angewandte Naturwissenschaftliche Forschung (forscht u.a. im Bereich Verteidigung und Sicherheit, Partner des niederländischen Militärs)

 

Weitere:

– Carl Bildt (Schweden), ehemaliger Premierminister und Außenminister (saß an der Spitze des Verwaltungsrates der Kreab Group, einem schwedischen Dienstleister für strategische Kommunikation und Krisen-PR; soll laut dem schwedischen Journalisten Mikael Nyberg die Kampagne für den Irakkrieg 2003 unterstützt haben)
– Nick Witney (UK) (soll Waffengeschäfte zwischen British Aerospace Industries und Saudi Arabien eingefädelt haben), Mitglied im Expertenrat der Denkfabrik European Council on Foreign Relations (Friedensaktivisten kritisieren, dass der ECFR die Militarisierung der EU vorantreibe); ehemaliger Geschäftsführer der Europäischen Verteidigungsagentur
– Elisabeth Guigou (FR), Präsidentin des Außenausschusses des französischen Unterhauses, ehemalige Europa-, Justiz- und Arbeitsministerin
– Bogdan Klich, (PL), ehemaliger Verteidigungsminister, Mitglied des polnischen Senats
– Teija Tiilikainen (FI), Direktor des Finnischen Instituts für Internationale Angelegenheiten

Bock wird zum Gärtner gemacht

Mit am Tisch sitzen also die Rüstungsindustrie und mit dieser zusammenarbeitende Forschungsinstitutionen. Die dürfen hilfreiche Vorschläge unterbreiten, mit welchen Projekten die EU und ihre Mitgliedsstaaten ihnen in Zukunft Milliarden Euro an Fördermitteln und Rüstungsausgaben zuschieben werden. Es geht nicht um die tatsächlichen Anforderungen europäischer Armeen in der Zukunft. Einzig und allein soll der Industriestandort Europa im Rüstungsbereich gesichert werden. Auf dass auch in Zukunft so erfolgreiche europäische Gemeinschaftsprojekte zustande kommen werden, wie das Militär-Transportflugzeug Airbus A400M (jahrelange Verzögerung und Milliarden Euro Mehrkosten), das Kampfflugzeug Eurofighter (deutlich teurer als veranschlagt) oder der Transporthubschrauber NH90 (enorme technische Mängel, kann die Mindestanforderungen der Bundeswehr nicht erfüllen).


Mehr Informationen zum Thema Rüstung

Sipri-Bericht: Waffenexporte weltweit gestiegen
(Deutschlandfunk, 16.03.2015)

Diskussion um Standardwaffe G36
(Beitrag im Deutschlandfunk, 01.04.2015)

Nato-Jahresbericht 2014
(Berlin:Brüssel-Blog, 30.01.2015)