Brüssel, EU-Kommission, Europäischer Rat, Europaparlament, Innenpolitik
Berichterstatterin Monika Hohlmeier (CSU) © European Union 2016 - Source: EP
Berichterstatterin Monika Hohlmeier (CSU) © European Union 2016 - Source: EP
25.06.2016

EU-Parlament plant Anti-Terror-Netzsperren

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Im Schnellverfahren will die EU einen neue Anti-Terror-Richtlinie verabschieden. Die Kritik daran wächst, auch weil befürchtet wird, dass die neuen Maßnahmen nicht nur gegen Terroristen eingesetzt werden könnten.

Keine drei Wochen hat es nach den Anschlägen von Paris im vergangenen November gedauert, da hatte die EU-Kommission ihren Entwurf einer neuen Anti-Terror-Richtlinie vorgelegt. Damit werden zahlreiche neue Straftatbestände eingeführt, die im Zusammenhang mit Terrorismus stehen. Diese sollen dann von den Mitgliedsstaaten in ihrer nationalen Gesetzgebung umgesetzt werden. Dazu gehören:

 

  • Öffentliche Aufforderung zur Begehung einer terroristischen Straftat
  • Anwerbung für terroristische Zwecke
  • Absolvieren einer Ausbildung für terroristische Zwecke
  • Auslandsreisen für terroristische Zwecke
  • Organisation oder sonstige Erleichterung von Auslandsreisen für terroristische Zwecke
  • Ausstellung gefälschter Verwaltungsdokumente mit dem Ziel der Begehung einer terroristischen Straftat

Netzsperren

Geht es nach Monika Hohlmeier (CSU), soll auch die Sperrung bzw. Löschung von Webseiten in die Richtlinie aufgenommen werden. Hohlmeier sitzt im Innenausschuss des Europaparlaments und ist Berichterstatterin für die Richtlinie. Das bedeutet, sie hat einen eigenen Entwurf des Kommissionsvorschlages vorgelegt und versucht nun einen mehrheitsfähigen Kompromiss anhand der 438 von ihren Kollegen eingebrachten Änderungsanträge zu finden.

Im aktuellen Kompromisspapier, über das am Montag abgestimmt werden soll, heißt es:

 

„Article 14a
Measures against illegal terrorist content on the internet
1. Member States shall take the necessary measures to ensure the prompt removal of illegal content publicly inciting to commit a terrorist offence, as referred to in Article 5, hosted in their territory and to endeavour to obtain the removal of such content hosted outside of their territory or, when that is not feasible, to block the access to such content.
2. These measures must be set by transparent procedures and provide adequate safeguards, in particular to ensure that the restriction is limited to what is necessary and proportionate and that users are informed of the reason for the restriction. Measures on removal and blocking shall be subject to judicial review.“

Illegale Inhalte, mit denen dazu aufgerufen wird, terroristische Straftaten (diese sind anhand der nachfolgenden definiert) zu begehen, sollen umgehend gelöscht werden. Ist das nicht möglich, weil die Inhalte in anderen Ländern gehostet werden, sollen sie zumindest für Nutzer in der EU gesperrt werden. Das ganze soll transparent und unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit geschehen. Außerdem sollen Löschungen und Sperrungen richterlich überprüft werden.

Hohlmeiers Sperr- bzw. Lösch-Vorschlag sorgt besonders im Netz für viel Aufregung. Wohl auch, weil sich der jetzige Entwurf sehr vom Ursprünglichen unterscheidet. Das wird deutlich, sieht man sich die Änderungen am Kompromiss zu Artikel 14a an:

 

Änderungen am Kompromissvorschlag zu Artikel 14a

Änderungen am Kompromissvorschlag zu Artikel 14a

 

Ursprünglich gab es keinen Verweis auf die Illegalität der zu löschenden/sperrenden Inhalte. Außerdem war vorgesehen, dass eine Sperrung/Löschung juristisch angefochten werden kann. Was besonders für Kritik sorgte: Es sollte die Möglichkeit geben, Inhalte, die auf eigenem Territorium gehostet werden und damit gelöscht werden könnten, nur zu sperren.

„Löschen statt Sperren“

Insgesamt 18 NGOs, darunter auch Digitalcourage und der Chaos Computer Club, hatten einen offenen Brief an die Abgeordneten unterzeichnet, in dem sie sie dazu aufrufen, gegen das Papier zu stimmen.

„Diese Maßnahmen enthalten keine wirklichen Vorkehrungen für den Schutz der freien Meinungsäußerung. Natürlich können die minimalen Vorkehrungen, die enthalten sind, leicht durch ‚freiwillige‘ Einschränkungen umgangen werden, die sich die Internetfirmen auferlegen.“

Ähnliche Maßnahmen, die vor 18 Monaten in Frankreich eingeführt wurden, hätten sich als ineffizient und kontraproduktiv erwiesen, so die NGOs. Sie verweisen außerdem auf eine Studie des Europarates, nach der in diesem Kontext die freie Meinungsäußerung in Frankreich und der EU gefährdet sei.

Auf netzpolitik.org wird Alvar Freude für den Arbeitskreis Zensur zitiert:

„Alle Jahre wieder beglücken uns die Netzsperren-Fanatiker mit neuen Vorschlägen und Wünschen. Aber warum fragen sie vorher nicht jemanden, der sich auskennt? Denn in der Zwischenzeit gibt es genug Beweise, dass ‚Löschen statt Sperren‘ funktioniert – selbst das BKA musste dies einsehen (siehe hier und hier). Illegale Inhalte müssen – und können – an der Quelle entfernt werden, Netzsperren verhindern aber das Löschen und bauen eine Zensur-Infrastruktur auf, die eines freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates unwürdig ist.“

Bleibt es beim aktuellen Kompromiss und erhält dieser am Montag eine Mehrheit, dann kämen die Abgeordneten der Kritik ein Stück weit entgegen. Denn auch Monika Hohlmeier ist – so wie Alvar Freude – der Meinung: Löschen statt sperren!

 

„Wir haben in unseren Kompromissen enthalten – genau wie in den anderen Gesetzgebungen – dass Seiten gelöscht werden sollen oder, dass wenn das überhaupt nicht geht und es erforderlich ist, zumindest sie zu blockieren, dass sie dann blockiert werden können. Wann dies geschieht und ob aus ermittlungstechnischen Gründen unter Umständen Webseiten für eine gewisse Zeit aufrecht erhalten werden, das obliegt dem Ermittlungsspielraum innerhalb der Mitgliedsstaaten. Dazu ist hier nichts vorgesehen. Aber Löschen wird eindeutig präferiert. Nur dann, wenn technisch eine totale Unmöglichkeit besteht, den Löschungsvorgang zu vollziehen, ist überhaupt ein Blockieren erlaubt.“

Ungenaue Definitionen

Kritik entzündet sich aber nicht nur an Detailfragen der Richtlinie, sondern am Papier generell. Die Richtlinie sei nicht gut ausgearbeitet, findet Joe McNamee, der Geschäftsführer der NGO „European Digital Rights“. Die Kommission habe in kürzester Zeit bereits bestehende Ideen in einer Richtlinie zusammengefügt (Innerhalb von zweieinhalb Wochen hatte die Kommission ihr Papier vorgelegt). Hohlmeiers Vorschlag zum Löschen oder Sperren ist McNamee viel zu unkonkret:

„Wie viele Seiten? Wie viele Arten von Kommunikation? Was für ein Einfluss? Wo kann man am besten agieren, um den meisten Effekt zu haben? Stattdessen haben wir Vorschläge zum Thema Sperren und Löschen, ohne überhaupt zu wissen, was, wo und wann und wieso und wie lange gelöscht und gesperrt werden sollte.“

 

Auch aus der Linken kommt diese Kritik: Cornelia Ernst vermisst eine klare Definition terroristischer Straftaten und fürchtet, dass im Ernstfall sehr viele Menschen davon betroffen wären. Das eigentliche Ziel der Terrorismusbekämpfung werde damit verfehlt:

„Ich meine, wir haben natürlich auch immer Sorge: Was fällt in diesen Terrorismusbereich rein? Sind das auch Leute, die kritisch sind gegenüber der Gesellschaft, in der wir leben? Sind das dann auch schon Terroristen? Wir sehen ja, was bei Erdogan los ist.“

 

 

Die vorliegende Richtlinie gibt allerdings in Artikel 3 Absatz 2 recht klar anhand einer Liste vor, welche Straftaten als terroristisch eingestuft werden sollen:

„2.Vorsätzliche Handlungen im Sinne des Absatzes 1 sind
(a)Angriffe auf das Leben einer Person, die zum Tode führen können;
(b)Angriffe auf die körperliche Unversehrtheit einer Person;
(c)Entführung oder Geiselnahme;
(d)schwerwiegende Zerstörungen an einer Regierungseinrichtung oder einer öffentlichen Einrichtung, einem Verkehrsmittel, einer Infrastruktur einschließlich eines Informatiksystems, einer festen Plattform, die sich auf dem Festlandsockel befindet, einem allgemein zugänglichen Ort oder einem Privateigentum, die Menschenleben gefährden oder zu erheblichen wirtschaftlichen Verlusten führen können;
(e)Kapern von Luft- und Wasserfahrzeugen oder von anderen öffentlichen Verkehrsmitteln oder Gütertransportmitteln;
(f)Herstellung, Besitz, Erwerb, Beförderung, Bereitstellung oder Verwendung von Feuerwaffen, Explosivstoffen, atomaren, biologischen und chemischen Waffen sowie die Forschung und Entwicklung im Zusammenhang mit biologischen und chemischen Waffen;
(g)Freisetzung gefährlicher Stoffe oder Herbeiführen von Bränden, Überschwemmungen oder Explosionen, wenn dadurch das Leben von Menschen gefährdet wird;
(h)Störung oder Unterbrechung der Versorgung mit Wasser, Strom oder anderen lebenswichtigen natürlichen Ressourcen, wenn dadurch das Leben von Menschen gefährdet wird;
(i)Drohung, eine unter den Buchstaben a bis h genannte Straftat zu begehen.“

Im Kompromisspapier hat Berichterstatterin Monika Hohlmeier noch eine weitere Straftat mit aufgenommen: Herstellung, Besitz, Erwerb, Beförderung, Bereitstellung oder Verwendung von „Schadsoftware im Sinne von Artikel 7 der Richtlinie 2013/40/EU des Europäischen Parlaments und des Rates“.

Die genannten Straftaten sollen dann als terroristisch gelten, wenn sie mit mindestens einem der folgenden Ziele begangen werden:

„(a)die Bevölkerung auf schwerwiegende Weise einzuschüchtern;
(b)öffentliche Stellen oder eine internationale Organisation rechtswidrig zu einem Tun oder Unterlassen zu zwingen;
(c)die grundlegenden politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Strukturen eines Landes oder einer internationalen Organisation ernsthaft zu destabilisieren oder zu zerstören.“

Letztendlich wird es also eine Frage der Auslegung durch die Mitgliedsstaaten sein, denn diese werden die Vorgaben der Richtlinie in nationales Recht umsetzen müssen. Die Ausgestaltung der Details, so zum Beispiel wie die in der Richtlinie als terroristisch definierten Straftaten geahndet werden sollen, liegt in den Händen der Staaten.

Keine Folgenabschätzung

Ob und wie sinnvoll die neue Richtlinie sein wird, ist schwer vorherzusagen. Auch, weil die Kommission in diesem Fall – anders als sonst üblich – auf eine Folgenabschätzung verzichtet hat. Im Entwurf der Kommission heißt es dazu:

„Da es aufgrund der jüngsten Terroranschläge dringend erforderlich ist, den Rechtsrahmen der EU insbesondere durch die Aufnahme von internationalen Verpflichtungen und Standards zu verbessern, wird dieser Vorschlag ausnahmsweise ohne Folgenabschätzung vorgelegt. „

Zwar sind viele der aufgenommenen Ideen nicht neu und teilweise bereits internationaler Standard. Im Fall des Vorgehens im Netz wäre aber eine Folgenabschätzung notwendig gewesen, findet Joe McNamee, denn:

„Als die Kommission in 2008 eine Folgenabschätzung geschrieben hat, haben sie die Informationen dazu analysiert und gesagt, dass das eigentlich keinen Sinn hat.“

 

Mitgliedsstaaten wollen umfassende Überwachung

Noch deutlich weiter bei den Mitteln zur Strafverfolgung gehen die Mitgliedsstaaten im Rat, mit denen sich das Parlament auf eine endgültige Version der Richtlinie einigen muss. Im Positionspapier des Rates findet sich ein neuer Artikel 15a:

„(15a) Damit die Ermittlungen und die Verfolgung bei terroristischen Straftaten, Straftaten im Zusammenhang mit einer terroristischen Vereinigung oder Straftaten im Zusammenhang mit terroristischen Aktivitäten erfolgreich durchgeführt werden können, sollten die für die Ermittlung und Verfolgung dieser Straftaten verantwortlichen Personen die Möglichkeit haben, wirksame Ermittlungsinstrumente einzusetzen, wie sie zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität oder sonstiger schwerer Straftaten verwendet werden. Falls angezeigt, sollten diese Instrumente beispielsweise die Durchsuchung persönlichen Eigentums, die Überwachung des Kommunikationsverkehrs, die verdeckte Überwachung einschließlich elektronischer Überwachung, die Erfassung, Registrierung und Aufnahme von Äußerungen und Gesprächen in privaten oder öffentlichen Fahrzeugen oder an privaten oder öffentlichen Orten sowie von Bildmaterial von Personen in öffentlichen Fahrzeugen und an öffentlichen Orten (…) sowie (…) Finanzermittlungen umfassen, wobei dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sowie der Art und Schwere der untersuchten Straftaten im Einklang mit nationalem Recht Rechnung zu tragen ist. Das Recht auf den Schutz personenbezogener Daten sollte geachtet werden.“

Zwar ist der entscheidende, gefettete Satz im Kompromisspapier des Parlaments explizit nicht enthalten. Je nachdem, wie die Verhandlungen zwischen Rat und Parlament verlaufen, könnte er aber trotzdem in der endgültigen Version der Richtlinie aufgenommen werden.

Nachdem der zuständige LIBE-Ausschuss des Europaparlaments (Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres) die Entscheidung über die Richtlinie am Dienstag (20.06.2016) abgeblasen hatte, soll nun bei der Sitzung am kommenden Montag (27.06.2016, Beginn um 17.30 Uhr) darüber abgestimmt werden. Wenn sich danach der Rat (also die 28 Mitgliedsstaaten) und das Parlament auf eine gemeinsame Fassung einigen, muss die wiederum vom Plenum des EU-Parlaments bestätigt werden.

 

Update: Aufgrund der Sondersitzung des Parlaments am 28.06. zum Ausgang des Brexit-Referendums wurden alle Ausschusssitzungen am 27.06. abgesagt. Ein neuer Termin für das Treffen des LIBE-Ausschusses steht offiziell noch nicht  fest.